Stadtbild
Einmal das Doppelte... zum Mitnehmen bitte.
Vor zwei Jahren kommentierte ich hier: Blogpost den damaligen MOZ Artikel und gern setze ich diese Tradition fort.
Im aktuellen Beitrag ist die Rede von 742 Eisenhüttenstädtern (die Aussagen des Landesamtes decken sich erstaunlicherweise nicht mit denen der Stadt), die der Mosaikstadt an der Oder im letzten Jahr 2011 absolut betrachtet durch den Mix aller Arten des Verlassens verloren gegangen sind. Dies wird mit einer Auswahl von kleinen Dörfern im Umland anschaulich bebeispielt (dieses Wort gibt es so nicht vermute ich). Ich persönlich glaube, die Abrissbilder und das damit einhergehende Verschwinden von Wohnkomplexen veranschaulichen mindestens genauso bildhaft den Bevölkerungsrückgang, wie die Vorstellung eines Geisterdorfes "Vogelsang".
Leider vermisse ich im Artikel, wie vor 2 Jahren, einen relativen Vergleich. Gern auch mit anderen Gemeinden Brandenburgs (oder darüber hinaus), um die Höhe des Ordens des "Spitzenreiters", auf der man ihn sich an die Brust steckt, doch konkreter zu bestimmen. Erkenntnisreicher und erschreckender finde ich die Aussage, dass dies in Relation betrachtet einem Bevölkerungsrückgang von etwa 2,38% entspricht. Vor zwei Jahren war den genannten Zahlen (Details im oben verlinkten Artikel des EH-Blogs) zu entnehmen, dass es einen Rückgang von etwa 1,14% gab. Zwei Jahre später beträgt dieser also mehr als das Doppelte! Das ist doch mal eine Aus- und Ansage!
Die damalige Prognose ergab rechnerisch, dass bis 2030 der Bevölkerungsrückgang pro Jahr etwa 1% - 1,4% betrage. Wenn das letzte Jahr kein statistischer Ausreißer ist, erreicht man die prognostizierten absoluten Einwohnerzahlen bereits kurz nach 2020.
Und nun muss man doch mal genau schauen: Gab es vor 2 Jahren weniger ausgelaufene Azubi-Jahrgänge (also Temporäreisenhüttenstädter), sind vor 2 Jahren in Relation zur Einwohnerzahl mehr Einwohner gestorben, gab es mehr als doppelt so viele Zuzüge im Verhältnis zu den Stadtauswanderungen...es existieren einige Faktoren, die eine Rolle spielen und die man einmal beleuchten könnte. Ich wünsche mir im Stadtjournalismus eine stärkere Betrachtung der Dinge hinter dem Offensichtlichen. Das macht für mich den Mehrwert an so einem Artikel aus.
Der Vulkanausbruch aller Kausalität schlummert jedoch darin, dass die Aussage eines Herrn Rump: "Mit Frankfurt (Oder) liege die Stahlstadt als regionaler Wachstumskern sehr gut im Rennen." Wie folgt von der MOZ kommentiert wird: "Tatsächlich unterstreicht die Statistik die Aussagen von Rump. So ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 2010 zu 2011 nahezu gleich geblieben, es hat also keinen Abbau gegeben."
