Mir ist nicht bekannt, wieviele Freunde der Lepidopterologie in Eisenhüttenstadt anzutreffen sind, noch, ob es hier oder ob es in der Nähe überhaupt eine entomologische Gesellschaft gibt. In jedem Fall gibt es in der Stadt eine Stelle, die jeden Schmetterlingskundler an einem sonnigen Nachmittag für Stunden binden könnte: die Sukzessionsfläche, auf der sich einst der VII. Wohnkomplex Süd befand. Denn seit sich die dortige Folgeflora so wunderbar mit der übergebliebenen Wohngebietsbepflanzung vermischt, erwächst auf der Fläche, die noch vor wenigen Jahren recht falterunfreundlich plattenbebaut war, eine erstklassige Schmetterlingswiese, die vielleicht noch durch ein paar auswildernde Obstbäume perfektionierbar wäre, bereits aber in dieser Form vieles bietet, was den durchschnittlichen Schmetterling beglückt: Weitgehend ungestört vom Menschen durchschwirrt er ein schier unerschöpfliches und vielfältiges Angebot von Blumen und Blüten auf einem ganztägig besonnten Areal.
Etwa um 1992 machten zwei junge Männer etwa an dieser Stelle erstmalig Kontakt mit einem Butterflymesser, das in den frühen 1990ern für die Halbstarken genauso ein Statussymbol war wie die Baseball-Kappe. Um letztere ging es in diesem Fall, denn zwei andere Jungs hatten an dieser Interesse und eben das Messer. Da die zwei ersteren die Kappe nicht im Stich lassen wollten, gaben sie sie freiwillig und behielten den Anblick der schwingenden Klinge vom polnischen Markt in gutem Gedächtnis. Man nannte es Abziehen und vielleicht tun sich Teenager diese Idiotie um Nichts auch heute noch an. Im VII. Wohnkomplex wohl aber nicht mehr, denn ein Jahrzehnt nach der Kappe wurden zuerst die Menschen und dann die Häuser abgezogen. Und die Butterflies, auf die man heute dort stößt, sind nicht mehr hart wie Kruppstahl, sondern fragil und wunderschön wie ein paar glückliche, sonnige Tage im Juli.
Der Übergang vom kultivierten zum wilden Raum macht es also möglich, nur zwei Fahrradminuten von den Wohnblöcken des VI. Wohnkomplexes eine Sommeridylle ersten Ranges zu erleben. Hier benötigt man kein Schmetterlingshaus, auch wenn natürlich die ganz exotischen Arten fehlen. Aber mit ein wenig Geduld kann man in relativ kurzer Zeit durchaus ein Dutzend verschiedene Falter entdecken. Als Beispiel habe ich den nicht ganz so ungewöhnlichen Distelfalter (Vanessa cardui) nicht etwa chloroformiert, wie es lange Zeit Brauch und Sitte war, sondern fotografiert. Der Sammler des Tieres greift mittlerweile lieber zu Salmiakgeist, ich als Sammler der Stimmung allerdings nur zur Kamera, denn es ist ja gerade die Lebendigkeit, mit der die Nymphalidae ein aufgegebenes Stadtgebiet erobern, an der mir liegt. Die Tiere in Objekte zu verwandeln ist dagegen meine Sache nicht. Sie durch das Objektiv zu subjektivieren, ihrem Abbild also eine Seele einzuinterpretieren, dagegen schon.
Auch wenn der Distelfalter soviel crimson besitzt, wie die Wiese clover, ist er natürlich ein wunderschönes Tier. Vladimir Nabokov bezieht sich in seinem aus Pale Fire entnommenen Verslein natürlich auf den etwas spektakulärer gezeichneteren Admiral, auch als Vanessa atalanta bekannt. Wenn man aber aufmerksam genug durch den zumeist höchstens kniehohen Bewuchs der Landschaft streift, würde es nicht verwundern, wenn auch ein Exemplar dieses Wanderfalters von einer Blume zur nächsten flattert. Häufiger findet man aber Distelfalter und zwar in der Kombination Distel und Falter zusammen.
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