Wenigstens was die im weltumspannenden Datennetz "Internet" verfügbaren Berichterstattungen zu Eisenhüttenstadt angeht, ist der Winkel, über den wir hier gern nachsinnen, momentan Ballungsgebiet. Als erstes fällt die Anzeigenberichterstattung gegen den bis zum Januar noch amtierenden Bürgermeister Rainer Werner ins Auge. Der Hinweis auf die Amtszeit muss mitgeschoben werden, denn ein Teil der Eisenhüttenstädter spricht schon in einem ihn eigenen Alltagsfutur ehrfürchtig von der "Bürgermeisterin", wenn der Schnack auf die kommende Amtsinhaberin schwenkt. Die Anzeige wegen vermuteter Untreue und Vorteilsnahme im Amt stamm aus der selben Richtung, aus der auch die Anzeigen in einem lokalen Anzeigenblatt im Wahlkampf zu finden waren. Dem aktuelle Amtsinhaber wirft also die Initiative "Werner in Rente" Unlauterkeit in seiner Beziehung zu artecom (Freilichtbühnebespielung, Stadtfestorganisation) vor und verhagelt ihm damit womöglich den von ihr selbst auf ihrer Website ausgerufenen "wohlverdienten Ruhestand". Die Märkische Oderzeitung hat eine kleine Zusammenfassung zum Vorgang in der Ausgabe vom Montag: Anzeige gegen Bürgermeister. Wer mag, kann sich in das große Mutmaßen über die eigentliche Motivation von "Werner in Rente" einmischen und die entsprechenden Seiten in Werner Rupperts Problembuch "Blühende Landschaften" nachlesen (S.170ff.). Eine große Freude ist es aber in keiner Hinsicht und der Erkenntnisgewinn wiegt die Novemberstimmung, die sich bei der Lektüre wie von selbst und auch im Hochsommer einstellt, einfach nicht genügend auf, als dass wir uns daran beteiligen möchten.
Die Aufnahme stammt aus dem Mai 2009, einer Zeit, in der die SPD noch nicht ahnte, wie unwählbar sie auch dadurch wurde, dass sie mit den Finger auf andere zeigte, wo er auf sie selbst hätte weisen können. Macht nichts. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Ebenfalls im Mai 2009 stand das hinter dem eisernen Joselito-Schweinchen befindliche Postgebäude mit seinen schönen Leuchtern im Saal noch nicht zur Vermietung im Web. Jetzt ja.
Beteiligen, wenigstens als Zuschauer, wollen wir uns dagegen am Eisenhüttenstadt-Dossier, das der RBB in seinen 20 Jahre 20 Orte Erinnerungs-Flash eingebettet hat. Wahnwitzigerweise haben sich die Macher der Seite darauf eingelassen, den berühmten EisenhüttenStadtschreiber Andi Leser aufzunehmen und abspielbar zu machen. Er hockt ganz schön in der üblichen Falle, denn Eisenhüttenstadt lässt ihn wie so viele, die hier einst eingewurzelt waren, nicht los. Und nun muss er darüber öffentlich sprechen. Solch medientherapeutische Selbstbespiegelungen haben natürlich immer etwas Entblößendes. Den Hörer freut's. Wie es dem Leser dabei geht, wird oft ignoriert... Auffindbar wird der wohlklingende Tonschnipsel zu dieser Stadtwahrnehmung, wenn man sich zur Seite "Eisenhüttenstadt" vorarbeitet (z.B. über die Site-Map) und dort dann Sta(h)linstadt aufruft.
Dort hört man u.a. die einleuchtende These der Aktivierung von Erinnerungen durch das Verschwinden der Orte. Andererseits aktiviert man die Erinnerung auch durch die Niederschrift im Web und insofern ist die Eisenhüttenstädter Internetkultur auch eine Sammelbewegung, die sich in durch die Umwandlung mentaler Trackbacks in blogosphärische Form gießt. Ich erinnere mich beispielsweise, wie ich Andi Leser in den 1990ern im Schuppen des Club Marchwitza durch Vermittlung eines einmal beinahe Bürgermeisterkandidaten kennenlernte...
Auch das berühmte Stichwort "Perspektive Museumsstadt" mit Bewohnern mit Hauptberuf Bewohner fällt und zwar als Szenario für die dauerhafte Freisetzung aller lokalen Arbeitskräfte. Da sich aber aktuell die Papierfabrik in Höhe Vogelsang zwischen Bahnlinie und Kanal in einer Üppigkeit ausdehnt, dass selbst bei einem sofortig einsetzenden Rückbau Arbeitsplätze auf längere Sicht erhalten bleiben müssen, erweist sich diese Überlegung im Moment als eine neckische Utopie. Auch das Ende des Stahlbooms verzögert sich entgegen Andi Lesers Prognose bzw. geht erst wieder los, wie dpa heute tickert: Talfahrt gestoppt: ArcelorMittal in schwarzen Zahlen. Nicht ganz so unwahrscheinlich ist angesichts der Stadtumbauerfahrungen dieses Jahrzehnts, dass der sich einst bist ins Fürstenberg hineindickende Eisenhüttenstadt-Stadtgletscher auf das denkmalgeschützte Planungsgebiet der 1950er zusammenschmilzt und sich Andi Lesers Abscglußvision bewahrheitet. Kompakt, mit kleiner Innenstadt - schon hat das Stadtmarketing der Rumpfstadt einen seriösen Slogan für die Zukunft. Bei nur noch vier Wohnkomplexen ist das alte Wort "Viertel" dann auch das treffende. Eisenhüttenstadt - Wir schmelzen im Vierviertel-Takt. Das klingt!
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