Am Donnerstag morgen hatte die Petition zur Erhaltung des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt dann doch fast die Zahl von 1000 Unterschriften erreicht. (Genau waren es 997) An der Entscheidung selbst hätten aber auch 10.000 Unterschriften wenig geändert. Dazu hätte es wahrscheinlich eher eines wichtigen Anrufs aus Potsdam oder Berlin bedurft. Und der blieb leider aus. Offensichtlich hat die wissenschaftlich-dokumentarische Auseinandersetzung mit der DDR Alltagskultur dort keine wirkliche Lobby und das Zentrum ist, wie der Kulturstaatssekretär des Landes Brandenburg, Martin Gorholt, bei dieser Diskussion deutlich machte, am Ende eines Tages doch nur eine Kultureinrichtung unter vielen. Und auf lokalen Ebene war der Plan zwischen Stadtverwaltung und Landkreis längst so koordiniert und zugespitzt, dass die Entscheidung vom Mittwochabend unvermeidlich wurde. Zufrieden kann damit niemand sein.
Es ist eigentlich unerheblich, ob es bei der Aktion, wie doch recht offen kolportiert wird, vor allem darum ging, die unbeliebte Person des Leiters des Zentrums loszuwerden. Oder ob der Landkreis Oder-Spree das Beeskower Kunstarchiv über die Verschmelzung mit dem Dokumentationszentrum stabilisieren möchte. Oder ob man wirklich davon ausgeht, dass der winzige Tropfen von Einsparungen an dieser Stelle irgendetwas an der Haushaltslage der diesbezüglich vermutlich auf Lebenszeit ruinierten Stadt Eisenhüttenstadt ändert und die "Rettung" vorschiebt, um diese Kurzsichtigkeit positiv zu kaschieren.
Deutlich ist, dass hier nicht viel gerettet wurde. Man lässt die Sammlung nun für etwa 50.000 Euro (Landesmittel) schätzen und eventuell wird man daraus noch ein bisschen Kapital schlagen können. Der Landrat Manfred Zalenga hat in gewisser Weise "Vorkaufsrecht" und sich entsprechend schon mal für den Schnäppchenpreis des jährlichen Zuschusses den außergewöhnlichen Buchbestand gesichert. (vgl. hier)
Neben den persönlichen Schicksalen der nun arbeitslos gewordenen MitarbeiterInnen - was besonders deprimierend erscheint, weil man z.B. als Investor mit dem Argument, auch nur einige prekäre Arbeitsplätze zu schaffen, in Städten wie Eisenhüttenstadt bekanntlich fast jedes Zugeständnis aushandeln kann, in dieser Debatte der Aspekt der Arbeitsplatzerhaltung aber völlig unter den Tisch fällt - gibt es zwei großer Verlierer in diesem Spiel: die Stadt Eisenhüttenstadt und ihre Bürgermeisterin.
Letztere ist in der undankbaren Rolle, ihr Gesicht für eine Entscheidung hinhalten zu müssen, auf die sie gut wie keinen Einfluss nehmen konnte. Das Desaster muss sie nun als Erfolg verkaufen und naturgemäß wirkt sie dabei nicht besonders überzeugend. Ihre Vision eines Hauses "in das man immer wieder mit seinen Kindern und Enkeln gehen kann" (vgl. hier) ist stockbieder, farblos wie die DDR und hat nichts mit den Chancen, die das Zentrum bot, zu tun. Dass es ein Publikum gibt, welches nicht aus nostalgischem Vergnügen und melancholischem Kitzel den Zugang zur DDR-Vergangenheit sucht, sondern weil es eine bewusste Auseinandersetzung mit der DDR und auch ihrem Alltag für notwendig hält, um die Gegenwart und die Fragen nach einer (ost-)deutschen Identität sinnvoll behandeln zu können, wird völlig ignoriert. Die Tellerränder in Ostbrandenburg sind diesbezüglich offensichtlich auch 2012 noch sehr steil und aus der Innensicht kaum zu überwindende Mauern. Die historische Perspektive spielt vor allem dann keine Rolle, wenn die Einsichten unangenehm werden. Aus psychologischer Sicht ist das absolut nachvollziehbar. Genau deshalb bedarf es aber einer kritischen und professionellen Auseinandersetzung, die sich nicht in einer Museumspädagogik erschöpft, die Schulkindern schlichte Wahrheiten gleich welcher Art verkündet.
