Es gab in Eisenhüttenstadt über die Weihnachtstage eine kleine Ausstellung zum Thema des Verschwindens. Und zwar zum Verschwinden Eisenhüttenstadts. Martin Maleschka, Kind der Stadt, Architekt und fotografierender Dokumentar von Überformung und Verlust bedrohter Architekturspuren der DDR, zeigte unter dem Titel #heimatLOS eine Auswahl seiner Bilder. Er erhielt dafür das Ladenlokal in der Straße der Republik 37, das 2012 Außenposten der Berlin Biennale in Eisenhüttenstadt war. Vier Ausstellungsräume versammelten fünf Werkschwerpunkte wobei die übereinander gelegten Ansichten der durch den Stadtumbau leergeschrumpften Wohnkomplexe VI und VII das titelgebende Motto der Ausstellung besonders markant aufgreifen.
Das Verschwinden von Stadt ist bekanntlich längst nicht allein das Verschwinden von Gebautem. Mit den Häusern verschwinden Stadtraum und -struktur. Der Raum verliert seine Funktion, die Menschen verlieren ihre Bezugspunkte und wie in vielen schrumpfenden Städten sind die Folgen auch in Eisenhüttenstadt stadtgesellschaftlich und stadtkulturell eine erhebliche Herausforderung. Besonders deutlich zeigt sich das dann, wenn es kein Gegengewicht zum Rückbau, zum sichtbar werdenden Verlust und Auflösen von Raumstrukturen gibt. Einige mögen den ästhetischen Reizen neuer Blickachsen etwas abgewinnen. Aber Blickachsen brauchen in der Perspektive auch etwas, das den Blick fängt. Sonst verliert man die Orientierung. Es wäre zu voreilig, Eisenhüttenstadt als eine gescheiterte Stadt zu bezeichnen. Dazu lebt man dort auf zu hohem Niveau, dazu funktioniert der stadtorganisatorische Rahmen zu gut, dazu gibt es zu viel Kultur und Lebendigkeit. Was verschwommen bleibt, ist aber eben doch die Perspektive.
Es scheint für Eisenhüttenstadt derzeit schwer etwas konkretisierbar, das den Blick fängt und eine Orientierung, also eine Richtung für Stadtentwicklung über die Absicherung des reinen Funktionierens der Grundversorgung hinaus gibt. Wo zu viel entkultivierter Raum - so und so - entsteht, wächst nachvollziehbar Verunsicherung. In einer solchen Atmosphäre bilden sich - bekannt aus Geschichte und Gegenwart - an den Rändern leicht Selbstorganisationen wie jüngst die Bürgerwehr und sammeln sich Ressentiments und Ängste als Bindemittel für die Sehnsucht nach (Stadt)Gemeinschaft. Dass die lokale Bürgerwehr sich relativ schnell wieder auflöste und der Stadt abgesehen von schlechter Presse und ein paar zusätzlichen Streifenfahrten der Polizei wenig brachte, beruhigt nur an der Oberfläche. Ein fester Grund für ein Gemeinschaftsgefühl in Eisenhüttenstadt, das sich konstruktiv und nicht über Gefahrenabwehr und Lokalstolz definiert, ist die meiste Zeit nicht zu erkennen. Die Stadt wirkt mehr denn je wie ein Projekt, dem das Projektziel abhanden kam.
Es war natürlich äußerst geschickt von Martin Maleschka, der die Ausstellung übrigens selbst organisierte und auch finanzierte, sich die Weihnachtsfeiertage als Laufzeit herauszusuchen. Denn nie hat Eisenhüttenstadt mehr Einwohner, als in diesen drei Heimkehrtagen, in denen all diejenigen, die sich in aller Welt verstreut haben, ihre Eltern, Großeltern und anderen Anverwandten besuchen. Die Rückkehr auf Stunden ist gemeinhin auch von der Neugier geprägt, wie sich der biographische Erinnerungsraum realweltlich abzeichnet. Also in etwa: Was vom Spielplatz übrig blieb. Die besinnliche Zeit schärft programmgemäß bei allen Beteiligten das Bewusstsein und #heimatLOS wirkte diesbezüglich ausgezeichnet als Kumulationspunkt, wie besonders eine Bilderfolge im Hauptraum, in der Martin Maleschka Biographie und Abriss (des VII. WK) in Beziehung setzte.
