Stadtgespräch
1220 Statistik die Dritte.
Mit dem Rückgang der Gesamtbevölkerung im letzten Jahr um 442 Einwohner auf Stand 31.12.2012 29180 Personen stehen wir also einem Verlust von 1,5% gegenüber. Dies ist im Vergleich zum Vorjahr 2,38%(im jetzigen Artikel ergäben die Zahlen 2,1% - die Angaben variieren hier leicht) also ein dezenter Rückgang. Dieser liegt immer noch leicht über der Prognose von 1-1,4%. Damit kann man hochgerechnet die These aufstellen, dass die Stadt 2030 - wenn sich der Verlusteffekt nicht noch drastisch verstärkt, weil ein immer größerer Anteil an sehr alten Menschen auch tendenziell einen immer größeren Anteil an sterbenden Menschen im Verhältnis zu Neugeborenen zur Konsequenz hat - so in etwa 20000 Einwohner haben wird. Solange das AMEH und die Wirtschaft drumherum bleiben, wird dies auf gewisse Weise eine bremsende Funktion haben, es jedoch im Endeffekt trotzdem nicht absehbar machen, wohin die Reise geht. Irgendwann wird durch den Schrumpfungseffekt bei reinem "Aussitzen" der Situation die Stadt immer unattraktiver für junge Menschen aus der Stadt und für potenzielle Zuwanderer. Solange weiterhin des Potenzial der Stadt in kultureller, wissenschaftlicher und generell Lebensqualität bietender Hinsicht in den Abgrund gespart wird, ist letzterer Punkt schon jetzt nicht mehr gegeben - und leider erfordert es exponentiell hohe Aufwände, manche Dinge wieder Rückgängig zu machen -wenn dies überhaupt möglich ist. Gerade in einer schwierigen Situation trifft man ja keine Entscheidungen, die man bei sich wandelnder Stimmungslage oder Einsicht im Handumdrehen revidieren kann.
Eisenzeit und Eisenkinder
was hält das Herz so viele Winter,
immer wieder aufzubrechen?
An diesen Ort, kein Haun und Stechen.
Alles still liegt sie darnieder
uns´re Heimat im Gefieder
eines halb erfror´nen Seins
Hüttenstadt bist trotzdem meins.
Am Donnerstag morgen hatte die Petition zur Erhaltung des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt dann doch fast die Zahl von 1000 Unterschriften erreicht. (Genau waren es 997) An der Entscheidung selbst hätten aber auch 10.000 Unterschriften wenig geändert. Dazu hätte es wahrscheinlich eher eines wichtigen Anrufs aus Potsdam oder Berlin bedurft. Und der blieb leider aus. Offensichtlich hat die wissenschaftlich-dokumentarische Auseinandersetzung mit der DDR Alltagskultur dort keine wirkliche Lobby und das Zentrum ist, wie der Kulturstaatssekretär des Landes Brandenburg, Martin Gorholt, bei dieser Diskussion deutlich machte, am Ende eines Tages doch nur eine Kultureinrichtung unter vielen. Und auf lokalen Ebene war der Plan zwischen Stadtverwaltung und Landkreis längst so koordiniert und zugespitzt, dass die Entscheidung vom Mittwochabend unvermeidlich wurde. Zufrieden kann damit niemand sein.
Es ist eigentlich unerheblich, ob es bei der Aktion, wie doch recht offen kolportiert wird, vor allem darum ging, die unbeliebte Person des Leiters des Zentrums loszuwerden. Oder ob der Landkreis Oder-Spree das Beeskower Kunstarchiv über die Verschmelzung mit dem Dokumentationszentrum stabilisieren möchte. Oder ob man wirklich davon ausgeht, dass der winzige Tropfen von Einsparungen an dieser Stelle irgendetwas an der Haushaltslage der diesbezüglich vermutlich auf Lebenszeit ruinierten Stadt Eisenhüttenstadt ändert und die "Rettung" vorschiebt, um diese Kurzsichtigkeit positiv zu kaschieren.
Deutlich ist, dass hier nicht viel gerettet wurde. Man lässt die Sammlung nun für etwa 50.000 Euro (Landesmittel) schätzen und eventuell wird man daraus noch ein bisschen Kapital schlagen können. Der Landrat Manfred Zalenga hat in gewisser Weise "Vorkaufsrecht" und sich entsprechend schon mal für den Schnäppchenpreis des jährlichen Zuschusses den außergewöhnlichen Buchbestand gesichert. (vgl. hier)
Neben den persönlichen Schicksalen der nun arbeitslos gewordenen MitarbeiterInnen - was besonders deprimierend erscheint, weil man z.B. als Investor mit dem Argument, auch nur einige prekäre Arbeitsplätze zu schaffen, in Städten wie Eisenhüttenstadt bekanntlich fast jedes Zugeständnis aushandeln kann, in dieser Debatte der Aspekt der Arbeitsplatzerhaltung aber völlig unter den Tisch fällt - gibt es zwei großer Verlierer in diesem Spiel: die Stadt Eisenhüttenstadt und ihre Bürgermeisterin.
Letztere ist in der undankbaren Rolle, ihr Gesicht für eine Entscheidung hinhalten zu müssen, auf die sie gut wie keinen Einfluss nehmen konnte. Das Desaster muss sie nun als Erfolg verkaufen und naturgemäß wirkt sie dabei nicht besonders überzeugend. Ihre Vision eines Hauses "in das man immer wieder mit seinen Kindern und Enkeln gehen kann" (vgl. hier) ist stockbieder, farblos wie die DDR und hat nichts mit den Chancen, die das Zentrum bot, zu tun. Dass es ein Publikum gibt, welches nicht aus nostalgischem Vergnügen und melancholischem Kitzel den Zugang zur DDR-Vergangenheit sucht, sondern weil es eine bewusste Auseinandersetzung mit der DDR und auch ihrem Alltag für notwendig hält, um die Gegenwart und die Fragen nach einer (ost-)deutschen Identität sinnvoll behandeln zu können, wird völlig ignoriert. Die Tellerränder in Ostbrandenburg sind diesbezüglich offensichtlich auch 2012 noch sehr steil und aus der Innensicht kaum zu überwindende Mauern. Die historische Perspektive spielt vor allem dann keine Rolle, wenn die Einsichten unangenehm werden. Aus psychologischer Sicht ist das absolut nachvollziehbar. Genau deshalb bedarf es aber einer kritischen und professionellen Auseinandersetzung, die sich nicht in einer Museumspädagogik erschöpft, die Schulkindern schlichte Wahrheiten gleich welcher Art verkündet.