Insofern bestätigt sich in der aktuelle Sachlage bedauerlicherweise vollauf ein Klischee. Selbstverständlich müssen sich weder Manfred Zalenga noch Ilona Weser noch entsprechende Akteure in der Stadt Eisenhüttenstadt als Avantgarde der Auseinandersetzung mit diesem Teil der deutschen Geschichte und Identität präsentieren. Es ist aber doch erstaunlich, mit welcher Chuzpe sie die Möglichkeit, die durch eine historische einmalige Konstellation in Eisenhüttenstadt mit dem Dokumentationszentrum entstand, leichtfertig aufgeben und sich der Unverantwortlichkeit dieser Eskalation anscheinend überhaupt nicht bewusst sind.
Es ist klar, dass wenigstens Dagmar Püschel dann in der Falle sitzt, wenn die Neukonzeptionierung in den kommenden zwei Jahren scheitert. Denn jeder politische Gegner wird sie sehr leicht mit dem Verweis auf das Debakel mit dem Zentrum demontieren können. Ich schreibe das so deutlich, weil auch eine derartige Instrumentalisierung des Falls nicht minder skandalös wäre. Die Figuren im Hintergrund haben den Vorteil, nicht derart exponiert zu sein. Die Protokolle der Ausschusssitzungen bleiben leider diesbezüglich auch eher nebulös:
"Herr Gerlach erwidert die Aussagen von Herrn Dr. Ludwig und stellt klar, dass die bisherige Konzeption nicht mehr tragfähig sei.
Nachfragen der Ausschussmitglieder werden von Herrn Gerlach beantwortet."
Abgesehen von dem fadenscheinigen Finanzierungsargument (Tenor: "Alles muss auf den Prüfstand.") ist bislang an keiner Stelle ein sachlich überzeugender Grund für diesen radikalen Schnitt öffentlich geworden. Es kann selbstverständlich sein, dass der Eisenhüttenstädter Fachbereichsleiter für Kultur (und ein paar weitere Felder der Stadtgesellschaft) Kai-Uwe Gerlach in den entsprechenden Sitzungen die zwingenden Argumente hatte. An die Öffentlichkeit drang davon jedoch nichts.
Sabine Rennefanz hat die Situation in ihrem schönen Artikel für die Berliner Zeitung sehr präzise erkannt:
"Doch es geht nur vordergründig um Geld. Eigentlich dreht es sich um die Frage: Was für eine Art von Museum braucht Eisenhüttenstadt? Einen zentralen Ort des Erinnerns, der Wissenschaftler anzieht, oder ein Heimatmuseum, in dem sich die Region wiederfindet?"
Die Vorstellungen driften gewaltig auseinander und die Lokalpolitik hat nun deutlich aber doch auch mit einigem Bemühen zeigen können, wer die längeren Hebel bedient.
Dass ein Dokumentationszentrum, welches de facto in das Heimatmuseum der Stadt integriert wird, nichts mehr mit der Grundidee und der eigentlichen Stärke des Hauses zu tun hat, ist eindeutig. Die Degradierung des Anspruchs auf eine Regionalschau wäre viel weniger eine Weiterführung als eine Nachnutzung auf niedrigerem Niveau. Das kann sinnvoll sein, ist aber als wirksamer touristischer Anziehungspunkt kaum vorstellbar. Wer sich aus Oxford oder Mailand nach Eisenhüttenstadt begibt, tut dies nicht, weil er einen Motorroller Schwalbe sehen möchte. Sondern weil er verstehen möchte, wie dieses Mobilität versprechende Objekt den Alltag und die Binnenwahrnehmung der DDR-Bürger prägte.
