„Die Idee, dass der Raum der Kunst ein solches Experimentierfeld für ein neues Zusammenleben und neue kollektive Rituale sei […]“ – Niklas Maak: Kritik der zynischen Vernunft, FAZ 27.04.2012, S.31
Wer die Hauptstadtfeuilletons ausdauernd verfolgt, weiß: Es gehört beinahe zum guten Ton, auf die Berlin Biennale zu schimpfen. Das die siebente Auflage der Biennale begleitende Presseecho klingt indes besonders schrill und die vom Kuratorenteam um Artur Żmijewski ausgerufene Politisierung der Kunst in diesem Festival unter dem Motto „Forget Fear“ wird nicht in jedem Feuilleton mit besonderem Wohlwollen gedeutet. Da kann einem schon einmal wie Angst und Bange werden – jedenfalls wenn man sich in die Rolle der Kuration zu versetzen versteht. „Reconsider Furcht“ könnte man sich dann vielleicht schon für die achte Biennale als Motto sichern.
Aber wer so ansetzt, wie Artur Żmijewski, wird sich über die Ad-Hoc-Verkündung des unvermeidlichen Scheiterns der Veranstaltung (pünktlich zum Eröffnungsabend) und die anderen Urteile („Selbstabschaffung der Kunst“ – taz, „Salatbar des Protests“ - Cicero, „Politkitsch“ - FAZ, etc.) nicht wundern.Vermutlich sind sie sogar – unfreiwillig – ein passender Baustein zum Programm.
Denn die Zeitungen als Vollzugsmedium des öffentlichen Diskurses über Kunst sind selbstredend hochpolitische Institutionen, die in der Frage nach dem dynamischen Verhältnis von Kunst und Gesellschaft eine fixe Aufgabe übernehmen: Sie formalisieren, kanalisieren und lenken öffentliche Meinungen und bieten dabei weithin akzeptierte (=gesellschaftlich offizielle zulässige und zuständige) Projektionsflächen auch für Widerspruch. Ob Verriss oder Hymne ist zunächst einmal unwichtig, besonders unter aufmerksamkeitsökonomischen Bedingungen. Was unbedingt zählt, ist die Integration in den öffentlichen Diskurs. Und diese gelang wenigstens zum Auftakt (und zum Teil bereits im Vorfeld) der diesjährigen Biennale exzellent.
Das überrascht freilich wenig, denn ein Inszenierungsraum dieser Schlagkraft steht zwangsläufig unter Beobachtung. Die Berlin Biennale hinterfragt traditionell mal entblößter, mal verhüllter, Funktionen und Möglichkeiten von Kunst in der Jetztzeit. Die aktuelle Biennale hinterfragt vor allem auch: sich selbst. Da ein solch dekonstruktive Element ein Grundzug jeder zeitgenössischen Auseinandersetzung mit Kultur, Identität und Erinnerung (auch als Rahmen von Identität) sein muss, da reines Behaupten im Sinne von Ideologien oder Stories selbst hinsichtlich der Unantastbarkeit des Leitmediums Geld sukzessive Beschädigungen erfährt, passt die Veranstaltung zweifellos optimal nach Eisenhüttenstadt. Und – voilà – sie ist fast da. Eisenhüttenstadt wird, vielleicht etwas sehr als Nebenfigur, Außenschauplatz des Festivals.
In seiner Ankündigung zu dieser Satellitisierung schreibt der Kurator Artur Żmijewski:
„Es ist einfach, in Berlin Kultur anzubieten, wo sich immer ein paar Besucher zu einer Ausstellung einfinden werden – selbst wenn sie extrem schwierig oder extrem eigenartig ist. Aber wie verhält es sich mit „vergessenen” Städten wie Eisenhüttenstadt? Werden auch dort die Leute kommen, um sich Kunst anzuschauen?“
Einer solchen Annäherung – und auch der Annahme, es handele sich um eine „vergessene“ Stadt – kann man (und vielleicht muss man auch) leicht mit Einwänden begegnen. Vielleicht wird auch das konkret eingefordert. Tatsächlich geht es hier aber zunächst einmal um die Schaffung einer Möglichkeit. Und wie diese sich einlöst, lässt das Biennale-Team weitestmöglich offen.
„Die aktuellen internationalen Gäste des Künstlerprogramms sowie mehrere ehemalige Gäste sind eingeladen, einige Tage oder Wochen in Eisenhüttenstadt zu leben und zu arbeiten. An den Aufenthalt sind keine weiteren Auflagen geknüpft. Den Künstlern steht es frei, die Stadt als Rückzugsort zu nutzen, sich mit der Architektur der sozialistischen Planstadt zu beschäftigen oder beispielsweise die benachbarte Woiwodschaft Lebus jenseits der Oder zu erkunden.“
Fest steht bisher hauptsächlich der Termin der Präsentation: 15.06.2012. Als auf „alternative Stadtwahrnehmung“ ausgerichtetes Weblog erscheint uns der skizzierte Ansatz des Besuchsprogramms erwartungsgemäß etwas einfach. Dass sie womöglich kommen, ein bisschen werkeln, dann etwas zeigen und schließlich wieder gehen – das langt uns nicht. Die Stadt soll nicht auf die Funktion eines Materiallager und einer Projektionsfläche reduziert werden. Sondern sie soll die Intervention, die sich aus dem Aufenthalt von Künstlern zwangsläufig ergibt, als Spielball aufgreifen und zurückspielen. Das wäre ein Dialog, der nicht nur in die jeweiligen teils stabilen, teils temporären lokalen Lebenswelten bereichernd eingreift. Sondern darüber hinaus auch in die Stadtgesellschaft insgesamt.
