Jüngst war ich für ein Wochenende in Eisenhüttenstadt und tat genau das, was ich seit Jahren längst vor hatte. Mit dem Basti Kober - seit Dekaden lieber Freund und Kupferstecher - erkundete ich Gebiete in der Stadt, die Abstellfläche unserer Kinderschuhe und Epizentrum einer spaßerfüllten Jugend waren.
Nach einem nächtlichen Besuch der Skiwiese zuvor, waren wir erfüllt von Eindrücken der Skyline bei Nacht. Ja - nicht nur um den Sternenhimmel zu genießen ist solch ein Besuch sehr zu empfehlen.
Der Klassiker - ein Abstich im EKO (Acelittal Eisenhüttenstadt Gesellschaft mit beschränkter Handlungsfreiheit) ist immer wieder nett anzusehen - doch ich schweife ab.
Die Idee, Stationen unserer Jugend neu zu entdecken fand ihre Umsetzung mit Beginn am Kindergarten 3. Haus "Sonnenhügel" macht natürlich als Name mehr her - aber zu unserer aktiven Zeit war solch Zierde nicht nötig. Besonders schön finde ich immer noch das Gebäude selbst. Geprägt von einer Zeit Eisenhüttenstadts, in der die Plattenbauweise noch keine Rolle spielte und somit zuliess, dass Gebäude mit der Zeit einen Charakter entwickeln konnten. Die meisten Erinnerungen bescherte uns jedoch der Garten hinter dem Haus - Spielplatz, Ort des rituell-nachmittäglichen Teetrinkens, die Mondschaukel und - besonders prägend für mich - ein metallenes Boot, dessen Kapitän jeder Junge sein wollte. Durch die Jahre leicht verändert zeigte sich dieser Garten - umwuchert von Bäumen und Gestrüpp - die wir früher allenfalls als Bäumchen (ohne Gestrüpp) wahrgenommen hatten. Sogleich fingen wir an, uns gegenseitig mit Erinnerungen in die Zeit vor nun 20 Jahren zu versetzen.
Leider musste die Mondschaukel weichen - ich befürchte sie hat wohl keinen TÜV mehr bekommen - fürher bestand die Funktionskontrolle darin, dass der Hausmeister eine Runde schaukelte, an allen beweglichen Teilen ordentlich rüttelte und dann sagte: "Naja, ich kann sie mal neu streichen."
Auch dass Boot ist verschwunden, es musste modernen Spielplatzfüllelementen weichen. Doch versichere ich jedem - solch ein Boot ist für ein Stadtkind unersetzbar. Prägend für Charakterstärke und Durchsetzungsfähigkeit war es, als kleiner John Maynard die "Schwalbe" über den Sandkasten fiktiv ans entlegene Ufer zu kommandieren. Ja ich stand am Bug und Gischt schäumte wie Flocken von Schnee - nein es war der Sand, den Oliver per Schaufel in unsere Gesichter beförderte - und diese Gefühle waren unbeschreiblich. Als Kapitän konnte man natürlich auch bei den Mädels ordentlich punkten. Ins Zeug legten wir uns auch beim nakt durch den Rasensprenger hüpfen und Sandkastenautobahn bauen. Abschließend flakerte die Erinnerung an einen Malwettbewerb auf, bei dem wir Bilder für den damals noch gefangenen Nelson Mandela malten. Leider ist mein Werk verschollen und kann nicht mehr zeigen, wie ein weißer, uniformierter Mann weinend in der Zelle saß und der gute Nelson grinsend daneben stand und einen Kaffee trank. Als nächstes zog es uns in die nächste Etappe des Heranwachsens.