Insofern bestätigt sich in der aktuelle Sachlage bedauerlicherweise vollauf ein Klischee. Selbstverständlich müssen sich weder Manfred Zalenga noch Ilona Weser noch entsprechende Akteure in der Stadt Eisenhüttenstadt als Avantgarde der Auseinandersetzung mit diesem Teil der deutschen Geschichte und Identität präsentieren. Es ist aber doch erstaunlich, mit welcher Chuzpe sie die Möglichkeit, die durch eine historische einmalige Konstellation in Eisenhüttenstadt mit dem Dokumentationszentrum entstand, leichtfertig aufgeben und sich der Unverantwortlichkeit dieser Eskalation anscheinend überhaupt nicht bewusst sind.
Es ist klar, dass wenigstens Dagmar Püschel dann in der Falle sitzt, wenn die Neukonzeptionierung in den kommenden zwei Jahren scheitert. Denn jeder politische Gegner wird sie sehr leicht mit dem Verweis auf das Debakel mit dem Zentrum demontieren können. Ich schreibe das so deutlich, weil auch eine derartige Instrumentalisierung des Falls nicht minder skandalös wäre. Die Figuren im Hintergrund haben den Vorteil, nicht derart exponiert zu sein. Die Protokolle der Ausschusssitzungen bleiben leider diesbezüglich auch eher nebulös:
"Herr Gerlach erwidert die Aussagen von Herrn Dr. Ludwig und stellt klar, dass die bisherige Konzeption nicht mehr tragfähig sei.
Nachfragen der Ausschussmitglieder werden von Herrn Gerlach beantwortet."
Abgesehen von dem fadenscheinigen Finanzierungsargument (Tenor: "Alles muss auf den Prüfstand.") ist bislang an keiner Stelle ein sachlich überzeugender Grund für diesen radikalen Schnitt öffentlich geworden. Es kann selbstverständlich sein, dass der Eisenhüttenstädter Fachbereichsleiter für Kultur (und ein paar weitere Felder der Stadtgesellschaft) Kai-Uwe Gerlach in den entsprechenden Sitzungen die zwingenden Argumente hatte. An die Öffentlichkeit drang davon jedoch nichts.
Sabine Rennefanz hat die Situation in ihrem schönen Artikel für die Berliner Zeitung sehr präzise erkannt:
"Doch es geht nur vordergründig um Geld. Eigentlich dreht es sich um die Frage: Was für eine Art von Museum braucht Eisenhüttenstadt? Einen zentralen Ort des Erinnerns, der Wissenschaftler anzieht, oder ein Heimatmuseum, in dem sich die Region wiederfindet?"
Die Vorstellungen driften gewaltig auseinander und die Lokalpolitik hat nun deutlich aber doch auch mit einigem Bemühen zeigen können, wer die längeren Hebel bedient.
Dass ein Dokumentationszentrum, welches de facto in das Heimatmuseum der Stadt integriert wird, nichts mehr mit der Grundidee und der eigentlichen Stärke des Hauses zu tun hat, ist eindeutig. Die Degradierung des Anspruchs auf eine Regionalschau wäre viel weniger eine Weiterführung als eine Nachnutzung auf niedrigerem Niveau. Das kann sinnvoll sein, ist aber als wirksamer touristischer Anziehungspunkt kaum vorstellbar. Wer sich aus Oxford oder Mailand nach Eisenhüttenstadt begibt, tut dies nicht, weil er einen Motorroller Schwalbe sehen möchte. Sondern weil er verstehen möchte, wie dieses Mobilität versprechende Objekt den Alltag und die Binnenwahrnehmung der DDR-Bürger prägte.
Dass mit der Entscheidung der Stadt ein bestimmtes internationales Publikum ohnehin seinen Grund verloren hat, Eisenhüttenstadt zu besuchen, ist vermutlich nicht mehr umkehrbar. Es dürften vielleicht nicht mehr als tausend Besucher/Jahr, vorwiegend Tagestouristen, sein, die nicht mehr kommen. Der absolute Ausfall der Einnahmen für die Stadt ist selbst wenn sie irgendwo im Ort speisen und ein paar Souvenirs kaufen, eher gering in einem kleinen fünfstelligen Bereich zu finden. Aber es sind die Leute, die Fragen stellen, die in die Tiefe gehen wollen und die wiederum das Bild von Eisenhüttenstadt in Publikationen prägen, einfach weil sie z.B. als Kulturanthropologen professionell mit dem Themenfeld Planstadt und DDR-Vergangenheit befasst sind. Man schließt also diese Multiplikatoren aus, um einer Familie aus dem Landkreis einen fröhlichen Nachmittag mit Ostprodukten zu gestalten. Wenn man klar positioniert ist und von Außen auf die Sache schaut, dann ist das furchtbar deprimierend. Gerade weil das Zentrum 2013 einen Besucherrekord erwartet, international wahrgenommen wie noch nie zuvor und endlich die Drehzahl erreicht, die diesbezüglich sehr viel - auch qualitatives - Wachstum versprach. Nichts davon wurde offensichtlich von Land, Landkreis und Stadt erkannt.
