Es war die Frage von Max, "dem Jäger", die uns - zugegeben Insidern - eine sonderbare Querverbindung zwischen diesem Hüttenstadt-Film und Johanna Ickerts "Huettenstadt"-Film durch den Kopf und in Gestalt eines Lächelns auf die Lippen zauberte: "Gibt es hier einen anständigen Kaffee?" Nur gut, dass der Polizist in Undercover, gespielt von Wolfgang Mondon, mit seiner Frage nicht an den Andreas Ludwig aus "Hüttenstadt", sondern an die schnatte Babette Harmann -
Anna Maria Mühe - aus dem "Lunik" geriet, die natürlich wusste wo. Allerdings ist der Kaffeeanbieter
Toni's Bar, mit der ihr Cousin versucht, mit Bar- und Showbetrieb das kleine Glück zu machen, reine Fiktion. Damit wird auch deutlich, dass die Berührungspunkte zwischen den beiden jüngeren in Eisenhüttenstadt entstandenen Filmen ziemlich gering gesäht sind, auch wenn die Zitty Lunik fälschlicherweise als
Dokumentarfilm ausgibt. Dokumentarisch sind hier bestenfalls die Stückchen Stadt, die im Hintergrund eine passende Kulisse zu dieser kleinen Groteske bilden.
Wenn die bis zur Schmerzgrenze dargestellte Unfähigkeit zur Kommunikation zwischen Alfons Harmann, dem Vater des Hauses (gespielt von
Augustin Kramann) und Emilia (Monika Schubert), einer so sangesfrohen wie schwerkranken Fotografin, mit dem nächtlichen Stahlwerk vor dem Fenster abläuft, wirkt die Szenerie einzigartig disharmonisch. Stadt und Werk haben, obwohl sie dadurch, dass sie nicht bildschirmalltäglich, aber mit hohem Wiedererkennungswert sind, sehr prägnant wirken, nämlich für die Handlung, die über weite Strecken als Kammerspiel daherkommt, keinerlei tiefere Bedeutung - außer eben die, einen möglichst eigentümlichen Rahmen zu stellen. Dies gelingt sehr schön und auch die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten hochtourig laufende Zerhäckslung der Plattenbauten im Wohnkomplex VII wird geschickt in das Verwirrspiel mit den Kulissen eingebaut. Denn ein logisch erfassbarer Zweck der Wanderungen durch die Abraumhalden der ehemaligen Wohnblöcke für den Handlungsverlauf erschließt sich - wenigstens beim ersten Sehen - nicht.
Immerhin: die Stadt zerfasert und zerfällt und verlässt sich wie die Menschen und wenn Gilbert Beronneau im Anschluß an die Vorführung erklärt, dass es sich bei Lunik auch um die Variation von Themen, die in seiner Adaption von Tschechows "Möwe" im Zentrum standen, so ist das nachvollziehbar. Auch hier misslingen Kommunikationen, auch hier kollidieren Träume und Illusionen an den mehr oder weniger Banalitäten der Realität, auch hier zerfleischt man sich und beutet sich aus. Dabei schwingen die Themen des öfteren in eine Richtung, die man, wenn man Eisenhüttenstadt kennt, als Anspielungen interpretieren kann. Aber nicht zwangsläufig muss.
Zur Handlung:
Geldverweigerer Franz (David Fischer), der Vetter des Barbesitzers Toni (Thorsten Merten), möchte sich im ehemals ersten Haus am Platze der ersten sozialistischen Stadt Deutschlands (was man im Film nicht erfährt) eine bessere Welt der Solidarität und jenseits der Marktprinzipien aus überlagerten Ravioli, Geschäftsverweigerung und zivilem Ungehorsam zusammenbasteln und scheitert damit auf ganzer Linie an der Wirklichkeit (und zusätzlich an der ihn zermürbenden Tatsache, dass ihm alle ständig gegen seinen Willen Geld zustecken wollen).
Auch Alfons Harmann, Vater von Franz und Babette, ist mit seinem Quiz, das er als Unterhaltungsprogramm für Toni's Bar entwickeln und Toni verkaufen möchte, von der Diskrepanz zwischen eigenem Anspruch und wirklichen Möglichkeiten sichtlich überfordert, was nicht unbedingt durch sein auffallend üppig mit Tom Clancy-Paperbacks bestücktes Bücherregal, sondern im Verlauf des Filmes ganz direkt signalisiert wird. Zudem gerät er immer wieder mit Emilia in sich absolut verfehlenden Annäherungen aneinander (vorbei).
