Man sollte vielleicht nicht an einem Samstag nachmittag erstmals nach längerer Zeit mit Kopfschmerzen durch Eisenhüttenstadt ziehen, um ein paar Stadteindrücke zu sammeln und eventuell in einem Restaurant zu Mittag essen mag. Denn einerseits wird der Blick durch diese Gemengelage aus Distanz, puckernden Schläfen und dem Bedürfnis, etwas essen zu wollen, verzerrt und andererseits besteht die Gefahr, dass die Kopfschmerzen trotz Frühlingsluft und Märzensonnenschein noch zunehmen. Meine Begleitung bemerkte am Ende der Kurzerfahrung der Stadt in der verwaisten Königsstraße "Eisenhüttenstadt ist die hässlichste Stadt, die ich kenne" und ich hätte gern ein Gegenargument hervorgebracht, nur bot sich mir an diesem Tag partout nichts an.
Das dominierende Gefühl dieses Ausflugs war schlichtweg, dass man Zeuge eines am Ende unaufhalthaltsamen Niedergangs zu werden scheint, eines permanenten Umstürzens, einer sozialen Entropie, die das Stadtgefüge Eisenhüttenstadts in seiner Gänze umschlingt und hinab in einen Mahlstrom aus Hässlich- und Beliebigkeit strudeln lässt. Dass die Deutsche Bundesbahn AG das Bahnhofsgebäude längst als "Cashfresser" (Uwe Marxen, Leiter RB Ost DB Station & Service) abgeschrieben und die Stadt ein bisschen hingehalten hat, um letztlich das Haus im Paket mit einer Kiste anderen Empfangsgebäuden des Landkreis Oder-Spree
zu veräußern und damit wieder einmal die Handlungsbeschränktheit kommunaler Entscheidungsträger in aller Deutlichkeit an die Wand malt, soll hier nur erwähnt werden. Es fügt sich aber hervorragend in die allgemeine Abstiegssymbolik. Der Verweis des sich im Zuge der Privatisierung offensichtlich gleichzeitig von jeglicher gesellschaftlicher und auch stadträumlicher Verantwortlichkeit lösenden Verkehrsunternehmen auf das weitgehend als singulär zu bewertende Vorzeigeprojekt der Bibliothek im Bahnhof Luckenwalde ist insofern zynisch, als das in Luckenwalde entsprechende Fördergelder aus dem EU-Projekt "
URBAN" eingesetzt werden können, die in Wellmitz, Tiefensee, Seelow und Eisenhüttenstadt nunmal nicht zur Verfügung stehen.
Nun gut, den Bahnhof lässt man schnell liegen und fährt am Dönerstand mit dem demolierten "Döner"-Schildchen vorbei und die entvölkerte Eisenbahnstraße, die schon jetzt eine wahre "Road to nowhere" darstellt und diesen Status in den nächsten Jahren tatsächlich auch noch auszubauen vermag, hinunter. Bei der Poliklinik biegen wir ein ins Abrissquartier und da schau her, was so unheilvoll schon im StudiVZ verkündet wurde und worüber vor knapp einem Jahr noch ein
kleines Fragezeichen stand, wird nun tatkräftig umgesetzt: Die Demontage des Fürstenberger Gymnasiums, welches vor nicht allzu langer Zeit die vermutlich üppigsten Sportanlagen aller städtischen Schulen hingebaut bekam und das jetzt
augenscheinlich auf den erfolgreichen Abriss vorbereitet wird.
So wird Bildungsabbau in Eisenhüttenstadt dank der fantasiearmen Totalabrisspolitik - übrigens nicht nur in diesem Quartier - ganz konkret erfahrbahr. Es ist übrigens eine große Legende, dass es zu wenig Schüler gäbe. Wer sich in den Restschulen der Stadt, welche vielleicht bis auf das Städtische Gymnasium alle sein dürften, umschaut, kann problemlos erkennen, wie hier in überfüllten Klassen mit bildungsmürrischen Kindern und Jugendlichen ein personell völlig unterbesetzter Lehrkräftestab den Sparzielen der haushaltskonsolidisierenden Landesregierung gerecht zu werden hat und dabei ganze Absolventengenerationen (sofern überhaupt die Abschlüsse gelingen) mit mangelhaften Kompetenzen zur gesellschaftlichen Teilhabe zu großen Teilen direkt in die Handlungsunfähigkeit gespült werden.
Es fehlt nicht an Kindern, es fehlt am Geld bzw. an der Bereitschaft, die Förderprioritäten nachzujustieren. Dazu kommt - speziell in Eisenhüttenstadt - eine ausgesprochene Fantasielosigkeit und ein Mangel an Gefühl für symbolische Kommunalpolitik, die leider nicht versteht, dass mit dem ersatzlosen Abriss eines Schulgebäudes ein wirklich düsteres Signal ausgesandt wird, dass den umliegenden Bewohnern, sofern sie nicht schon völlig resigniert und stumpf sind, in einer Drastik zeigt, wie sehr ihr Zug eigentlich abgefahren ist, die nahe an der Demütigung zu verorten ist. Diese Stellen sind es, die maßgeblich darauf hinweisen, in welche Richtung der Karren "Eisenhüttenstadt" aktuell zu steuern scheint: den Hügel hinab in ein ganz finsteres Tal.