Dass mit der Entscheidung der Stadt ein bestimmtes internationales Publikum ohnehin seinen Grund verloren hat, Eisenhüttenstadt zu besuchen, ist vermutlich nicht mehr umkehrbar. Es dürften vielleicht nicht mehr als tausend Besucher/Jahr, vorwiegend Tagestouristen, sein, die nicht mehr kommen. Der absolute Ausfall der Einnahmen für die Stadt ist selbst wenn sie irgendwo im Ort speisen und ein paar Souvenirs kaufen, eher gering in einem kleinen fünfstelligen Bereich zu finden. Aber es sind die Leute, die Fragen stellen, die in die Tiefe gehen wollen und die wiederum das Bild von Eisenhüttenstadt in Publikationen prägen, einfach weil sie z.B. als Kulturanthropologen professionell mit dem Themenfeld Planstadt und DDR-Vergangenheit befasst sind. Man schließt also diese Multiplikatoren aus, um einer Familie aus dem Landkreis einen fröhlichen Nachmittag mit Ostprodukten zu gestalten. Wenn man klar positioniert ist und von Außen auf die Sache schaut, dann ist das furchtbar deprimierend. Gerade weil das Zentrum 2013 einen Besucherrekord erwartet, international wahrgenommen wie noch nie zuvor und endlich die Drehzahl erreicht, die diesbezüglich sehr viel - auch qualitatives - Wachstum versprach. Nichts davon wurde offensichtlich von Land, Landkreis und Stadt erkannt.
Gerade deshalb muss man auch weiterhin darum kämpfen, dass am Ende nicht die Perspektive Heimatmuseum steht. Denn solch eines hat Eisenhüttenstadt bereits und auch wenn der Museumsleiter jetzt das Dokumentationszentrum mehr oder weniger begeistert übernimmt, bedeutet das ganz und gar nicht, dass ein zur Außenstelle des Städtischen Museums degradiertes Zentrum in irgendeiner Form akzeptabel sein kann. Das Fernziel kann jetzt nur sein, hier einen Ort auch der wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit (wieder) zu schaffen und zu stabilisieren.
Sollte das nicht möglich oder gewünscht sein, wäre es m.E. das sinnvollste Vorgehen, die zwei kommenden Jahre zu nutzen, um die Sammlung und das Konzept an einen Ort zu verbringen, an dem man tatsächlich gewillt und in der Lage ist, eine solche Einrichtung verantwortungsvoll und ihrem eigentlichen Sinn und Zweck entsprechend fortzuführen und auszubauen. Auch diese Option muss im Raum stehen können. Eisenhüttenstadt und der Landkreis sind laut Aussage von Ilona Weser in der RBB-Diskussion eindeutig nicht in der Lage, eine wissenschaftliche Einrichtung zu betreiben. Das muss man anerkennen und dann die entsprechenden Schlussfolgerungen, so schmerzhaft sie auch sind, ziehen.
Zeigte sich jetzt die Gelegenheit, die Sammlung beispielsweise nach Potsdam zu übertragen um dort ein entsprechendes Zentrum mit stimmiger Finanzierung aufzubauen, sollte Eisenhüttenstadt dies im Sinne der eminenten übergeordneten Bedeutung der Sammlung nach Kräften unterstützen und damit wenigstens Souveränität im Umgang mit der in jeder Hinsicht peinlichen Tatsache zeigen, dass man eine gewachsene Struktur und einen Standortvorteil aus kurzsichtigen Erwägungen zerschlägt. Reflektierte man den Umgang mit diesem Kulturobjekt in Eisenhüttenstadt in einem Gedankenspiel auf die regionale Wirtschaft, dann wirkt es schon nämlich ein wenig so, als würde man das Stahlwerk schließen, weil einem der Betrieb der Zufahrtsstraßen zu teuer erscheint...
Wir werden alle langfristig irgendwie mit der Entscheidung leben können und wer z.B. in Berlin wohnt, wird die Fahrten nach Eisenhüttenstadt nicht zwingend vermissen. Aber trotzdem haben wir gestern Abend erst einmal ziemlich viel verloren. Für Dagmar Püschel bleibt nun die Herkulesaufgabe einer de facto Wiederaufbauarbeit (oder eben der leichteren Totalabwicklung). Es erscheint schlichtweg absurd, dass sie sich dies zusätzlich zu all den anderen Problemen der schrumpfenden und alternden Stadt quasi ohne Not ans Bein binden muss. Aber wie schreibt heute die Märkische Oderzeitung in aller Klarheit: "Die Fakten, die geschaffen werden, sind nicht rückgängig zu machen." Man muss also daraus lernen, seine Schlüsse ziehen und nach vorn denken.