Zwei Jahre.
Was sind schon zwei Jahre?
Zwei Jahre weilte Arnold Ruge, Kind Rügens und später Schriftsteller, einst in Paris, lernte dort Karl Marx kennen und sich für eine Weltsicht namens Sozialismus begeistern und für den Kommunismus irgendwie gar nicht.
Zwei Jahre währte die Karriere des Rittmeisters Johann August Heinrich Heros von Borcke "im Sattel und am Feinde" bzw. in der Nord-Virginia-Armee im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und am Ende wurde er in der Schlacht bei Middleburg aus dem Sattel und in die Invalidität geschossen.
Zwei Jahre lang soll ab diesem Spätsommer Indiens erste Mondmission den Erdtrabanten umkreiseln.
Schließlich auch das: Binnen zwei Jahren schoß der brasilianisch-italienische Stürmer Araujo Ilan flotte 23 Tore für den FC Sochaux. ...
Und alles was wir binnen zwei Jahren geschafft haben, ist um die 700 Blogpostings über, zu und aus Eisenhüttenstadt zusammenzutragen, woran uns unser werter Blogkollege Andi Leser heute per Kommentar freundlicherweise erinnert. Betrachtet man die allgemeine Aktivität in der Blogosphäre sind 700 Mikrotexte natürlich nicht sehr viel, lag der Gesamtoutput der Weblogs dieser Welt vor einem Jahr (im April 2007, vgl. hier) doch allein bei 17 Postings/Sekunde. Da können wir nicht ganz mithalten, was auch für die deutsche Sprache schade ist, die in der Weblog-Sprachenwertung weit unter ferner liefen steht. Es führen übrigens die Japaner, dies jedoch mit relativ hohen Spam-Werten...
Wir dagegen müssen heute auf Inhalte solcher Art verzichten und können nur berichten, was in der Zeitung steht. Zum Beispiel in der Ostthüringer, wo man zum Thema Call Center Eisenhüttenstadt heute folgendes lesen kann:
"In Gera sind wir überwältigt worden von der Anzahl der Bewerbungen und der Qualifizierung der Bewerber".Während der geheimnisverratende Bereichsleiter die zukünftigenThüringer Telefonisten und -nistinnen in überwältigender Freundlichkeit herzt, liest man zwischen den Zeilen, dass "Michael, Heike, Margot und die anderen knapp 800 Job-Suchenden" (vgl. hier), die das Unternehmen in Eisenhüttenstadt aufmarschieren lassen hat, mit dem, was Gera an verfügbaren Arbeitskräften spontan und qualifiziert zu bieten hat, nicht mithalten konnten. So ist das, wenn man es olympisch sieht: Nur einer kann gewinnen. (Eigentlich zwei, wenn man D+S europe als Veranstalter mitrechnet..) Hoffen wir mal, dass die Eisenhüttenstädter Arbeitslosen Sportsgeist zeigen und den zweiten Platz in der D+S Telefonolympiade entsprechend wegstecken. Willkommen in der Denkfabrik.
Damit lüftete Markus Frengel, Bereichsleiter Kundenservice der D+S europe AG Hamburg, gestern das Geheimnis, weshalb man sich für Gera und gegen Eisenhüttenstadt entschieden hatte. "Das wichtigste waren die Mitarbeiter, die Menschen, die bei uns künftig im Unternehmen arbeiten werden", betonte er.