Flaniert man durch diese aufgegebenen und verödenden Areale, die jenseits der momentan in Politur befindlichen Kernstadt liegen, so sieht man, sofern man Menschen sieht, in durchwegs graue, verhärmte Gesichtszüge - erschreckenderweise auch bei den jungen Frauen um die Zwanzig, die mit Zigarette, 15 Jahre altem Volkswagen samt dem obligatorischen"Böse Onkelz"-Schriftzug an der Heckscheibe und den ebenfalls scheinbar obligaten Kleinkindern und manchmal auch mit einer passenden Hundemischung über die Parkplätze schleichen. Jedes Klischee des häßlichen Ostdeutschland versteht diese Stadt hervorragend zu bedienen und so bekommt ein auswärtiger Besucher, der sich zufällig vom verlassenen Bahnhof in die Fürstenberger Straße verirrt, einen wunderbaren, sämtliche Stereotypen mit dickem Markierstift unterstreichenden Eindruck von einer Welt aus Abriss und Verwahrlosung (sozial und stadträumlich), deren Bewohner motivationale Analphabeten und alkoholabhängige Soziopathen sind, die zwischen Getränkeeck und Farbfernsehgerät mit hochrotem Kopf und jeder Artikulationsfähigkeit beraubt aufgegeben ihrem physischen Ende entgegenleben und deren Engagement, falls noch etwas übrig ist, zu Leserbriefen, wie diesem im Oderlandspiegel reicht:
"...Ich fordere Höhere Steuern für die Gewinne und keine neuen Steuergeschenke. Erst dann wird sich Arbeit wieder lohnen und mehr Gerechtigkeit einziehen. Und wenn dies nicht auf demokratischen Wege erreicht werden kann, brauchen wir eine Diktatur - und zwar schnell..." (Ausgabe vom 24./25. März 2007, S. 2)
Fast bärchenhaft-possierlich wirkt im Vergleich zur Eisenhüttenstädter Alltagsrealität die Analogie, die gestern Mechthild Küpper und Alfons Kaiser in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Beispiel der Knut'schen Eisbärenrabenmutter "Tosca" formulieren:
"Sie ist zu einer Symbolfigur geworden für die Menschen aus der DDR: erst gefangengehalten in einem viel zu kleinen Käfig, dann liquidiert von der Treuhand, schließlich mit Verhaltensauffälligkeiten in die Freiheit entlassen."
Wie man sich in einem maßgeblich von den Rudimenten einer "protestanischen Erwerbsethik" geprägten Gesellschaftsform abseits eines überväterlichen (oder auch "vormundschaftlichen") Staates orientiert, wenn man sehr deutlich merkt und vor Augen geführt bekommt, dass die Prädestination in weitem Bogen an einem und seiner Umwelt vorbeidonnert, und dabei irgendeinen Sinn abseits von Triebbedürfnissen entdeckt, haben die politischen Aufklärungsinstanzen der bundesdeutschen Demokratie offensichtlich nicht umfassend genug bis zum Grenzfluss getragen. Dass das aktuelle Schuldesaster und der weithin erfahrbare Soziokollaps dieser Stadt hier, wo dem Privatfernsehen und auf lokaler Ebene im OSF einem "Ruppert" die Weltdeutungshoheit überlassen wird, nicht unbedingt Erweckungseffekte nach sich zieht, kann man sich auch ausmalen...
Beschließt man, dem Elend zwischen Korbmacherstraße und Eierhof zu entfliehen und fährt in den nach wie vor allseits als Aushängschild der Stadt angepriesenen Stadtpark "Insel", stolpert man vom resignierten Regen direkt in die vandalisierte Traufe. Seit 1990 wurde an der ehemaligen Bowlingbahn und der Umgebung kein Handschlag getan und es scheint auch niemanden zu stören, jedenfall nicht die beiden hochrotgesichtigen mittelalten Herren, die mit ihrer Flasche Korn auf der Parkbank vor sich hin klagen, wie schlimm es das Schicksal doch mit ihnen meint. Lustigerweise wird jüngst in der Jungen Welt die Stadt Eisenhüttenstadt
kräftig gelobt:
Die Verantwortlichen von Eisenhüttenstadt stellten vor 1989 geschaffene Werke im öffentlichen Raum oder in öffentlichen Gebäuden ebenso unter Denkmalschutz wie architektonische Zeugnisse der DDR-Vergangenheit; sie sind Teil einer selbstbewußten Historiographie dieser Stadt
Die die Burschik'schen Werke umgebenden Anlagen, die zetrümmerten Gewegplatten, die Trinkbrunnen, die zum Sammelbehälter für Kronkorken geworden sind, wurden in diese Denkmalplanung natürlich nicht einbezogen und am Samstag bewies sich in aller deprimierender Deutlichkeit, dass man mit Gästen hier nicht mehr ohne größere Scham entlang gehen kann. Das macht natürlich auch keiner, jedenfalls an diesem Nachmittag, nur ein bisschen Geschrei dringt von der Minigolf-Grill-Anlage herüber, ein paar Jungs haben die Spielgeräte neben dem Skateboardpark besetzt und vertrödeln mit Bierchen und Kippchen den langweiligen Nachmittag, auf ein paar Bänken sitzen die Senioren, die den Niedergang der Anlagen, die sie als Aufbaugeneration womöglich selbst zusammenbauten, regungslos hin und freuen sich, wenn sie niemand anspricht. Überall Risse, überall Defekte.