Unweit des Kindergartens liegt der Schulhof der heutigen Realschule 1. Auch hier hatte sich - wie zu erwarten - einiges geändert. Durch den Wegfall der Primarstufe, ereignete sich auch der Wegfall des passenden Spielplatzes (auch die hundert Roller wird es wohl nicht mehr geben). Wie damals zeigte sich der dunkelgraue Asphalt - lediglich an einigen Stellen durch fast fünfzig Jahre alte Linden durchbrochen und von den Markierungen der Laufstrecke gezeichnet. Mit Bedauern stellten wir fest, dass der ehemalige Schulgarten nur noch eine verwucherte Grünfläche ist, wo rein gar nichts mehr "kultiviert" wächst. Welch Freude konnte man seiner Mutti bescheren, brachte man ein paar Gewächshaus-Paprika-Schoten mit nach Hause. Der kleine Schulhof - leicht separiert gelegen dient mittlerweile als Lehrkörperparkplatz. Wie clever ist denn die Idee, alle Lehrer erstmal über den gesammten Schulhof zum Parken fahren zu lassen? Naja, auf den einen oder anderen Schüler mehr oder weniger.....
Von Außen, blieb uns die Möglichkeit verwehrt, das Gebäueinnere zu erkunden, welches durch eine wunderschöne Architektur Perlen der Raumgestaltung behergt (tat es zumindest mal). Die gewundene Holztreppe auf das Dach zu den Biologie, Kunst- und Schlafräumen - die breiten Treppen links und rechts im Gebäude - das hatte Ausstrahlung. Mein innerster Wunsch, dass diese Schule Anfang der Neunziger Gymnasium werden sollte, hat sich wegen das Platzmangels nicht erfüllt. Da konnte das jetzige Gymnasium durch zwei zusätzliche Gebäude auftrumpfen. Wenigstens bescherte das Bestreben der Schule den Schülern neue Sanitäranlagen. Ob Werkenraum oder Pionierleiterzimmer, Schulmilchausgabe oder - gefürchtet von jedem - das "SCHULZAHNARZTZIMMER", jeder Winkel trägt Momente in sich. Eine Vielzahl von Ideen das Anderen brachten unsere Synapsen zum zappeln und wir schwelgten lachend in dieser Zeit. Wenn man genau zurückdenkt, sieht man so unglaublich viele Kleinigkeiten, die sich auf der eigenen Projektion der Zeit wiederfinden. Im Alltag ist man auf wenige Dinge fokussiert und es braucht manchmal die Synergie des gemeinsamen Erinnerns, um Dinge ans Tageslicht zu befördern.
Abschließend fuhren wir zum Albert-Schwoitzer-Gynmasium, welches auf Jahre nach der demokratischen Namensgebung (jawohl inklusive Schülerstimmen) vom Rest der Stadt als "Städtisches" bezeichnet wurde. Dort fand die Mutation des kleinen Jungen zum kleinen Jugendlichen statt. Geprägt von Erfahrungen mit der Frauenwelt, dem Alkohol und der großen Freiheit des motorisierten Fortbewegens, gab es auch noch den Part der Selbstfindung, der charakterlichen Festigung und der Erkenntnis zum Lauf der Welt. Es bildeten sich Revoluzzer, Pseudo-Revoluzzer, Genies, Punks, verlorene Seelen, Künstler, Ingenieure, Ärzte und Hausmeister aus dem Human Resource Pool aus. Auch wenn nach 13 Jahren erst die Befähigung zum Werden dieser Persönlichkeiten erlangt war, würde ich die Zeit als richtungsweisend bezeichnen.
Diese Episoden des Entwickelns hat ja jeder in mehr oder weniger ähnlicher Form erlebt, ich weiß jedoch für mich, dass die Rolle, die Eisenhüttenstadt für mich darin einnimmt, eine unbeschreiblich individuelle, durch endlos viele Details liebenswerte und facettenreiche ist. Die Heimat meiner ersten zwanzig Lebensjahre - eine emotionale Traumstadt in mitten der großen weiten Welt, oft nicht einmal tangiert von kosmopolitischem Sein - gebettet in einer Naivität, die eine Defloration diesbezüglich scheinbar auf ewig verhindert und mehr gibt, als man nehmen kann.
Um dies zu spüren muss man die Stadt verlassen haben. Erst die Erfahrung mit dem Anderen beschert die Erkenntnis, wie die Stadt denn ist, war, sein kann. Dieser Blick von Außen - wenn gleich auch ohne Anspruch auf Objektivität - zeichnet ein Bild, das an keine Hauswand passt.
Die Zukunft Eisenhüttenstadts liegt in den Gedanken der Menschen.
Seht Euch die Gedanken der Einwohner und dann die Stadt an.
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