"Ein Kind zu haben, das ist keine geringe Sache. Erst durch ein Kind ist der Mensch unrettbar mit der Welt verflochten, in die gnadenlose Kette der Verursachungen und Folgen."
Obwohl dieses Zitat aus Franz Werfels Exil-Roman "Die blassblaue Frauenschrift" hier und von mir beinahe unverzeilich rücksichtslos dekontextualisiert seine Anwendung findet, gilt es allein schon der Kernaussage an sich ohne Zweifel beizupflichten. Und was auf den Menschen zutrifft, bleibt auch für die Städte valide: Das erste geborene Wesen mit der Eintragung Stalinstadt und später Eisenhüttenstadt im Buch der Familie als Ort, an dem es, wie man so schön sagt, das Licht der Welt, welches oft das Neonlicht des Kreissaales war und ist, erblickte, zog gleichsam einen Faden neuer Qualität in die Geschichte.
Denn was auch immer dieser Mensch tun wird, was immer diesem Menschen widerfährt, es wäre ein Kind dieser Stadt, welches handelt und behandelt wird.
Jedes Kind der Stadt trägt nicht zuletzt den Stempel derselben und meist im Kleinen und nur selten mit Furore, dann aber umso herausgestellter, trägt die Stadt den Stempel ihrer Sprösslinge. In einer Neubaustadt der 1950er ff., die sich ohne angestammte Familiendynastien und zunächst zumeist mit von der Geschichte herumgewirbelten Zuzuzüglern buchstäblich anschickte ein neuer Ort für die neuen Menschen zu werden, war der Schritt ins Leben hinsichtlich der Form und Deutlichkeit des Stempels im Geschichtsbuch der Eisenhüttenstadt ein weitgehend ungeplanter.
Ruhm und Ehre wurde so gut wie niemandem an der Wiege bzw. den Bettchen auf der Neugeborenenstation gesungen. Nach 50+ Jahren hat sich dieser Zustand selbstverständlich auch hier den üblichen Schichtspezifika angepasst und die Startbedingungen sind mittlerweile auch in Eisenhüttenstadt den üblichen sozialen Differenzierungen entsprechend nicht mehr so egalitär wie es laut Legende im Frühsozialismus der DDR der Fall war. Ein Stadtadel allerdings, der seine Dominanzen von Generation zur Generation weitervererbt, ist bisher nicht so recht zu erkennen.
Dies mag u.a. auch darin begründet sein, dass die Kinder der Stadt, die es aus verschiedenen Gründen von Eigentalent über Durchsetzungswillen bis Sportförderung oder auch Zufall zu einer gewisser Prominenz bringen, diese in der Regel nicht vor Heimatort erreichen. Den Rückzug an den Ausgangspunkt Eisenhüttenstadt hat von den Stadtkindern, soweit bekannt, niemand gesucht. Selbiges zu erwarten wäre auch, trotz ausgezeichneter wirtschaftlicher Perspektiven und gleichzeitig üppiger Förderungen für Aufwertungsmaßnahmen, eher vermessen.
Vielleicht ist das auch ganz gut, erweist sich die Emanzipation von Vater- und Mutterstadt doch häufig auch als eine maßgebliche Triebkraft für all die Selbstentfaltungswilligen, die frühzeitig und auf der Höhe der Zeit vom metropolitanen Virus (à la "...er kenne Wien, kenne Prag und müsse endlich fliehen und nach Berlin ziehen/
Was die beiden Kinder der Stadt, die heute im Mittelpunkt unseres Interesses stehen, angeht, ist noch alles offen. Getroffen haben wir sie, als wir die schöne Kachelwand des Sepp Womser in der verkleinerten Holzwolle mit neuem stadträumlichen Hintergrund fotografierten. Nach wenigen Aufnahmen der Womser'schen Arbeit kamen sie aus dem benachten Hauseingang und baten freudig darum, für die MOZ abgelichtet zu werden. Eigentlich hätten wir sie dafür an Gerrit Freitag verweisen müssen, aber stattdessen konnten wir eine Veröffentlichung im Internet anbieten, was sogleich auf noch größere Begeisterung ("Das ist ja viel viel besser!") stieß.
Sollten Erik und Felix also eines Tages in welcher Form auch immer prominent werden, können wir immer mit breiter Brust darauf hinweisen, dass wir - und nicht etwa Andreas Wendt, der übrigens in der letzten Woche mit seinem Artikel über die Geschichte des türkisch-eisenhüttenstädtischen Dessousunternehmens Belgina ein richtig schönes Stück Lokaljournalismus mit Investigationstouch veröffentlichte - den ersten Medienbericht über die beiden im Programm hatten. Eine knallige Homestory wollten wir nicht daraus machen, sondern vielmehr eine kleines Stück Heimatstadtgeschichte dokumentieren. Voilà:
Während nebenan auf dem Balkon die verbliebenen Bewohner des Wohngebiets ihr Gesicht in die Vorfrühlingsluft halten, parkierten die beiden jungen Eisenhüttenstädter kurz ihre Fahrräder, um vor dem heimlichen Wahrzeichen ihres Viertels für uns zu posieren.
Und auch wenn der schaufelnde Kerl einen vorwurfsvollen Blick über die Schulter wirft: der Sonnabend ist schul- und hausaufgabenfrei und der beste Tag der Woche, um frohen Mutes durch die Stadt zu gurken und sich des Lebens zu erfreuen. Dass man am Wegesrand nebenbei auch noch für's Internet fotografiert wird, nimmt man selbstverständlich gern mit.
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