Einmal ganz isoliert betrachtet: Wieso heißt "kein Abbau", dass man als "Wachstumskern gut im Rennen" ist? Wo steckt man denn hier die Ziele? Die rückläufigen Geburten und die zunehmende Zahl von sterbenden alten Menschen einfach nur, weil es immer mehr alte Menschen und immer weniger junge Erwachsene im Verhältnis gibt, haben kurzfristig eine sehr geringe Auswirkung auf die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter. Der Artikel schließt damit, dass er endet. Ein Fazit...Fehlanzeige. Was passiert eigentlich mit Schulden einer Gemeinde, die es nicht mehr gibt? Ist Stadtauflösung (alle Einwohner ziehen für 3 Monate in einen Campingwagen und melden sich in Bomsdorf an) und eine komplette Neugründung die Lösung aller Probleme? Scherz beiseite. Die interaktivste Form eines Blogeintrags ist es wohl, wenn sich der Inhalt während des Verfassens ändert, weil der besagte Artikel bereits kommentiert wird. Auch dabei stellt man im gleichmäßigen Fluss fest, dass es neben der anonymen Jammer- und Schuldzuweisungsfraktion nur die leider fast ausschließlich ungehörten Aufforderungen zu Eigeninitiative und Mitgestaltung gibt. Aus meiner Perspektive habe ich immer schnell das Gefühl, es fehlt ein dritter Spieler in dieser Runde. Ein Impulsgeber. Aber die Eisenhüttenstadtkultur will keine Impulse. Sie will Ergebnisse, Lösungen, Geschaffenes, vollendete Tatsachen. Die einzig akzeptierte Vision ist die Television. Ist das so? Henry Ford sagte einmal: "Die Kultur frisst die Strategie zum Frühstück." Ich denke dies gilt für Organisationen in gleichem Maße wie für Gemeinden. Letztlich beides Systeme von Menschen mit etwas Umwelt. Mit Kultur ist hier die Mentalität samt ihrer Ausprägungen gemeint. Auch wenn dieser Beitrag hier selbst fern von solider journalistischer Arbeit sehr unstrukturiert erscheinen mag, möchte ich zumindest mein Fazit beisteuern. Die Essenz ist die Überschrift - der Stöpsel ist porös und man strudelt sich innerhalb von 2 Jahren doppelt so schnell aus der bequemen Badewanne. Die gravitative Bindungsenergie zwischen den Einwohnern und der Stadt lässt nach. Oder wird das Beziehungsverhältnis auf die Stadt übertragen? Richtet man sich im Beklagen der Macken des anderen ein, weil das Angehen der eigenen genauso schwer fällt? Ist das Stadtfest der jährliche Sommerurlaub vorm Balkon oder das Grillen in der Gartenlaube, bei dem für den Moment des Erlebens Geld und Sorgen (und Geldsorgen) egal sind? Gilt hier einmal mehr - leider mit negativer Interpretation: "Zeit rennt, Leben trennt. Sein und Gewesenes bleibt."? Wie viel Trennung (vielleicht nur auf Zeit?) ist fruchtbar, wie viel darf bleiben, ohne den Blick vom Horizont abwärts auf die Schuhspitzen zu verlieren?
Gar wie viel Freiheit ertragen Gedanken, wenn sie es sich im Alltagskäfig aus Aluminium und Plaste nett eingerichtet hatten oder haben?
„Du wolltest etwas anderes als ich, höre ich dich sagen. Die Zweige brechen wie Glas. Ein Mann und eine Frau, aber sie sehen nicht mehr so aus, als ob sie zusammengehörten.“ – Franz Tumler: Volterra (Innsbruck: 2011, S. 23)
So ist alles prima (vera) im Lot im Frühling: Eben brach das Radio mit einer Variation des Bill Evans Trios über die Urfrage der Zwischenmenschlichkeit in den Abend: What is This Thing Called Love? Dabei fällt es zugegeben nicht leicht „Just who can solve this mystery? Why should it make a fool of me?“ über diese Version so zäh- bis zartschmelzend zu singen, wie man es von Lena Horne kennt.
Aber letztlich ist die bekanntere Fassung von Billy Holiday ja auch die schönere. Und die von Sarah Vaughan die schwungvollere. Und die Frage an sich das Entscheidende. Und Cole Porter stellte sie nur als Stellvertreter, wenn auch in einer Weise, die die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts außerordentlich prägte. Sein Lied saust um die Welt und immer wieder mal plötzlich auch zu per Funkwelle auf einen leise tönenden Lautsprecher. Und so erinnert es mich plötzlich daran, dass ich schon längst auf die Spuren natürlich mehr des Verliebtseins als des hochkomplexen Phämonens der Liebe in Eisenhüttenstadt aufmerksam machen wollte.
