Da ich gerade als Reaktion auf die grafische Neuausrichtung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mein FAZ-Archiv entrümpele, stoße ich dieser Tage auf so einige kleine Fundstücke, die ich nicht zu zitieren kaum in der Lage bin. So besuchten in dem Jahr, in dem das Schweinsohr (Gomphus clavatus) Pilz des Jahres war, Schüler aus Itzehoe, der Stadt in der Ende Oktober desselben Jahres das Orkantief Xylia einen Supermarkt zerstörte, Eisenhüttenstadt. Der Schüleraustausch zwischen dem dortigen Auguste-Viktoria-Schule und dem hiesigen Albert-Schweitzer-Gymnasiums wurde später in der Rubrik Jugend & Umwelt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausgewertet, wobei ein Zitat einer Schülerin namens Laura Ballin besonders auffällt:
So formulierte die junge Besucherin aus dem Herzen Schleswig-Holsteins an der Peripherie Brandenburgs eine Empfindung, wie sie wenige Jahre zuvor in der gleichen Zeitung der Schriftsteller und ehemalige Richter Herbert Rosendorfer in seiner Besprechung von Tilo Köhlers Buch über die Stalinstadt als vielleicht nicht ganz untypische Ostwahrnehmung aus dem Südwestdeutschen formulierte:
Eine hübsche Stadt ist Eisenhüttenstadt keinesfalls. Das Schachbrett aus tristen Blocks und geraden, breiten Straßen gibt einem keine Geborgenheit. Alles ist gleich. Genauso langweilig wie die Struktur der Siedlung um das Eko-Stahlwerk ist das Angebot für Jugendliche. Neben Sportvereinen besucht man "Burger King" und "hängt dort ab". Für uns Besucher haben sich die Austauschpartner Mühe gegeben, daß wir uns nicht langweilen. Es hat sich gelohnt, eine neue, ganz andere Stadt kennenzulernen. (Bilanz der Begegnung: Beengte Verhältnisse kennengelernt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.12.1998 (Nr. 290) S. 82)
Die Stadt brachte es bis 1990 auf 52000 Einwohner und ist eines der Beispiele für unmenschliche Scheußlichkeit, die ein schönheitsverachtendes System hervorgebracht hat. Die Kunststadt (wobei der Begriff Kunst sich hier förmlich sträubt - Plastikstadt oder noch besser Plaste-Stadt wäre angemessener) hieß zunächst Stalinstadt und wurde, nachdem Stalins Name von seinen Nachfolgern in den Abort gespült worden war, 1961 in "Eisenhüttenstadt" umbenannt, das heißt, es wurde - nach sozialistischer Manier - verfügt, daß Eisenhüttenstadt nie Stalinstadt geheißen hat. (Rosendorfer, Herbert: Stalin-Babylon aus PlasteDem sollte man besser nicht viel mehr hinzufügen, als eine aus dem zusammenhang gerupfte Formulierung aus Martin Ebels Besprechung von Rosendorfers "Kadon, ehemaliger Gott":
Tilo Köhler zwischen Zeilen über Stadt und Land. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.02.1995 (Nr. 38) Seite 12)
"Kurzweilig" könnte man derartige Schnurren nennen.." (FAZ, 19.06.2001, S.50)Aber eigentlich vermutet man schlicht einen Mangel an Differenzierungsvermögen, der solcher stereotyper Plattitüdelei 1994 Eingang in die Zeitungsarchive bescherte. Oder vielleicht auch einfach nur eine tiefe Schlucht zwischen dem Schönheitssinn eines mehr oder weniger Bajuwaren und unserem. Aber vermerken möchte man ein solches Zitat in jedem Fall.
Nicht alles war schlecht in Rosendorfers Besprechung von Tilo Köhlers zugegeben nicht sehr lesbaren Buch "Kohle zu Eisen - Eisen zu Brot". Zum Beispiel die Rechtschreibung. Oder der beinahe selbstkritische Halbsatz ". Zwar bin ich, als nie in der DDR gelebt habend, nicht geübt im Lesen zwischen den Zeilen..." In jedem Fall aber die damalige Entscheidung der FAZ-Redaktion, jemandem mit der Rezension zu beauftragen, der sich mit dem Gegenstand so offensichtlich nicht - jenseits grobschlächtiger Ressentiments - auskennt. Als Würdigung gibt es eine Fotografie zum Klischee: Jugend aus der öden Vorhölle in Ostbrandenburg auf dem Weg nach Westen.
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