Gerade deshalb muss man auch weiterhin darum kämpfen, dass am Ende nicht die Perspektive Heimatmuseum steht. Denn solch eines hat Eisenhüttenstadt bereits und auch wenn der Museumsleiter jetzt das Dokumentationszentrum mehr oder weniger begeistert übernimmt, bedeutet das ganz und gar nicht, dass ein zur Außenstelle des Städtischen Museums degradiertes Zentrum in irgendeiner Form akzeptabel sein kann. Das Fernziel kann jetzt nur sein, hier einen Ort auch der wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit (wieder) zu schaffen und zu stabilisieren.
Sollte das nicht möglich oder gewünscht sein, wäre es m.E. das sinnvollste Vorgehen, die zwei kommenden Jahre zu nutzen, um die Sammlung und das Konzept an einen Ort zu verbringen, an dem man tatsächlich gewillt und in der Lage ist, eine solche Einrichtung verantwortungsvoll und ihrem eigentlichen Sinn und Zweck entsprechend fortzuführen und auszubauen. Auch diese Option muss im Raum stehen können. Eisenhüttenstadt und der Landkreis sind laut Aussage von Ilona Weser in der RBB-Diskussion eindeutig nicht in der Lage, eine wissenschaftliche Einrichtung zu betreiben. Das muss man anerkennen und dann die entsprechenden Schlussfolgerungen, so schmerzhaft sie auch sind, ziehen.
Zeigte sich jetzt die Gelegenheit, die Sammlung beispielsweise nach Potsdam zu übertragen um dort ein entsprechendes Zentrum mit stimmiger Finanzierung aufzubauen, sollte Eisenhüttenstadt dies im Sinne der eminenten übergeordneten Bedeutung der Sammlung nach Kräften unterstützen und damit wenigstens Souveränität im Umgang mit der in jeder Hinsicht peinlichen Tatsache zeigen, dass man eine gewachsene Struktur und einen Standortvorteil aus kurzsichtigen Erwägungen zerschlägt. Reflektierte man den Umgang mit diesem Kulturobjekt in Eisenhüttenstadt in einem Gedankenspiel auf die regionale Wirtschaft, dann wirkt es schon nämlich ein wenig so, als würde man das Stahlwerk schließen, weil einem der Betrieb der Zufahrtsstraßen zu teuer erscheint...
Wir werden alle langfristig irgendwie mit der Entscheidung leben können und wer z.B. in Berlin wohnt, wird die Fahrten nach Eisenhüttenstadt nicht zwingend vermissen. Aber trotzdem haben wir gestern Abend erst einmal ziemlich viel verloren. Für Dagmar Püschel bleibt nun die Herkulesaufgabe einer de facto Wiederaufbauarbeit (oder eben der leichteren Totalabwicklung). Es erscheint schlichtweg absurd, dass sie sich dies zusätzlich zu all den anderen Problemen der schrumpfenden und alternden Stadt quasi ohne Not ans Bein binden muss. Aber wie schreibt heute die Märkische Oderzeitung in aller Klarheit: "Die Fakten, die geschaffen werden, sind nicht rückgängig zu machen." Man muss also daraus lernen, seine Schlüsse ziehen und nach vorn denken.
I
Die Anreise zum Stammtisch von Antenne Brandenburg in Eisenhüttenstadt am 21.11. war zwar buchstäblich eine Nacht- und Nebelaktion. Hatte man es aber bis zur Bierschwemme im Gebäude des ehemaligen Aktivisten geschafft, fand man einen mit Scheinwerfern wenigstens einseitig bestens ausgeleuchteten Veranstaltungsraum vor.
Auch wenn ich vor Ort eher Unschlüssigkeit hinsichtlich einer Nachbereitung der Veranstaltung für das Eisenhüttenstadt-Blog kundtat, zeigt sich mit einem Tag Abstand, dass es vielleicht doch anbietet, wenigstens die persönlichen Eindrücke und Notizen noch einmal aufzuarbeiten.
Denn wichtig war die Veranstaltung zweifellos und zwar nicht etwa nur für das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, dessen unklare Perspektive erwartungsgemäß die Debatte dominierte und weitere Aspekte des gröber gefassten Themenrahmens Nationales Erbe – Alltag und Kunst der DDR Sammeln – dokumentieren – vergessen? auf die Randplätze verwies. Sondern auch für die politische Kultur in Eisenhüttenstadt: Es war ein seltenes Beispiel für einen öffentlichen Experten-Entscheider-Bürger-Trialog und gerade dass die Aufstellung zum Austausch eher unbequem an Stehtischen erfolgte, bewahrte auch das Abgleiten in eine etwaige Talkshow-Seligkeit.
Wenigstens für die an der Sachlage Interessierten – wobei der übervolle Raum auf ein erhebliches öffentliches Interesse hindeutete – waren so gut wie alle Redebeiträge hoch relevant. Besonders natürlich die, bei denen man spontan den Widerspruch aufsteigen spürte. Dass es entsprechend öfter einmal ziemlich quer durcheinander ging, gehört zur Natur dieser Angelegenheit und war auch nicht weiter dramatisch, da es ja vor allem darum ging, jeweilige Positionen deutlich zu benennen. Die Moderatoren Andreas Oppermann und Andreas Rausch hakten diesbezüglich denn auch mal direkt nach, wenn die Aussagen etwas zu sehr an Kontur zu verlieren drohten.
["" vollständig lesen »]Der SPD-Ortsverband lädt für den 01.12. zu einem Solidaritätstag für den Erhalt des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR. Die Gründe, die er dafür anführt, sind durchaus nachvollziehbar: die Einrichtung ist wichtig für die Stadt, auch für den Tourismus und sie zu schließen wäre eine weitere Ölspur auf der abschüssigen Straße der Stadtentwicklung, auf der sich Eisenhüttenstadt ganz objektiv nun mal befindet.