Eigentlich weiß es jeder: Wenn man als junger verliebter Eisenhüttenstädter ein kleines Händchen für Romantik beweisen möchte, dann ist ein Ausflug in einer milden, tiefbestirnten Sommernacht auf die Hänge der Diehloer Berge keine schlechte Wahl. Und obwohl man von der Plattform der stillgelegten Sprungschanze eher einen schlechteren Blick über die Stadt hat, als vom einen Steinwurf entfernt in die Landschaft gebeulten Hollywood-Hügel, empfiehlt es sich, einmal halbschüchtern mit dem Mädchen der Wahl dort angekommen zu sein, den Aufstieg auf die Schanze vorzuschlagen.
Denn freundlicherweise muss man dafür eine Absperrung überwinden, die eigentlich kein Hindernis darstellt. Sondern vielmehr etwas zutiefst Verbindendes. Die nicht allzu komplizierte Hürde ist nämlich exakt schwierig genug zu übersteigen, dass man seiner Begleitung ohne Aufdringlichkeit wie selbstverständlich die Hand zur Hilfestellung reichen kann. Das Händchen für die Romantik trifft so zufällig das Händchen des Ziels der Romantik. Und wo sich Hand und Hand finden, finden sich nach gemeinsamen Aufstieg vielleicht auch Mund und Mund und wo man frisch verliebt küsst, stört es kein Bisschen, wenn sich dichtes Blattwerk in die Sichtachse auf die Planstadt schiebt. Diese Form des Zueinanderfindens über der Stadt ist eine der sympathischsten Traditionen der Stadtgeschichte und wer sich dieser in seiner Jugend nicht unterwirft, wird hier vielleicht einen bisschen weniger jung gewesen sein. Aber man kann es natürlich jenseits der Teenager-Jahre noch nachholen.
Wenn man sich an einem Sonntagnachmittag allein zur Schanze begibt, um nachzuprüfen, ob sie überhaupt noch steht, schwingt mehr oder weniger bedauerlich etwas weniger Romantik mit. Die frühen Falter des Märzes machen die Unternehmung für diejenigen, die einen Nerv dafür haben, immerhin zu einer angenehmen lepidopterologischen Exkursion. Alltagssemiotiker wie ich erfreuen sich dagegen an den Narben und Zeichen, die die verliebten Stunden der Anderen auf dem Blech des Sprungschanzengerüstes hinterließen. Hinter jedem dieser A.+B.=Love forever stehen mindestens zwei Lebensverläufe, manchmal halbe (oder gar ganze) Dramen, mitunter auch ein Happy End mit drei Kindern und nahezu immer Schmetterlinge nicht auf dem Feldweg sondern irgendwo südlich der Sonnengeflechte.
All das ist, wie auch immer die Sache ausgeht, ein Glück vor allem im Moment. Nicht nur Fritz Kreisler wusste: „Die Liebe kommt, die Liebe geht“ und so vergeht einem durchaus auch mal auch die Lust, beim „Frühling in der Schönhauser“ eine gebissene Lippe zu riskieren, weil man das Lied in großem Überschwang des Herzens an jemanden band, der es mitnahm, als die Liebe wieder einmal gerade ging. Aber glücklicherweise ist die Welt der Liebeslieder nahezu unerschöpflich. Selbst bei einem hochpromisken Lebenswandel dürfte immer noch ein neues unübertrefflich schönes und unbelastetes Musikstück für den nächsten siebten Himmel über den sieben Wohnkomplexen (bzw. was davon nach all den Jahren übrig ist) bleiben. Man muss einfach nur mal im 80. Stockwerk nachsehen.