Ähnlich geht es Toni, der das "Niveau" seines Lokals beschwört und dann mit den polnischen "Popedancers" und der Bedienung Angela kaum die Kurve zu seinem Traum zu bekommen scheint. Am Ende ist er, der (sympathische) Glücksritter auf der Suche nach dem großen Geld, aber doch der, der von allen am Besten dasteht - wenn auch durch mindestens zur Hälfte durch den glücklichen Umstand eines unkritischen Publikums.
Babette, die mit ihrem Bruder Franz konsumfeindliche Überfälle unternimmt und beispielsweise mit vorgehaltener Waffe und "Tanken heute Gratis"-Plakat eine Tankstelle zur freien Selbstbedienung öffnet, beginnt ausgerechnet mit dem auf diesen Fall angesetzten Max eine Affäre, die nie ganz glücklich ist ("Du lässt alles offen!") und dabei nie ganz endet.
Franz, der in dem etwas schrulligen Concierge Tom (Jörg Brütt) eine Art harlekineskes Spiegelbild findet, bricht dagegen sein fragiles Mikroversum, das sich verglichen mit der Realität tatsächlich wie vom Mond darstellt, in den gleich Mondsonden (=Lunik) nach und nach diverse Störelemente einfliegen, konsequent unter den Händen weg:
Die zunächst mauerblümige Köchin Nora, zu der sich Tom derart hingezogen fühlt, dass er ihr gegen alle Grundprinzipien der Kommune "Lunik" Geld gegen Nähe bietet ("Du brauchst doch Geld"), was Nora erst brüsk zurückweist und später brüsk an sich nimmt, lässt sich von Toni als Sängerin anstellen und erlebt zunächst mit einer erotisierten Version der Internationalen beim Vorsingen und später vor dem Publikum mit einer thematisch passenden Nummernrevue einen kleinen Erfolg, der ihr beim Kartoffelnschälen in der Lunik-Küche versagt blieb. (Die Idee zur "Internationale" kam übrigens dem Postsozialisten Frank, der diese Wahl mit der bezeichnenden Formulierung "Hier gab's mal Arbeiter" begründet...) Dass sie von Toni mit dem absurd anmutenden, aber für ostbrandenburgische Verhältnisse nicht unüblichen Stundensatz von drei Euro fix angeworben wird, lässt sich ebenfalls als kleiner Seitenhieb auf die Rahmenstadt, mit ihren Abwanderungs- und Abrissmondlandschaften, lesen.
Die schöne Josephine, die mit der Videokamera und durchaus gut gemeinten wirtschaftlichen Interessen, zunächst mit dem Ziel in die kleine Welt Lunik tritt, um Franz einen Mittelweg zwischen seinen Idealen und dem Überleben in der Marktwirtschaft aufzuzeigen, und in die er sich zwangsläufig verliebt, wartet mit einer Scheinlösung in Gestalt des Filmproduzenten Viktors auf, der - was eine nette Selbstreferenz hergibt - das Lunik als perfekten Drehort für einen Film entdeckt, wobei allerdings die bisherigen Bewohner eher stören. Als das Unterfangen dann abgebrochen wird und er und Josephine abreisen, wobei letztere auch noch ihre Erinnerungen in Form der bespielten Videokassetten im Lunik zurücklässt und sozusagen in ihre Welt und vom Mond des Franz' zurückkehrt, kehrt sich das Gutgemeinte endgültig in das Gegenteil und Franz in einen Zustand größerer Verzweifelung. Als schließlich eine Konsumbefreiungstat der Geschwister Franz und Babette schiefgeht, bricht das Kartenhaus Lunik für Franz irreparabel zusammen...
Lunik ist eine grundständige Low-Budget-Produktion, was man dem Film durchaus anmerkt. Die technische Qualität ist weit entfernt vom Perfekten, die Bilder wackeln, die Schnitte sind grob, die Ausstattung einfach und mit diversen Elementen, die die Ästhetik vergangener Zeiten darstellen und wie für den Film zusammengeborgt ausschauen, durchsetzt. Die zum Teil sehr überzogene Dramaturgie sowie die eigenwilligen und nicht selten absurden Bausteine der Handlung und auch der mitunter nicht zwingend eingängige Soundtrack sorgen ganz gut dafür, dass man sich permanent zwei Schritte jenseits des Gefälligen und einen halben jenseits des Bestimmbaren bewegt. Dafür ist die Interpretationstiefe gewaltig und wird durch zufällige Einflüsse - man hört überraschend oft die Sirenen von Einsatzfahrzeugen - noch zusätzlich verstärkt. Einer objektiven Betrachtung nach gut oder schlecht, ge- oder misslungen entzieht sich der Film - wie auch so mancher anderen Einordnung. Wenn es nicht so abgedroschen klänge, würde ich schreiben, er sei Geschmackssache. Und - während meine Platznachbarin meinte, dass er ihr keine Minute zu kurz war - meinen Geschmack ganz gut traf.
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