Aber das reicht natürlich nicht. Und ein bisschen geizt man auch mit Fakten und weiterreichenden Schlüssen. Dazu zählt nämlich die Tatsache, dass eine Gesamtschließung des Ausstellungszentrums mit immerhin zu erwartenden ca. 10.000 Besuchern in diesem Jahr rein vertraglich nicht möglich ist. Die erst im Februar eröffnete Dauerausstellung muss rein vertraglich noch ca. zehn Jahre gezeigt werden – die Frage ist nur wie und in welchem Rahmen. Den Mitarbeitern des Hauses wurde immerhin bereits im Sommer gekündigt, so eine kleine Personalumschichtung oder der Betrieb über einen Minijob dafür als zureichend angesehen wird. Wie weit langfristig wirklich ein Einspareffekt gegeben ist, bleibt offen. Es geht um 76.000 Euro für die Stadt und 55.000 für den Kreis (und einen kleinen Ausschlag bei den Einnahmen in Folge des anstehenden Verkaufs des Depotgebäudes). Im Gegenzug würde in diesem Szenario das in die Dauerausstellung investierte (öffentliche) Geld (800.000 Euro) weitgehend entgegen dem eigentlichen Zweck in einer Notveranstaltung versenkt. Auch das darf man durchaus gegenrechnen.
Objektiv ist die Stadt Eisenhüttenstadt langfristig in fast jeder Hinsicht so gut wie zahlungsunfähig und es ist kein Weg abzusehen, wie überhaupt Linderung eintreten soll. Ein radikaler Sparkurs führt jedoch in eine Abwärtsspirale, die überhaupt nichts löst. Da so gut wie niemand wirklich verpflichtet werden kann, dort zu wohnen, rotiert damit im Effekt mutmaßlich das Abwanderungskarussell weiter. Denn das Leben in einer sich auflösenden Stadt ist nun einmal denkbar unattraktiv.
Diese stadtkulturelle Desintegration kumuliert nicht unbedingt im Dokumentationszentrum selbst, das für wenige Eisenhüttenstädter wirklich regelmäßiger Anlaufpunkt sein dürfte. Aber es ist ein exemplarischer Fall. Zumal hier einer der wenigen Gründe tatsächlich beseitigt wird, so etwas wie dauerhaften Tourismus und damit auch eine Kommunikation mit der Außenwelt herzustellen. Das Gästebuch im Foyer des Hauses ist eine Dokumentation geballter Internationalität – die Danksagungen, guten Wünsche, auch einige kritische bis nörgelnde Anmerkungen stammen fast durchweg von Menschen, die einzig wegen des Dokumentationszentrums in diese kleine ostbrandenburgische Stadt reisten. Die Attraktionskraft des Hauses dürfte all das, was der Tourismusverband zusammenbringt, bei weitem übertreffen.
Dabei geht es nicht um eine Disneylandschaft der Erinnerung an die DDR, sondern zunächst einmal um das Bewahren einer Spurenlage, die man so nirgends vorfindet und die sich gerade in der Kombination aus sozialistischer Planstadtanlage, postsozialistischer Indifferenz oder auch Verklärung in großen Teilen der verbliebenen Stadtbevölkerung und einer Art Forschungsstelle u. a. zur Wechselwirkung von beiden Aspekten ausdrückt. Ohne Probleme könnte man aus der eigentlichen Sammlung einen Publikumsmagneten in der Landeshauptstadt erstellen oder in Berlin eine Art Hyper-Ostel für neugierige Reisende aus Übersee schaffen. Aber gerade die seriöse und nicht vordergründig auf das Spektakel setzende Ausrichtung des Hauses bedient ein Publikum, das sonst wenig in den Blick genommen wird. Die Aufarbeitung des prägenden Bausteins der deutschen Nachkriegsgeschichte (von den unsäglichen Nostalgieschauen abgesehen) abseits der großen politischen Linien findet in dieser Form nirgends einen Entfaltungsraum. Diese Dimension der überregionalen Bedeutung verblasst in den aktuellen Debatten leider sehr und auch die vom Landrat des Kreises Manfred Zalenga genannten Gründe der Streichung des landkreislichen Finanzierungsanteils gipfeln in einer fast grotesken Verkennung der übergeordneten Funktion dieser Einrichtung:
„Das Dokumentationszentrum ist im Kulturleben der Stadt und des Landkreises nicht wahrnehmbar, bei Kulturveranstaltungen im Landkreis sind der Leiter und der Trägerverein nicht anwesend.“
Das Gesicht zu zeigen wird in dieser Evaluation über den Daumen höher gehängt als die eigentliche Arbeit. Vermutlich ist es sogar tatsächlich ein Versäumnis, dass der Trägerverein nicht offensiver auf gutes Wetter in dieser Hinsicht hinarbeitete. Der soziale Konnex ist häufig das entscheidende Zünglein an allen möglichen Waagschalen. Aus einer sachlichen Perspektive ist das jedoch ein Gruß aus Absurdistan.
Natürlich ist das Dokumentationszentrum auch ein Teil des lokalen Kulturlebens. Aber eben nicht mit einem Einzugsgebiet, das irgendwo hinter Beeskow endet, sondern mit einem, das auch Publikum aus Los Angeles einschließt. Der Anspruch einer primären Nahversorgung für ein Haus mit diesem Konzept ist vor allem eines: eine Fessel. Wenn das Dokumentationszentrum aber seine Arbeit gut ausübt und ausüben kann, ermöglicht es für die Region zugleich einen Anschluss an die Welt.
Es ist aus der Betrachtung des regionalen Diskurses zum Thema und vielleicht auch ein Defizit in der Selbstdarstellung des Dokumentationszentrums erstaunlich, dass diese Tatsache weithin ausgeklammert wird.