Die Erinnerungskultur blüht derweil stahlstadtadäquat auf dem Metall der Schanzenfassung und es ist ein der angenehmsten Aufgaben dieses Weblogs, diese Repräsentationen flink und frühlingsglücklich flatternder Herzen ins Digitale zu retten. Und dass das als Einstieg gewählte Zitat aus dem vermutlich gelungsten Text des nicht mehr allzu bekannten Schriftstellers Franz Tumlers schmerzlich wahr aufzeigt, wie man bedauerlicherweise nach den meisten der konsequent durchlebten Verliebtheiten wieder vom Berg hinuntersteigt, soll nichts daran ändern, dass man dennoch immer wieder mal hinaufgeht, um nachzusehen, ob die Schanze mit der Hoffnung, dem Glück und dem wilden Herzgeklopfe der weiten Sommernächte noch da ist.
Nachfolgend also ganz unkommentiert ein paar Dokumente lokaler Herzensangelegenheiten.
["" vollständig lesen »]Eine recht dankbare Form der Beschäftigung mit Eisenhüttenstadt ist zweifellos die Fotografie. Mehr als 3200 Aufnahmen zum Schlagwort allein bei Flickr sind vielleicht nicht allein zahlenmäßig ein überzeugender Beleg für Fotogenität. Der Blick auf die einzelne Aufnahme zeigt jedoch, dass diese Menge nur äußerst selten durch entsprechend ausgezeichnete Kindergeburtstags- oder Hochzeitsdokumentationen unterfüttert ist und überwiegend tatsächlich der Stadtraum die Motivwahl bestimmt. Allein der Kollege vom Stream Kunst am Bau steuert bislang fast 350 aufsehenerregende Aufnahmen zur baugebundenen oder sonstwie in der Stadt verstreuten Kunst bei.
Bei vielen der mit einiger Regelmäßigkeit stattfindenden fotografischen Stadtwanderungen, die er, ich oder wir beide oder auch andere unternehmen, geht es mittlerweile zumeist um die Suche nach einer besonderen Perspektive. Eisenhüttenstadt ist natürlich überschaubar genug, um binnen vergleichsweise kurzer Zeit nah an eine lichtbildnerische Gesamterhebung zu gelangen. Spannend bleibt jedoch, die Nuancierungen im Stadtbild, die leichte und mitunter dank Stadtumbauprogrammen auch gravierenderen Veränderungen und bestimmte Spannungen des Stadtraums differenziert und differenzierend zu fassen.
Als persönliches Ziel steht demnach - wenn man es strikt urheberrechtsdefinitorisch betrachtet - den Schritt vom Lichtbild zum Werk zu vollziehen und vom bloßen Abbilden zum schöpferischen Umgang mit dem vorgefundenen Licht, dem gegebenem Raum und dem verfügbaren technischen Material zu gelangen. Das glückt nicht immer und mit der Zeit wachsen selbstverständlich die Ansprüche. Ein Bild, das mich vor einigen Jahren hin-, weg- und mitgerissen hätte, erscheint mir nun vielleicht aufgesetzt und oberflächlich. Andersherum entdecke ich in den mittlerweile üppig bestückten digitalen Fotoarchiven regelmäßig ältere Bilder, die mir zuvor nie als besonders interessant erschienen, mich aber in einer momentanen Stimmung und sanfter zeitlicher Distanz durchaus genügend berühren, um sie im Hauptstrom des fotografischen Dialogs mit dem Stadtraum abzubilden.
Dass die hochspannende Facette der Abbildung von Menschen in der Stadt ihre persönlichkeitsrechtlichen Grenzen hat, wirkt sich freilich leicht beschränkend auf den Spielraum des Zeigbaren aus. Wer bei Flickr blättert, weiß, dass sich dort nicht jeder immer daran hält. Mir scheint eine gewisses Sensibilität jedoch auch abseits des Rechtsrahmens geboten, weshalb bestenfalls zufällig und/oder verdeckt und/oder aber im Rahmen eines öffentlichen Geschehens tatsächlich Personen auf der visuellen Fahrbahn der Stadtabbildung auftauchen sollten. Wo immer ein Mensch erscheint, greift für mich in jedem Fall die Grundregel der fotografischen Distanz.