Dafür wird hier immerhin für die Kläranlage einer immerhin größten Papierfabrik kräftig losgeholzt und wenn dieselbe aus irgendeinem Grund kein Erfolg werden sollte ("Für den Bau der Papierfabrik selbst liegen nach MOZ-Informationen noch
nicht alle Genehmigungen vor. Verbindliche Nachrichten gebe es derzeit
nicht, was die noch ausstehende Zustimmung für das Projekt aus Brüssel
betrifft, sagt Helmut Heindl von der Progroup AG."), kann man immerhin damit die Abwässer aller ostbrandenburgischen Landkreise (und die von Gera gleich mit) reinigen:
Die Menge, die Tag für Tag von der Anlage bewältigt werden muss, entspricht nach Berechnungen des TAZV der Verschmutzung von 685 000 Einwohnern.Das ist doch mal eine Vorlage. Wir klopfen zum Wohle der Stadt und des Aufschwungs Ehst. vorsichtshalber auf das Holz jedes in Vorleistung umgesägten Stammes und hoffen auf einen guten Bescheid aus Brüssel.
Jedenfalls auf einen besseren als den, den der Petitionsausschuss des Landtages Brandenburg dem Fürstenberger Bürgervereins-Vorkämpfer Erich Opitz zustellen ließ:
"Anmerken möchte der Petitionsausschuss zunächst, dass für Ihn die Zielrichtung Ihrer Petition schwer nachvollziehbar ist."Der Bürgermeister hat, nach dem Schreiben zu urteilen, dem Ausschuss überzeugend mit bekanntem integrierendem Feingefühl vermitteln können, dass Fürstenberg/Oder aufgrund der netten Zusammenlegung mit Stalinstadt im Jahre 1961 im Gegensatz zu anderen historisch gewachsenen Stadtanlagen im Lande keine stadtzentrale Bedeutung mehr zukommt und der Ortsteil daher auch keiner entsprechenden Förderung bedarf. Und dass die Fürstenberger Haus- und Bodenbesitzer sich zuwenig um ihrer Grundstücksumwelt kümmern und jeder - so der nicht zu übersehende persönliche Seitenhieb gegen Opitz zwischen den Zeilen - erstmal vor seiner Tür kehren, besser noch pflastern sollte:
"Ein Haus- und Grundstückseigentümer sollte sich auch für seine unmittelbare Umwelt interessieren, sich verantwortlich fühlen und sich dafür einsetzen, dass Unterhaltung und Pflegeleistungen über sein Eigentum hinaus erbracht werden, um letztendlich auch den Wert seines eigenen Grundstückes zu erhalten."Zudem geht es mit Fürstenberg aufwärts:
"So hat der Ausschuss erfreut zur Kenntnis genommen, dass, während die Stadt Eisenhüttenstadt circa ein Drittel bis 40% ihrer Einwohnerschaft inzwischen verloren hat, die Bevölkerung in der Altstadt von Fürstenberg (Oder) stetig auf circa 43200 Einwohner angestiegen ist."Das nennt man bei einer aktuellen Eisenhüttenstädter Gesamtbevölkerung von 34einhalbtausend entweder eine gut informierte Landesregierung (natürlich ironisch gemeint) oder grobe Schusseligkeit. Ob das Anliegen des Erich Opitz wirklich angemessen ist, sei dahin gestellt. Aber mit solch einem plumpen Frontalgepolter wird nicht für jeden deutlich, dass der Bürgermeister einer für alle, die im Stadtgebiet leben, sein möchte. Wie sehr es aus Sicht der öffentlichen Kommunikation für einen Stadtoberen einer mittleren Katastrophe gleichkommt, in dieser Form zitiert zu werden, soll besser gar nicht weiter ausgeführt werden, zumal beinahe regelmäßig derartige PR-Schnitzer in die Öffentlichkeit dringen. Gut - für den Bürgermeister - dass das Stadtvolk daran bereits ganz gut gewöhnt ist und entsprechend genügsam über die rhetorischen und argumentativen Querschläger hinwegsieht.