Für alle Fälle steht eine Flasche Cabernet Gernischt bereit, um der Sache im Zweifelsfall einen wenigstens einen außergewöhnlichen Korken aufzusetzen. Denn erfahrungsgemäß verbindet nichts so sehr, wie ein gemeinsames Noch-Fremderes. (Und wem sollte Cabernet Gernischt nicht fremd sein?)
Ich weiß nicht, ob man so weit gehen sollte, wie Niklas Maak einfordert, wenn er schreibt: „Occupy Occupy könnte ihre [der Biennale] Rettung sein.“ Denn wir müssen die Biennale eigentlich nicht retten, die ja hauptsächlich in der ausdeutenden Anschauung, nicht jedoch in sich zu kentern droht. Was wir können (und was sie auch offen herausfordert) ist: an ihr teilhaben.
Eine Besetzung ist dafür gar nicht notwendig. Es reicht, eigene Ideen der, Vorstellungen von und Ansprüche an die eingangs zitierte „Idee, dass der Raum der Kunst ein […] Experimentierfeld für ein neues Zusammenleben und neue kollektive Rituale sei“, zu formulieren und die hereinsteuernden Satellitisten (und die Stadt selbst) damit zu konfrontieren.
Das Eisenhüttenstadt-Blog wird dies jedenfalls tun und zwar – wonach es seit je strebt – indem es den Raum der Kunst sowie den Raum der Stadt in eine sich überblendende Wahrnehmungswelt von – wortwörtlichen – Spielräumen zusammenführt und schaut, was sich darin lesen und wie sich darin handeln lässt.
Wir haben naturgemäß wenig Lust auf eine allzu scharfe Trennung zwischen Publikum und eventuell Material einerseits und abbildenden Künstlern andererseits. Wir wünschen uns vielmehr einen positiven und produktiven Dialog, der in differenzierte Gemeinsamkeiten führt. Wir nehmen es sehr ernst, wenn zu lesen ist:
„Mit der Organisation von Programmen in Eisenhüttenstadt und der Anwesenheit vor Ort stehen sie [die Künstler bzw. die hinter diesen stehenden Einrichtungen] vor der Herausforderung, „gefiltert” und infrage gestellt zu werden. Die Idee ist, aktiv zu handeln und zu versuchen, die Bürger zu verstehen, ihre jeweiligen Bedürfnisse und die Situation in der Stadt. Was könnte das den Bürgern bringen – falls es überhaupt etwas bringt? Und inwiefern werden die Berliner Akteure gezwungen sein, ihre eigene Rolle als Institutionen zu überdenken?“
Allerdings scheint es vor der Idealvorstellung des Blogs notwendig, die Angelegenheit zugleich zu invertieren
Mit der Organisation von Programmen in Eisenhüttenstadt und der Anwesenheit vor Ort steht sie [die Stadt] vor der Herausforderung, „gefiltert” und infrage gestellt zu werden. Die Idee ist, aktiv zu handeln und zu versuchen, die Künstler zu verstehen, ihre jeweiligen Bedürfnisse und die Situation in der Stadt. Was könnte das den Künstler bringen – falls es überhaupt etwas bringt? Und inwiefern werden die Bürger der Stadt gezwungen sein, ihre eigene Rolle als Stadtgesellschaft zu überdenken?
Erst so wird überhaupt gegenseitiges Verständnis möglich. Erst dann ist der schöne Idee eines Raums der Kunst als Experimentierfeld vielleicht nicht unbedingt für ein neues Zusammenleben, aber doch für Formen des Zueinander-Findens und Miteinander-Wahrnehmens und Selbst- und Gegenseitig-Hinterfragens auch umsetzbar. Es bleibt sehr zu hoffen, dass dies in irgendeiner Weise gelingt. Das Weblog wird es sich nicht nehmen lassen, sich nach seinen Möglichkeiten einbringen. Alternative Stadtwahrnehmung gilt an dieser Stelle als sehr inklusiver Begriff.
Was wir uns in einem ersten Schritt von unseren Lesern wünschen, sind Vorschläge für und Erwartungen an die künstlerische Auseinandersetzung mit der Stadt. Diese Themen, Perspektiven, Konzeptideen sammeln wir hier bzw. auf Facebook und leiten natürlich sie direkt an die Satelliten-Eisenhüttenstädter auf Zeit weiter.
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