Neben den Bildern, in denen ich für mich etwas sehe, das dem ähnelt, was Roland Barthes in seiner Fotografie-Philosophie als punctum beschrieb, gibt es die Hybriden. Diese Bilder finde ich ganz in Ordnung, hübsch oder aus irgendeinem Grund interessant. Aber nicht passend für die Flickr-Hauptauswahl. Diese Aufnahmen schlüpfen bisher vorwiegend in den Photo-Folder der Facebook-Gruppe zum Weblog und finden dort auch ihr Publikum.
Da schließlich Anfragen zur Verwendung einzelner Aufnahmen in anderen Zusammenhängen kommen und Flickr doch eine recht gute Ablagemöglichkeit gibt, habe ich nun einen weiteren Account eingerichtet: www.flickr.com/photos/ehstadtbild. In diesem erscheinen nun mehr oder weniger regelmäßig ebenfalls Aufnahmen aus dieser Kategorie der Hybriden, die unter einer weitreichenden Creative Commons-Lizenz publiziert werden. Die Lizenz ermöglicht eine freie Nutzung der dort veröffentlichten Aufnahmen ohne weitere Rücksprache. Die Ausgangsmotivation bestand darin, unkompliziert Abbildungslücken im Eisenhüttenstadt-Wiki schließen zu können. Ein Nebeneffekt ist: Jeder kann die Fotos dieses Streams für Zwecke seiner Wahl verwenden. Was das genau bedeutet, wird auf dieser Seite erläutert. Ob dafür wirklich Bedarf besteht, weiß ich natürlich nicht. Aber da die Bilder ohnehin existieren, dürfen sie von mir aus ruhig in die Welt ziehen und sich vermehren - was sie ja mitunter ohnehin tun. Jetzt haben sie in diesem Fall und Stream auch den offiziellen Segen ihres Urhebers.
Die Weltgeschichte der Literatur weiß so gut wie nichts von einer Dichterin namens Mia Klinkhardt. Sogar die Eisenhüttenstadt-Literaturgeschichte weiß wenig von ihr. Mein Blogkollege Andi Leser verlieh bereits 2007 im Angesicht eines schönes Wintergedichtes selbiger Autorin seiner Ratlosigkeit in einem kleinen Beitrag im Lobbuch Stahlinstadt Ausdruck. Und das Eisenhüttenstadt-Wiki biografiert Mia Klinkhardt mit nur einem Satz:
„Mia Klinkhardt war Schuldirektorin in Eisenhüttenstadt und schrieb Gedichte, die in Buchform publiziert wurden.“
Das ist ein wenig handfester als das berühmte „Aristoteles wurde geboren, lebte und starb“. Aber mehr auch nicht. Die Deutsche Nationalbibliothek, die bekanntlich alles sammelt, was im deutschsprachigen Raum erscheint, verzeichnet sechs Publikationen, davon eine vermutlich aufgrund einer Erfassungsvariation (Kalabums und Kala bums, jeweils Weimar 1947) doppelt. Diese laufen unter der Gattungsbezeichnung „Jugendschriften“, sind also für die Zielgruppe der ab 12-Jährigen (der 1950er Jahre) konzipiert. Der Antiquariatsmarkt hält ab und an noch ein Exemplar dieser Titel zu vergleichsweise recht hohen Preisen bereit. Allerdings liegt uns keines vor.
