Im Jahr 1984 hieß der schweizerische Bundespräsident Leon Schlumpf. Im Jahr 1984 brachte Apple seinen Macintosh auf den Markt. Die meisten Deutschen sollten aber noch lange leckeres Weichtoffee aus der "Quality Street" mit diesem Markennamen assoziieren. Im Jahr 1984 wurde die - mehr oder weniger - Sibel Kekilli Dänemarks, Maya Ababadjani, geboren. Im Jahr 1984 starb das sowjetische Kurzzeitstaatsoberhaupt Juri Andropow und man erinnert sich noch sehr gut an die Trauer, die sich als schwarzer Schleier über DDR legte, als das Fernsehen der DDR aus diesem Anlass für eine Woche alle Filmkomödien und Unterhaltungssendungen aus der Programm nahm. Kaum ein Jahr später widerfuhr den DDR-Bürger nach dem Ablebens des Andropow-Nachfolgers Konstantin Tschernenko das selbe Unglück ein weiteres Mal, aber das wusste man zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wer allerdings den Gesundheitszustand des neuen Parteichefs kannte, wurde nicht gänzlich von dessen kurzer Regierungszeit überrascht...
Was allerdings 1984 die Gemüter Eisenhüttenstadt und überall sonst in der Deutschen Demokratischen Republik mehr noch als Richard Pettys 200sten NASCAR-Sieg am 4. Juli(!) (vgl. auch diese Diskussion bei uns) oder die Veröffentlichung von Iron Maidens Album Powerslave und sogar noch mehr als der Rücktritt des maltesischen Ministerpräsidenten Dom Mintoff kurz vor Weihnachten bewegen sollte, war ein rundes Jubiläum: zuckersüße 35 Jahre war das sozialistische Gesellschaftsexperiment am Blühen und Gedeihen und wurde mittlerweile auch international ganz gut wahrgenommen - in diesem Jahr gab es hochrangige Staatsbesucher aus Kanada, Griechenland, Italien und Schweden Berlin und die BRD gab eine Bürgschaft über 900 Millionen DM.
Die Finanzierung der Geburtstagsparty war also gesichert, was fehlte waren die geeigneten Jubiläumsbriefmarken. Dies allerdings nur bis zum (natürlich) 11. September. Dann gab die Deutsche Post der DDR nämlich einen vom Grafiker Detlef Glinski entworfenen Satz an die Postschalter, der mit den schon etwas eher emissionierten das halbe Dutzend an Feierpostwertzeichen voll machte. Später gab's dann doch mal vier Marken und einen Block und spätestens dann war es auch den eifrigsten Sammler genug mit der Selbstbauchpinselei.
Die Eisenhüttenstädter allerdings, die damals am 11. September 1984 z.B. noch am Platz der Jugend zu ihrer Filiale z.B. zum Telefonieren gehen konnten, staunten nicht schlecht, als sie sahen, dass der Wert zu 10 Pfennig ausgrechnet ihrem Eisenhüttenkombinat Ost gewidmet war.
Doch diese Freude über die Ehre hielt nur kurz und zwar bis sie die anderen Motive entdeckten: Dass die Waffenbrüderschaft 10 Pfennig mehr wert sein sollte, als der Friedensstahl, ließ man sich noch gefallen. Dass aber der höchste der drei Werte ausgerechnet das Petrolchemische Kombinat der Konkurrenzstadt Schwedt zeigte, war ungeheuerlich. Es gab Zeter und Mordio an den Schaltern, so die Legende, und viele der Ur-Eisenhüttenstädter sollen sich bis heute weigern, die Briefmarke zu verwenden oder gar zu sammeln. Sogar eingefleischte Philatelisten der Stadt konnten angesichts der Schmach nicht über ihren Schatten springen und tauschten den Satz sobald sie konnten gegen Blumenmotive aus Burkina Faso, das bis zu diesem Jahr noch Obervolta hieß.
Aber so war nunmal der Lauf der Dinge bzw. die Werteverschiebung in der Schwerindustrie der DDR: Die Erzeugnisse aus Schwedt (PUR-Möbel u.ä.) waren für die Konsumgüterversorgung und damit für die Volksstimmung wichtiger, als die Kaltbandcoils aus Eisenhüttenstadt. Und der Kraftstoff aus Schwedt wurde gleich auch nach der Raffinierung an die Westberliner Tankstellen transportiert. "Weniger produzieren mehr" (Devisen) war die Schwedter Devise. Eisenhüttenstadt dagegen bekam in diesem Jahr ja schon das Konverterstahlwerk von der österreischichen VOEST-Alpine auf's Feld gestellt, was einerseits wiederum Schilling in größeren Mengen in die drei Intershops der Stadt und vielleicht auch woanders hin spülte, da die Österreicher ihre Aufbauhelfer an die Oder schickten, die auch irgendwie ihre Nächte in der Nachtbar rumkriegen mussten und andererseits diesen symbolischen Ausgleich notwendig machte, um die Schwedter Chemiekumpel nicht ganz zu vergrätzen, da die letzte dortige Investition die Disziplinareinheit 2 der Nationalen Volksarmee war.
Wie auch immer hier Wahrheit und Dichtung gelagert seien, ich selbst erfreue mich an beiden Marken und die mit der "Waffenbrüderschaft" nehme ich einfach der Vollständigkeit halber und wegen den eigenartigen Helmen der NVA aus der Nationalen Militärtradition mit dazu. Da es hier im Blog aber um Eisenhüttenstadt geht und auch die Jubiläumsbriefmarken deshalb nur Mittel zum Zweck sein dürfen, gibt es als Abbildung nur die berühmte Michel-Katalog-Nr. 2895:
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