Ein anderes Beispiel für eine ganz schlecht kalkulierte Außenwirkung bietet aktuell der ohnehin ramponierte Förderverein des Tiergeheges. Während man zum Osterfest im OSF eine den Tränen nahe und sehr sehr mitgenommene ehemalige Mitarbeiterin im Investigationsinterview bei Ralf Priewisch in einer Art präsentiert bekam, dass man zur Rettung des Wochenendes lieber ganz schnell z.B. zu Stirb Langsam weiterzappte, öffnet sich heute in der Märkischen Oderzeitung gleich die nächste Falltür:
"Einen gehörigen Schrecken hat der Besuch des Eisenhüttenstädter Tiergeheges der sechsjährigen Vivien am Dienstag eingejagt. Die Kleine war mit ihrem großen Bruder Danny Petschke und dessen Freundin Julia im Gehege auf der Insel und stand plötzlich völlig ungläubig vor dem Gehege der Waschbären. Dort war nach Aussagen von Danny Petschke einer der Bewohner gerade dabei, an einem toten Zicklein zu knabbern. "Die Kleine haben wir gleich zur Seite gezogen", sagt Danny Petschke, der wenig später eine Mitarbeiterin des Geheges auf das Erlebnis bei den Waschbären ansprach und ihr verdeutlichen wollte, dass so etwas für Kinder abschreckend sei. "Doch die Frau konnte mir keine zufriedenstellende Antwort geben", sagt Danny Petschke."Nun wird von Expertenseite - wozu die von Vivien und Danny angesprochene Mitarbeiterin vermutlich nicht gehört - zurecht betont, dass die fleischfressenden Bewohner gern auch Fleisch und zwar mit Haut und Haaren fressen wollen. Jedoch muss man andererseits bei einem Kulturvolk mit ausgesprochenem Sinn für Niedlichkeit auch davon ausgehen, dass die Besucher des Geheges beim (Nach-)Osterspaziergang nicht mit der erbarmungslosen Realität des Aasfressens in einer solchen Form konfrontiert werden wollen. Hier besteht eine enorme Diskrepanz zwischen dem Erwartungsbild des Durchschnittsbesuchers, der Schlachtiere häufig nur in mundgerechter Zerlegung und unter Schutzatmosphäre verpackt aus seinem Einkaufswagen kennt und der vielleicht gutgemeinten aber so nicht sonderlich feinfühligen Fleischversorgung im Waschbärgehege. Der Schritt des stellvertretenden Vorsitzenden des Fördervereins, Andreas Kurz, solche Fütterungen auf die Zeit nach der Schließung zu verlegen, ist entsprechend in Hinblick auf die Besucher ein richtiger. Die Bildunterschrift der MOZ, die auf das Foto eigentlich auch hätte verzichten können, ist dagegen wohl noch der Erinnerung an das Milchlamm vom Osterschmauß geschuldet und daher bedingt nachvollziehbar, sachlich aber leider offensichtlich falsch. Und die Überschrift ("Zicklein an Waschbären verfüttert") einen Tick zu reißwölfisch.
Wölfisch im Sinne von Thomas Hobbes ("Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit, non novit.) geht es erschreckenderweise auch vor den lokalen Diskotheken zu. So wurde bei einer Schlägerei hinter dem "Beat Club" ein Besucher derart niedergeschlagen, dass er nun starb. Und am Ostersonntag hat man vor dem Magnet gleich nachgelegt:
"Gegen 7 Uhr ist hier nach einem verbalen Streit ein 19-Jähriger zusammengeschlagen worden."Hierzu war die Überschrift der MOZ übrigens ganz sachlich und darin bitterkalt: Staatsanwalt ordnet Sektion des Opfers an.
Bei solchen Meldungen vergeht uns wirklich jede Lust am Schreiben, Lesen und an Eisenhüttenstadt denken und - falls jemand nachfragt - ja, wir lassen auch alle Kalauer mit Beat Club aus!
Zum Beispiel im Frühjahr die Sträucher. Oder im März bei der Lektüre der Lokalzeitung. Und hofft darauf, dass nach dem kalten Grau und Grauen und Grausen des Märzens im April tatsächlich etwas mehr Farbe und Fröhlichkeit ins Spiel kommt.
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