Was uns aber vorliegt, ist ein hübsches, literarisch nicht übermäßig forderndes Beispiel von Eisenhüttenstadt-Lyrik, in der die zu diesem Zeitpunkt sicher bereits lange pensionierte Lehrerin einen dieser Erinnerungsorte Eisenhüttenstadts beschreibt, der zuletzt als Ort eines mehr oder weniger Kunstraubs in den Regionalschlagzeilen noch einmal aufblühte:
" „Wie es an dem Abend genau war, weiß ich nicht mehr“, sagt Steffen K. Auf jeden Fall haben er und die anderen sich im „Schluckspecht“ an der Holzwolle getroffen, auf ein „Feierabendbier“. Wer auf die Idee gekommen ist, zunächst die „Schimpansenkinder“ zu stehlen, das weiß nun keiner der Angeklagten mehr. Laut Staatsanwältin wollten die Männer mit den Metallarbeiten im Schrotthandel ein wenig Geld verdienen. Mit dem Mazda, den sich Sven S. von seinen Eltern geliehen hatte, geht es irgendwann nach 22 Uhr zum Rosenhügel - ohne jegliches Werkzeug. Deshalb rütteln die fünf jungen Männer an den Bronzeaffen, die sie selbst noch aus der Kindheit kennen. „Als Erstes ist ein Arm abgebrochen“, erzählt Gerd S. Doch sie rütteln weiter. Irgendwann gibt auch die Verankerung nach, die laut Richter Peter Wolff bereits etwas angerostet war. „Das ging ziemlich schnell, zwei Minuten vielleicht“, schätzt einer der Angeklagten. Mit vereinten Kräften schleppen sie ihr Diebesgut zum Auto und bringen es in eine Garage.“ -(Janet Neiser: „Wir hatten alle die Hosen voll", Märkische Oderzeitung / www.moz.de am 07.02.2012 - www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1008284)
Die deprimierende Kombination einer solchen Gefährdungslage durch wilde Sägereien mit den ortsüblichen Sparzwängen führte dazu, dass sämtliche dieser Metallarbeiten auf dem Rosenhügel versetzt wurden. Glücklicherweise jedoch nicht im Pfandhaus sondern in den belebteren Stadtraum – hauptsächlich naheliegend den Hügel hinunter ins Gartenfließ, wo sich nun eine fast museumsartig hohe Skulpturendichte findet.
Der Rosenhügel selbst verwaist dagegen wie auch der Stadtpark Insel, denn mit den Skulpturen geht auch letzte Quantum Anziehung für die meisten Menschen. Beide Orte addieren sich zu den zahlreichen aufgebenen Räumen Eisenhüttenstadts und vielleicht sind sie auch als Erholungszonen, als die sie einst für linde Sonntagsstimmungen angelegt wurden, nicht mehr notwendig.
Stadträumlich ist dieser Verlust aber nicht weniger einschneidend als der Rückbau im V., VI. und VII. Wohnkomplex. Und da Rosenhügel und Insel noch weitaus intensiver (u.a. da stadtgeschichtlich länger) als Zonen herausgehobener Momente in den Biografien sowohl der Stadt wie auch vieler ihrer Bewohner eingeschrieben sind, wiegt der Verlust fast noch schwerer. Der Rosenhügel war etwas, ohne das Eisenhüttenstadt seit seiner Anlage in den 1960er Jahren nicht denkbar war. Sämtliche Selbstdarstellungen von der Propaganda zur Ersten Sozialistischen Stadt bis zum Tourismusmarketing der Stahlstadt bezogen ihn ein und sei es nur als Perspektive für die Werbefotografen.
Mia Klinkhardt hat diesen Zeitgeist irgendwann vor langer Zeit in etwas holprige aber dafür vermutlich grundständig authentische Reime genagelt. Und weil wir uns als Sammelbecken solcher Fragmente der Identitätsdokumentation verstehen, können wir nicht umhin, sie hier aufzuheben:
Unser Rosenhügel
Der Rosenhügel schmiegt sich an den Hang
vom Laubwald bis zum Rand der Stadt.
Die Luft vibriert in buntem Vogelsang
und saugt sich an dem Rot der Rosen satt.
Die Plastiken an steilen Wegessäumen
sind lichtbehauchte Splitter der Kultur.
Sie lassen uns mit offenen Augen träumen,
verschmelzen mit dem Pulsschlag der Natur.
Am Eingang liegt ein Esel aus Metall,
von einem frechen Mückenschwarm umschwirrt.
Ein Pärchen spannt den Schirm auf für den Fall,
daß es trotz Sonne doch noch regnen wird.