Das Dokumentationszentrum in Eisenhüttenstadt ist eindeutig ein Gewinn für die Stadt (und den Landkreis) und die überregionale Bedeutung eine Trumpfkarte die – aus welchen Gründen auch immer – bisher noch viel zu wenig ausgespielt wurde. Wenn die Finanzierung aus eigenen Mitteln kaum mehr zu bewältigen, so wäre es die eigentlich logische Schlussfolgerung, alles daran zu setzen, gemeinsam mit dem Zentrum alternative Finanzierungsmöglichkeiten zu finden, um es hier aufrechtzuerhalten oder auszubauen. Stattdessen aber kündigt man der Sammlung erstmal das Depot für ein eher fragwürdiges Projekt.
Wie eingangs erwähnt ruft der SPD-Ortsverband nun zu einem Solidaritätstag für den Erhalt des Zentrums am 01.12. auf. Ziel ist ein Bekenntnis zu Einrichtung durch Präsenz und dabei nicht zuletzt mit einem Zeichen der Unterstützung derer, die sich nach wie vor für aktiv um eine Lösung zum Weiterbetrieb bemühen. In einer Diskussion zum Vorhaben wurde mit gehöriger Vehemenz und nicht immer in ganz fein gewähltem Ton eingewandt, dass die SPD als Initiator unglaubwürdig sei. Ich denke, in diesem Fall geht diese Behauptung völlig fehl. Das Anliegen ist nämlich kein parteipolitisches, sondern schlichtweg aus Gründen der Vernunft geboten. Es ist per se überparteilich und gerade wenn man der SPD nicht nahe steht, bietet sich hier die Pflicht, das Thema nicht einer einzigen Fraktion zu überlassen, sondern zu einem von Parteizugehörigkeiten unabhängigen Anliegen auszubauen.
Die Schließung des Dokumentationszentrums wäre nicht nur ein hochnotpeinlicher Flurschaden für Landkreis und besonders die Stadt, dessen Kosten in keinem Verhältnis zu dem Einsparvolumen des Hauses stehen. Sondern nicht weniger als ein dramatischer Verlust für die Erinnerungskultur der Bundesrepublik Deutschland.
Vor diesem Hintergrund ist es besonders dringlich, auch von außen zu zeigen, dass es nicht akzeptabel scheint, wie hier lokale Budgetüberlegungen leichtfertig zur Demontage eines derart bedeutsamen Fixpunkts der deutschen Kulturgeschichte führen. Die Aufgabe professioneller Lokalpolitik ist nicht zuletzt, Wege zur Erhaltung zu erfinden. Streichen und Aufgeben findet sich dagegen nicht im Leistungskatalog. Wenn Vertreter dieser Seite bei der Kulturveranstaltung der lokalen Zivilgesellschaft anwesend wären, hätte das sicher eine positive Wirkung.
In jedem Fall besteht 01.12.12 die Möglichkeit, direkt vor Ort darüber zu sprechen und zwar nicht zuletzt mit dem Ziel, die Politik selbst beim Finden dieser Wege zu unterstützen. Und obendrein möglicherweise eine der letzten Gelegenheiten, das Dokumentationszentrum für Alltagskultur der DDR in der aktuellen Form zu besuchen.
Kommt nach der Ausstellung "Alles aus Plaste" die Ausstellung "Alles aus und vorbei"?" Neu ist die schwierige Lage freilich nicht, wie ein Blick ins Jahr 2006 zeigt:
"Im Rahmen einer künftigen Ausstellung zum Alltag in der durchherrschten Gesellschaft können die Sammlung Industrielle Gestaltung (HdG), Teile des Fundus des Deutschen Historischen Museums, des Kunstarchivs Beeskow und der mittlerweile 70 000 Objekte umfassenden Sammlung des derzeit gänzlich unbefriedigend untergebrachten Dokumentationszentrums Alltagskultur Eisenhüttenstadt einbezogen werden. In diesem Zusammenhang ist es dringend erforderlich, eine langfristige Perspektive für das in seiner Existenz bedrohte Dokumentationszentrum zu entwickeln, dessen Sammlungstätigkeit unbeschadet der gegenwärtig nur provisorischen Präsentationsmöglichkeiten eine Aufgabe von gesamtstaatlicher Bedeutung darstellt. Dabei sollte zugleich die bestehende örtliche Verankerung des Zentrums genutzt werden, um es museal stärker mit der Stadtlandschaft von Eisenhüttenstadt zu verbinden, die ihrerseits ein einzigartiges Sachzeugnis für die alltagskulturelle Aneignung einer städtischen Sozialutopie bildet." - Expertenkommission eines Geschichtsverbunds zur Aufarbeitung der SED-Diktatur / Frankfurter Rundschau, 16.05.2006
Die ganz großen Fortschritte gab es seit dem in dieser Richtung leider nicht. Nun übertreibt man es in Eisenhüttenstadt aber wirklich ein wenig, in dem man einerseits die Ausstellung völlig torpediert und andererseits das Depot räumt, um es für altersgerechte Wohnungen zu nutzen. Stadtverwaltung und EWG könnten nur berechtigt entgegenhalten, dass auch Zeitzeugen bei der Aufarbeitung eine Rolle spielen. Allerdings bleibt offen, ob sich die Zielgruppe tatsächlich in eine solche Rolle fügen möchte? Oder ob sie vor allem nicht zu Bewältigung ihrer gegenwärtigen Alltagskultur in die Räumlichkeiten des Depot zieht? Auch darf man nicht vergessen, dass sich gelebte Erinnerung zwar eine Weile tapfer hält, aber eben nicht ewig. Trotz denkmalgeschütztem Planstadtensemble.