Die Weihnachtszeit wirkt nachvollziehbar besonders stadtbevölkerungsverdichtend. Aber Gleiches galt wenigstens früher auch für das Stadtfest. Ebenso erlaubt die Erfahrung unter anderem des digitalen Interesses an der Stadtentwicklung (das massenmediale Interesse im Jahr 2014 einmal ausgeblendet) ohne weites Ausdemfensterlehnen die These, dass es durchaus eine Reihe von Menschen gibt, die für eine reflektierte Auseinandersetzung mit der Stadtentwicklung Eisenhüttenstadts und/oder künstlerische, literarische, sonstige kulturelle Interventionen jenseits der reinen Unterhaltung empfänglich wären. Es ist fast fahrlässig, wie das lokale Stadtmarketing das famose Produkt, dass sich aus dem vorhandenen Phänomen Eisenhüttenstadt entwickeln ließe, nach wie vor liegen lässt.
Besonders einsichtig zeigt sich dies am Beispiel des Hotel Lunik, das direkt neben dem Haus mit dem Ausstellungsraum unausblendbar als Menetekel für verfehlte Privatisierung steht und dem Martin Maleschka eine rotbeleuchtete Trauerkammer mit Aufnahmen widmete, die den Verfall des Baudenkmals eindrücklich aufzeichnen. Da tröstet es auch nicht sonderlich, wenn aus der Stadtverwaltung argumentiert wird, man hätte nunmal keine Handhabe. Der Eigentümer, Ulrich Marseille (oder eine ihm nahe stehende Gesellschaft), fällt, wie man heute unschwer aus seiner Investitions- und Kommunikationsstrategie zu den verschiedenen Objekten in Eisenhüttenstadt ableiten kann, die ihm von irgendjemandem fast geschenkt wurden, in die Kategorie solcher Investoren, mit denen man möglichst keine solchen flotten Kombinationsdeals abschließen sollte.
Wer dafür letztlich verantwortlich ist - die Bürgermeisterin unterbrach auf der Vernissage nicht übermäßig taktvoll die kurze Ansprache Martin Maleschkas mit der ihr offenbar sehr wichtigen Richtigstellung, dass das Haus niemals der Stadt gehörte - spielt keine Rolle. Es ist auch nur eine Projektionsfläche für eine herausgeforderte Stadtgesellschaft, aus der am Ende unter anderem die Leute kommen, die die Fenster des leerstehenden Hauses einwerfen. Für den Vandalismus ist Ulrich Marseille nicht verantwortlich. Und dagegen, aus dem Phänomen Lunik mit seinem ikonischen Potential etwas zu machen, was die billigen Tom-Hanks-Tassen des Tourismusvereins zum Polterabendgeschirr degradiert, könnte er nichts einwenden. Dass man nicht ins Haus darf, heißt nicht, dass man sich nicht mit dem Objekt und seiner Rolle auseinandersetzen sollte. Es ist gut, dass #heimatLOS dies so direkt aufgriff.
Wie Eisenhüttenstadt trotz aufwendig nachgezogener Fassaden in den frühen Wohnkomplexen ziemlich am Schwimmen ist - von der Verwahrlosung des öffentlichen Raums über die Unfähigkeit, die einzige kulturelle Einrichtung nationalen Formats in der Stadt (das DOK-Zentrum) dauerhaft zu erhalten bis zur weitreichenden stadtgesellschaftlichen Isolation von derzeit ca. 1500 Asylbewerbern und Flüchtlingen - wird besonders dann deutlich, wenn man mit ein wenig Distanz auf die Stadt schaut. #heimatLOS bot allen Besuchern, also auch denen, die noch in der Stadt leben, exakt diesen Blick. Die Ausstellung zeigte, wie klug es ist, Probleme durchaus individuell in einer Form fangen, die sich Zeit lässt für die Schilderung und nicht sofort mit Erklärungsmustern und Rechtfertigungsreflexen aufwartet. Zugleich erinnerte sie daran, wie wenig es eigentlich an Rahmenbedingungen braucht, um genau die Gegenimpulse zu setzen, die den Auflösungstendenzen Eisenhüttenstadts entgegen wirken können.
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