Hoch oben auf dem Rosenhügel
trabt ein Mongole mit dem Enkelkind
auf einem Esel, ohne Zaum und Zügel,
im friedevollen, durftverbrämten Wind.
(Mia Klinkhardt)
Die Laternen des WK VII. Bild 2: An der Treppe.
Die Gruppe zum Blog auf Facebook erfüllt aktuell das, was sich der Blog immer vornahm, aber allein nie erreichte: Eine Kommunikation von und mit Menschen, die etwas mit Eisenhüttenstadt verbinden/verbindet. Zweifelsohne sind die Motive, die hier und dort auftauchen zwar der Jahreszeit gemäß gewählt, in ihrer Verlassenheit aber selbstverständlich nicht repräsentativ für die gesamte Realität Eisenhüttenstadts. Es ist natürlich überdeutlich: Die Stadt lebt in ihren 60er Jahren nicht mehr in den 60er Jahren. Aber mit dem Aktivisten ist immerhin ein Kernelement der Stadtikonografie zur Bestform herausgeputzt und auch sonst finden sich neue Möglichkeiten zum kleinen Glück in der kleinen Stadt am Rande der Republik. Gerade an sonnigen Herbstsonntagen.
Solange hier jemand lebt, steht auch die Frage: Welche Wahl bleibt der Stadt und ihren Bewohnern, angesichts der Aussicht, dass der große Wurf einer stadtgesellschaftlichen Auf- und Umwälzung in ermessbarer Zeit für diese Ecke des Landes ausbleiben wird? Die Stadtumbauprogramme finden hier bislang - nicht nur, aber vor allem - ihren Ausdruck im eindrucksvollen und hochfotogenen Symbolspektrum des Niedergangs. Das attackiert naturgemäß das Wohlbefinden aller Besucher und Bewohner gewaltig und wenn man an einem kalten Abend dann noch ein halbes Stündchen auf dem demolierten Bahnsteig des Ortes verbringt, ist man im Normalfall ganz froh über den Zug zurück in die Hauptstadt. Die ist nicht durchgängig hübscher aber deutlich vitaler...
Andererseits ist es kein zwangsläufiges Schicksal, sich in Eisenhüttenstadt deprimiert zu fühlen. Sondern irgendwo auch selbstverschuldet. Die Wahl, die jedem in der Stadt bleibt, ist, die gegebene Situation anzunehmen und für sich das Beste daraus zu machen. Was das konkret ist - und hier ist der Haken an der Sache - muss man allerdings selbst herausfinden. Zur Not können es die schönen Erinnerungen an die Kindheit im Innenhof der Tunnelstraße sein, die man sich nicht durch einen Abrissbagger nehmen lassen sollte. Oder das Farbenspiel der Laubbäume an der Oder. Oder irgendein Bäumchen, dass man querbeet auf eine der neuen Freiflächen auswildert und den nächsten Sommer über regelmäßig gießen geht. Oder, wie in meinem Fall, das Staunen über die Vielfalt der Laternen.
Ich gehe zu meiner Laterne. Eine Bilderserie aus dem WK VII.
Wer sich an einem nieselgrauen Oktobertag in dem Teil Eisenhüttenstadts verliert (ja verliert und nicht etwa verirrt, den zum Verirren bietet das weite Feld keine Anhaltspunkte) auf dem sich vor einigen Jahren die Plattenbauten des so genannten Siebenten Wohnkomplexes (umgangsprachlich: des Siemtn) kreuz- und quer stellten, möchte zunächst kaum glauben, dass er sich nicht gerade in der titelverdächtigen Szenerie eines Look-Alike-Pripjat-Wettbewerbs aufhält.
Beim zweiten Blick löst sich der Vergleich aber als hinkende Phantasmagorie im Nebel auf: Denn in der mittlerweile ukrainischen Wohnstadt zum berühmtesten Kernkraftwerk der bisherigen Weltgeschichte fehlen zwar genauso die Menschen auf der Flur (ein paar internationale Fotografie-Touristen ausgenommen, die gibt es in beiden Verlassenheiten), aber die Wohnblöcke stehen noch. Dafür muss man in Eisenhüttenstadt nicht ständig das Dosimeter im Auge behalten...