Pressespiegel zum Thema
Märkische Oderzeitung (28.08.2012) Dok-Zentrum demnächst ohne Trägerverein (Stefan Lötsch)
Märkische Oderzeitung (25.06.2012) Dokumentationszentrum für DDR-Alltagskultur vom Aus bedroht (dapd)
Märkische Oderzeitung (04.06.2012) "Vorwürfe sind unbegründet" (Stefan Lötsch)
Oder-Neiße-Journal (02.06.2012) Stellungnahme zur Kritik des Landrats Manfred Zalenga am Dokumentationszentrum
Märkische Oderzeitung (25.05.2012) Kreis will aus Dok-Zentrum aussteigen (Stefan Lötsch)
Märkische Oderzeitung (20.05.2012) "Das ist einfach unkapputbar" (Janet Neiser)
Märkische Oderzeitung (15.05.2012) Plaste soweit das Auge reicht (Janet Neiser)
Märkische Oderzeitung (10.05.2012) Sparkonzept für die Kultur (Stefan Lötsch)
Märkische Oderzeitung (26.04.2012) Kulturkampf um die Zuschüsse (Janet Neiser)
rbb online (09.03.2012): Dauerausstellung "Alltag: DDR": Mittendrin in der Geschichte
Märkische Oderzeitung (26.02.2012) Sparplan gefährdet DOK-Zentrum (Janet Neiser)
Deutschlandradio Kultur (23.02.2012): Ein Mix aus Informationen und Alltäglichem (Axel Flemming)
Märkische Allgemeine Zeitung (23.02.2012): Neue Dauerausstellung und doch Geldsorgen (Martin Stefke)
Märkische Oderzeitung (23.02.2012) Zeitreise durch die DDR-Geschichte (Janet Neiser)
Neues Deutschland (23.02.2012): Die Schwalbe und das Pioniertuch (Leticia Witte)
taz (16.02.2012): Ostalltag soll eingespart werden (dpa)
Märkische Oderzeitung (16.09.2011) Aushängeschild "DOK-Zentrum" (Janet Neiser)
Märkische Oderzeitung (24.08.2011) Stadt will sich Zuschuss sparen (Stefan Lötsch)
Dagegen wächst die Zahl der Friends of Fans, also der potentiell maximal erreichbaren Menge von Facebook-Nutzern leicht an und liegt immerhin bei aufsehenerregenden 211.981. Als Publikum eines Nebenthemas wie "Stadtwahrnehmung Eisenhüttenstadt" ist das schon nicht zu verachten. Natürlich erreichen wir diese mittlere virtuelle Großstadt nie komplett und nur manchmal in Andeutungen. In der Regel resonieren unsere Inhalte aktiv höchstens im Umfang einer Hausgemeinschaft (Fünfgeschosser), manchmal immerhin dem eines halben Wohnblocks.
Aber eigentlich kommt es darauf auch gar nicht an. Denn es geht uns mehr darum, mit den kleinen Impulsen, die von dieser Plattform ausgehen können, überhaupt auf Resonanz zu stoßen und dieses Blog nicht völlig als private Nabelschau durchzuholzen. Wer es genau wissen will: Mit jedem Facebook-Beitrag erreichen wir im Schnitt passiv etwa 700 Personen. Falls nicht etwas außerordentlich Außerordentliches passiert, dürften wir uns in diesem Bereich auch langfristig stabilisieren.
Was wir uns möglicherweise statt weiterer quantitativer Expansion als persönlichen Anspruch ins Blogbuch schreiben könnten, ist, die bestehenden Bindungen zu intensiveren und - so die Idealvorstellung - ein bisschen mehr Aktivität anzuregen. (Vergessen darf man aber nie, dass das Ganze nur nebenbei, ehrenamtlich und ergebnisoffen stattfinden kann.)
Als zentrale Frage bleibt nach wie vor: Aber wie? Wieland hatte in seinem kurzen Kommentar zu einem Hinweis auf die Initiative Sag Ja zu Schwedt! - einer Beispielvariante, wie man in schrumpfenden Planstädten Ostdeutschlands aktiv an der stadtgesellschaftlichen Identität zu arbeiten versucht - schon irgendwie recht: Es müssen nicht immer hauptstädtische Einbrüche (finanziert aus "aus Mitteln des Regionalbudgets zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur") sein. Zumal damit erfahrungsgemäß nicht selten Vorstellungen ("Schwedt soll cool werden.") in die Stadtgesellschaft eingespielt werden, die nicht zwingend mit den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort harmonieren müssen.
Jahrelange Erfahrungen mit externen Beobachtern, Wissenschaftlern, Journalisten und sonstig Intervenierenden in Eisenhüttenstadt zeigen, dass die eigentliche Naivität mitunter sogar eher bei denen liegt, die aus den Metropolen anreisen, um die Stadt als krude-hippes Objekt ihrer Vorstellungen und zu ihren weltläufigen Zwecken be- und verarbeiten. Oder besser: der Mangel an Fingerspitzen-, Fein- und sonstigem Gefühl für das, womit man hier interagiert. Die häufige Grobmaschigkeit dieser Betrachtungsform ist an sich nicht unbedingt schlecht und oft sogar im Ergebnis sehr schön. Die Folgen für die Stadtgesellschaft sind aber selten nachhaltig, wenn sie nur als Untersuchungsgegenstand herhalten darf. Kurz gesagt: Vieles was über die Stadt angefertigt, geschrieben, gefilmt usw. wird, hat nur eingeschränkt wirklich mit ihr zu tun. Eisenhüttenstadt steht gerade mit den musealisierten Zonen des Flächendenkmals und vor dem Hintergrund der aktuell wieder etwas an Schwung gewinnenden öffentlichen Auseinandersetzung mit der DDR immer ein wenig in der Gefahr, als hübscher Zoo benutzt zu werden. Der Tourismusverein fördert das mit seiner hohlen Iron-Hut-City-Hysterie leider auch nicht gerade gering.