Schließlich: Der Versuch in einem Lokal essen zu gehen, der kläglich scheitert, obwohl Geld hier ausnahmsweise wirklich keine Rolle spielt. Man trifft entweder auf eine geschlossene Gesellschaft oder die Restaurants der Stadt am Samstag öffnen ohnehin erst frühestens um 17 Uhr. "Mittagstisch lohnt sich nur am Sonntag" ist zu erfahren. Hier beweist Eisenhüttenstadt wie so oft, dass man, selbst wenn man möchte, nicht kann. Also fährt man wieder los, desillusioniert - denn irgendwie reist man doch immer wieder mit dem irrigen Glauben, dass es doch mehr als Symbole des Abstiegs geben könnte, an.
So schreibt man sich schließlich im Zug, ins Tagebuch, dass die Stadt als solche in einer Grundstimmung aus Gefangenheit, Enge und Verlorenheit davon zu driften scheint. Die Menschen scheinen erfüllt von Spannungsarmut und gekennzeichnet von einer Hingabe an das Unterdurchschnittliche.
In ihren Augen steht Misstrauen und/oder Häme und Verachtung gegenüber allem und sich selbst. Die Stadt, so der Eindruck, trägt eine billige Tünche von Ausdrucksarmut und Anspruchslosigkeit und schafft es nicht einmal zum Krämergeist. Die wahrnehmbaren städtischen Lenkungsbemühungen wirken uninspiriert bis hilflos, ausgezeichnet durch eine Vorliebe von Verweigerung und für totale (Abriss)Lösungen. So ist es nicht verwunderlich, dass Eisenhüttenstadt bestenfalls als Spektakel für Abriss- und Niedergangstourismus Besucher anzieht, jeder Andere, der sich hierher an einem Samstag wie diesem verirrt, aber versuchen wird, sofort wieder mit dem Eindruck einen der nicht nur kulturell vielleicht unambitioniertesten Orte geraten zu sein, abzureisen, den Schwur auf den Lippen tragend, möglichst jede künftige Berührung zu vermeiden.
So, wie sich Eisenhüttenstadt an Tagen wie diesem erlebbar macht, ist es leider nichts als eine höchst provinzielle ostdeutsche Kleinstadt im Niedergang, die aber auch rein gar nichts an Reiz, Inspiration oder Kultur zu vermitteln weiß, wobei erschreckenderweise nicht einmal die Desintegration irgendeinen (morbiden) Charme entwickelt. "Ich will zurück nach Eisenhüttenstadt.." - die Liste derer, die diesem Satz mit "Bloß nicht!" begegnen, wächst und man kann es verstehen. Leider ist wenig erkennbar, mit dem man diesem begegnet. Und auch des Bürgermeisters
Herumgefloskele verspricht da wenig Trost:
"Hier wird nicht nur abgerissen, hier entsteht auch etwas", forderte Werner Optimismus bei den Abgeordneten ein. "Sie tun so, als ob es nur Negatives gibt."
Heute leider ja. Denn das Problem, so scheint es, liegt weniger daran, dass alles schön geputzt, neu angestrichen und geschminkt wird, sondern dass alles auf eine höchst verengte Sicht eingeschränkt wird, deren Primat das subjektive Durchwurschteln ist. Nachhaltige und übergreifende Impulse versteht man dagegen kaum bis gar nicht zu setzen. Die kulturelle Verarmung ist offensichtlich und auch, welche Art von "Dynamik" das Stadtbild bevölkert. Horizontverengung, Indifferenz und Desinteresse sind leider die äußerlich sichtbaren Haupteigenschaften Eisenhüttenstadts, die die Besucher dieser Tage mitnehmen.
Und - vielleicht entgegen besseren Wissens - auch die Hoffnung, irgendwann tatsächlich entsprechende Gegeneffekte wahrzunehmen.
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