Die Gemeinsamkeit der beiden Areale, sofern sich davon sprechen lässt, liegt woanders: Es ist die ungehemmt heraufflorende Fauna, die sich aufgegebene Planstadtquartiere unterwirft. Die nun, da es losherbstet, zwar so langsam ihre Stillzeit beginnt, in ihrer Vielfalt jedoch zu jeder Jahreszeit aufzeigt, wohin die Reise geht.
Wer sich also als Kontrastmittel zum WK VII Emanuel Lichas Frontbericht zu Pripjat aus dem Projekt „War Tourist“ anschaut, ahnt vielleicht voraus, wie sich die Vegetation in den nächsten 25 Jahren perspektivisch den Stadtraum auch auf diesem Eisenhüttenstädter Areal zurückerobern könnte. Wenn man sie denn lässt. Lichte, später dichtere Wäldchen und dornige Hecken werden sich ausbreiten und aneinander aufranken, Moose die Betonplatten der Straßen aufbrechen, auf denen sich schließlich Heideteppiche entrollen. Schillernde Schmetterlinge und eilige Eidechsen werden eine kleine Naturherrlichkeit beziehen, später strömen Igel, Waschbären, Füchse und Rotwild dazu und ein neutraler Betrachter könnte sich in ein henri-rousseausches Waldidyll gestürzt wähnen.
Es ist fast ein wenig bedauerlich, dass der Stadtumbau nach der konsequenten Entvölkerung fast alles Bauliche aus der Handvoll Hektar östlich der Bahntrasse entfernte, denn sonst hätte sich die Überwucherung eines einst städtischen Viertels zu einer post-urbanen Alan-Weismann-Parklandschaft noch weitaus mannigfaltiger vollziehen können - mit Birken in den Wohnstuben, Bienenvölkern unter den Dächern und wildem Wein an den Fassaden. Was bleibt vom Beton, sind vorerst die Wege und die Laternen.
Gerade die Stadtbeleuchtungsmittel, diese einsamen Höhenmarken als Referenzen an die kurze Epoche der Gemarkung als Wohnviertel, stellen die zeitstabileren Ankerpunkte, an denen man nach wie vor ansetzen kann, wenn man rekonstruieren mag, wie die Blöcke standen. So werfen sie schweigend ihre Lichtkegel in die Erinnerungsschneisen. Und da heute dort zwei Filme zu diesen Motiven verschossen wurden, breche ich zwar nicht konsequent mit dem Futur II des Julis, beginne aber eine kleine fotografische Dokumentation dieser wundersam verlassenen Objekte. (So ganz Eisenhüttenstadt kann ein Mensch wohl doch nicht leben.) Die Sprache stiehlt sich dabei, abgesehen von dieser Vorrede, passend zum Thema so weit es geht davon. Es gilt das gesehene Bild.
Das Verschieben der Neigung: Ein Modellstadtumbaumodellbild.
Die Welt ist eine Platte, die sich im Kreise dreht. /Mit Melodien aus Watte, wohl dem, der sie versteht.
Eisenhüttenstadt ist maßgeblich eine Modellstadt und umso wichtiger ist es uns, diesen Charakterzug zu betonen, bevor er gänzlich abgefahren scheint. Dank der berühmten Technologie des (simulierten) Tiltshifting lässt sich wunderbarerweise selbst ein schnöder (mittlerweile längst pulverisierter) Plattenbau mit noch existenten Begleithochhäusern flugs in einen Modellbahnplattenbau verwandeln. Das ist kein unnützes Unterfangen, denn wenn man sich diese scheinbar übermächtige Welt en miniature vor Augen hält, versteht man sie vielleicht nicht besser, findet sie aber possierlicher. Was allemal einen Gewinn nicht nur in der Wahrnehmung darstellt.
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