Selbstverständlich sollte man diese externen Interessenlagen auch nutzen und stützen. Nach innen jedoch benötigt man einen Gegenpol, ein gesundes und gegenwartsbezogenes Selbstbewusstsein, sofern man nicht nur als Dauerausstellung der Alltagskultur einer fortgesetzten DDR verstanden werden will. Eisenhüttenstadt sollte durchaus bei allem entspannt-ironischem Spiel mit den Jahren vor 1989 als fest in der Jetztzeit verankerter Lebensort wenigstens wirken können. Zum Schritt in diese Richtung gehört es, dass man die Fixierung auf übergestülpte Leistungen, Zentralverwaltung und rathäusliche Steuerung, die nach wie vor oft so ausgeprägt ist, als befänden wir uns noch im Aufbaustadium der Planstadt, relativiert. Zweifellos ist die Stadt Ergebnis eines Generalstabsplans. Aber wie schon Rilke wusste - diese semantische Biegung zum Kalauer muss ich jetzt einfach erzwingen -: Auch hinter tausend Stäben gibt es keine Welt. Jedenfalls im Zoo. Abgesehen davon besitzt eine Planstadt wie jeder Plan und jede Stadt einen Eigensinn, der dafür sorgt, dass am Ende völlig etwas anderes entstanden ist, als es sich die jeweiligen Gründungsväter erträumten. Damit - und zwar hauptsächlich damit - muss man zu Rande kommen.
Der Schritt sollte also einer fort vom Abschieben sämtlicher Verantwortung auf Stäbe und Pläne und "die Stadt" sein. Eine bewusste Hinwendung zu den u.a. im Grundgesetz verankerten Rechten, Pflichten und Teilhabemöglichkeiten an einer pluralistischen Gesellschaftsgestaltung hebt den Fuß. Der permanente öffentliche Austausch und die Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum der Stadt Eisenhüttenstadt, wie ihn dieses Weblog seit 2006 anzuregen versucht, setzt ihn. Das sichtbare kommunikative Handeln dieser Art ist dank der technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts vergleichsweise sehr einfach geworden. Was nach wie vor fehlt, sind die vielleicht 700 Menschen, denen Eisenhüttenstadt genug am Herzen liegt, dass sie sich regelmäßig darin einbringen. Oder wenigstens glorreiche 7. Obwohl so viele sich dann doch finden lassen.
Eine in keiner Weise überraschende und sich immer neu bestätigende Einsicht der statistischen Auswertungen ist übrigens auch, dass die Medienmenschen des 21. Jahrhunderts selten Lust auf viel Text haben. Dafür umso lieber auf Bilder reagieren. Darum soll es für heute bei diesen Zeilen bleiben. Der Rest ist Blühen (bzw. Blütenlesen):
(Dass diese Verse auch beim Zirkel Schreibender Arbeiter nicht die geringste Chance auf Anerkennung hätten, wissen wir selbst. Aber manchmal kann man eben nicht anders.)
P.S. Man bat mich, etwas über Denkmalschutz und/oder Denkmalschutzimmobilien in Eisenhüttenstadt zu schreiben, weil man mit solchen in mehrfachen Sinne kontextsensitiven Herausforderungen auch dieses Weblog am Laufen hält. Vielleicht fällt mir demnächst mal etwas dazu ein. Manchmal muss man trotz allem Kompromisse eingehen - nicht nur einer nur Facebook-statistisch präzise bestimmbaren Zielgruppe gegenüber.
Zwei kleine Ereignisse öffneten letztes Eisenhüttenstadt als Thema für eine breitere Öffentlichkeit. Einerseits sendete Samstagnachmittag das Deutschlandradio Kultur eine Stunde Programm live aus der Kleinen Bühne des Friedrich-Wolf-Theaters. Andererseits eröffnete das von einer städtischen Finanzierungslücke bedrohte Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR seine in den ersten Reaktionen hochgelobte neukonzipierte Dauerausstellung.
Beides verknüpfte sich kurzzeitig als die Moderatorin des Berliner Kulturradios zum Außenreporter in der Erich-Weinert-Allee schaltete, der dem Zentrumsleiter Andreas Ludwig einige Minuten für die Ausstellungsbeschreibung einräumte. Letzterer hielt sich sehr höflich hinsichtlich der Unklarheiten, vor die seine Einrichtung gestellt wird, zurück und schwärmte zufrieden, wie gut man mit der neuen Präsentation an sich zu Rande kam.
Man versteht das ein bisschen, bedauert es aber auch. Natürlich ist das Konzept der Deutschlandrundfahrt eher das der harmlosen Begleitung des Nachmittagtees der Zuhörer an den Lautsprechern daheim. Dennoch war die kreuzbrave Nummernrevue, zu der Moderatorin Miriam Rossius die ausgewählte Stadtprominenz von der Bürgermeistern über die medial sehr präsente Stadtplanerin Gabriele Haubold bis hin zu Stahlwerksvertretern zum Kurzvortrag auf die kleine Bühne der Kleinen Bühne bat, als wären es Pennäler bei einem Schulfest, auf eine Art enttäuschend lasch. Einzig die O-Ton-Collage aus der Stadtgeschichte zu Beginn der Sendung lies etwas Aufbruchsgeist spürbar werden. Dieser jedoch stammt aus einer ferner, heute verkehrten Zeit, nämlich einer, in der der Fackellauf des Jungpoiniers Werner Garkisch zum Anblasen des Hochofens noch unkritisch zum identitätsgrundieren Ereignis erhoben werden konnte.
Nun ist es vielleicht ein wenig gemein, zu behaupten, diese wattige Ausgabe der Deutschlandrundfahrt knüpfte in ihrer Ausstrahlung ein bisschen an solche Traditionslinien an. Ab so ganz abseitig ist der Eindruck, den eine Zuhörerin danach mit dem Zusatz "wie die Aktuelle Kamera" äußerte, leider nicht. Dabei wäre es tatsächlich spannender gewesen, bei den Beteiligten bis Verantwortlichen, wenn man sie schon einmal ohne Fluchtpunkt vor dem Mikrofon hat, etwas intensiver nachzuhaken, wie denn eigentlich die Stadtgesellschaft den Exodus eines Großteils ihrer Bevölkerung verkraftet? Oder was man mit den unendlich weiten neuen Freiflächen vorhat? Oder inwiefern die gefeierte Musealisierung der Stadt in Gestalt des Flächendenkmals dem verbliebenen Rest an Stadtkultur zureichende Zukunftsaussicht sein kann? Die Desintegration einer alternden und schrumpfenden Stadt aufzuhalten scheint nach wie vor die vordringliche Herausforderung in Eisenhüttenstadt zu sein - und zwar wenigstens solange, bis sich das Problem schlicht demografisch erledigt. Die Konzentration auf denkmalgeschützte Fassaden dürfte dafür nicht reichen.
Immerhin hat man sich nachvollziehbar in den 1990er Jahren noch heftig gegen die Aussicht, auf ein "DDR-Museum" reduziert zu werden, gewehrt. Heute geht man leicht anders aber immer noch sehr halbherzig mit diesem Ansatz um und stellt darüber hinaus mit DOK-Zentrum das Wenige an kulturellem Kapital, was in den frisch verputzten Wohnkomplexen verblieb, fahrlässig zur Disposition. Eigenartigerweise pflegt man also schmale Tellerränder wie gewohnt weiter, poliert dieses Geschirr und stellt es auch gern mal zur Schau, nimmt aber zugleich in Kauf, dass der Rest an substantiellem Gehalt verloren geht.
Was man in Eisenhüttenstadt, vielleicht auch aus allgemeiner Überforderung, nicht versteht, ist, dass die Verwaltung dieser Stadt mit ihrer spezifischen Vergangenheit nicht nur eine Verantwortung für die paar verbliebenen Einwohner im Hier und Jetzt besitzt, sondern auch eine übergeordnete Verantwortung der Konservierung und Nutzbarmachung der Stadt als nationales Zeitdokument in Stein und Struktur. Natürlich schafft sie es nicht allein. Sich aber mit der abgedroschensten aller Erklärungen aus der Verantwortung zu ziehen, sendet ein denkbar falsches Signal aus:
"Wir haben an vielen Ecken sparen müssen. Das Zentrum ist kein Ausnahmefall", sagte Stadtsprecherin Kathrin Heyer auf Anfrage.
Dabei müsste gerade hier gerade dieses Zentrum ein Ausnahmefall sein. Und es müsste mittlerweile fest im Bewusstsein stehen, dass Planstadtanlage und -geschichte auch als idealtypisches Symbol dessen, was die DDR war und sein sollte und die wahlweise nostalgische oder kritische Erschließung und Vermittlung dieser Eigenschaften das darstellen, was von Tom Hanks bis zu den Veranstaltern der Berlin Biennale externe Akteure reizt, sich hierher und in eine wie auch immer geartete Auseinandersetzung zu begeben. Dazu kommt die völlig unterbelichtete Dimension der unmittelbaren Nähe zum riesigen Transformationsraum Osteuropa. Allein dass diese geographische Positionierung in Eisenhüttenstadt und der Stadtentwicklung so gut wie keinen Niederschlag findet, ist einer zusätzlichen Reflektion wert - so wie sehr häufig genau die Dinge, die fehlen, am spannensten sind.
Daraus könnte/müsste man durchaus mehr (soziales, kulturelles und sonstiges) Kapital schlagen. Dass sich die entsprechende externe Zielgruppe aber vor dem vollkommen fantasie- und stadtbezugslosen Souvenir-Sortiment des Tourismusvereins mutmaßlich in keiner Weise ernst genommen fühlen kann, zeigt, wie man hier Gelegenheiten, aus dem Stadtmarketing wirklich etwas zu machen, aus welchen Gründen auch immer, vergibt. Vielleicht gibt es tatsächlich Interessenten für "Ein Wochenende Feuerwehr". Aber vermutlich gäbe es ein bis zwei Potenzen mehr Interessenten für "Ein Wochenende Erste Sozialistische Stadt (im ewigen Auf-, Ab- und Umbruch)". Vielleicht hätte man zu diesem Zweck das zentral zerfallende Hotel Lunik mal den Betreibern des Berliner Ostels ans Herz legen sollen.
Man kann von der Deutschlandrundfahrt des Deutschlandradio Kultur sicher nicht wirklich erwarten, dass das liebenswürdige Konsensprogramm der Landrundschau viele wirksame Impulse für solche Diskurse setzt. Es wäre aber schön gewesen, wenn sowohl die Auswahl der Gesprächspartner wie auch der Gesprächsthemen wie auch der Gesprächsführung die Chance genutzt hätte, ein paar Nuancen jenseits eines rundum affirmativen Kaffeekränzchens einzustreuen. Das Schlimme an dem auch aus provinzjournalistischer Sicht grausigen Bericht Jürgen Pahns zum Ereignis in der Märkischen Oderzeitung ist denn auch, dass er der Veranstaltung weitgehend gerecht wird. Einzig das Schlagwort Deutsche Demokratische Republik setzt ein Pünktchen Orginalität daneben. Insgesamt muss die Sendung auch als eine verschenkte Chance gelten, die Stadt vor einem größeren Publikum ein Stück weit differenzierter abzubilden. Aber die immer stetig lächelnde Moderation kündigte ja an, dass man (nach 2004) auch ein drittes Mal für diese Sendung nach Eisenhüttenstadt reisen wird. Und zwar ca. im Jahr 2018.
Bis dahin (und völlig unabhängig davon) bleibt das Anliegen dieses Weblogs nach wie vor, bestimmte Facetten der Stadt in einer Art digitalem Archiv festzuhalten. Wobei naturgemäß die breite stadtbiografische Spur, die aus der Zeit bis 1989 stammt und bis heute nachhallt, im Mittelpunkt steht und stehen wird. Im Gegensatz zum touristisch-informationellen Mainstream mit seinen Tom-Hanks-Wanderungen und Feuerwehrstadtausflügen sind es gerade die Brüche, Idiosynkrasien und auch das Scheitern der Idee einer heilen sozialistischen und heute einer gern verheilt seienden post-sozialistischen Stadt, die diese Spurensuche und -sammlung prägen.
(via twitter.com/tzwen71)
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