Eisenhüttenstadt und
eGovernance: das ist bislang keine wirklich ausgeprägte Beziehung.
Und es ist auch gar nicht so nachteilig, dass man sich in der Stadtverwaltung noch nicht von einer Unternehmensberatung hat erklären, wie viele Sachbearbeiter-Stellen man sparen könnte, wenn man die Bürger alles im virtuellen Kosmos selbst erledigen lässt: Es spricht immerhin an sich nichts dagegen, sein Passbild direkt auf den Server der Bundesdruckerei hochzuladen, die Gebühr online zu überweisen und den nächsten Personalausweis vom Briefboten an der Haustür zu übernehmen. Technisch ist es machbar, die Personalkosten könnte man reduzieren und die paar datenschutzrechtliche Bedenken liessen sich sicher mit ein bisschen Willen und entsprechender
eSecurity ebenfalls zerstreuen.
Das Problem in Eisenhüttenstadt wäre dann jedoch, dass man ganz Eisenhüttenstadt-Ost (also Fürstenberg und angrenzende Wohngebiete) aus der elektronischen Verwaltungsobhut ausstoßen würde, da bis dato dort ein Breitbandanschluss fast nicht zu bekommen ist. Selbst mit stahlseildickem Geduldsfaden versorgt, dürfte man spätestens dann, wenn die ISDN-Leitung den dritten
Time Out auf den Bildschirm zaubert, wutentbrannt auf Tastatur und Flatscreen einprügeln und all die Lebenszeit lautstark aufrechnen, die einem durch die Randlage des eigenen virtuellen Daseins (quasi als abgekoppeltes virtuelles Prekariat) so verloren geht. Ein Modem ist definitiv keine Alternative.
Dazu kommen selbstverständlich schnöde ökonomische Aspekte: ein Netzzugang verursacht Kosten, der Zugang zum Rathaus während der Öffnungszeiten nur (auch) Lebenszeit und der Zugang außerhalb dieser mitunter noch mehr, wenn man keine Bewährungsstrafe bekommt. Und obendrein müssen alle
eGovernance-Enthusiasten auch noch mit einem nicht zu unterschätzenden Motivations- und/oder Kompetenzmangel in der Bevölkerung rechnen. Was den begeisterten
Blackberry-Usern wie selbstverständlich erscheint, ist für so manchen in technischer weniger durchsetzten Lebenskontexten Beheimateten schon beim Faktor Bedienung eine steile Klippe.
Daher sollte eine Stadt, die auf ein
Virtuelles Rathaus umstellt, selbstverständlich daran denken, ein paar Ansprechpartner in Menschengestalt für die klassische Kommunikation von Angesicht zu Angesicht vorzuhalten, die dann möglichst auch noch ähnlich kompetent wie der auf Hochleistungsauskünfte programmierte städtische Verwaltungsrechner antworten und handeln können.
Bis zur Frage
Mensch oder Interface ist es allerdings, wie eingangs angedeutet, in Eisenhüttenstadt (und auch in vielen anderen Kommunen) noch ein recht langer Weg. Jedoch deuten sich die ersten Schritte an, wie Janet Neiser heute im
Oder-Spree-Journal der Märkischen Oderzeitung berichtet.
Die Linkspartei.PDS macht den 2007 eigentlich naheliegenden Vorschlag, die Sitzungsprotokolle der Stadtverordnetenversammlung elektronisch aufzubereiten und im Internet zugänglich zu machen.
Für uns Blogger wäre das prima, denn dann könnten wir aus ersten Hand einsehen, was im Sitzungssaal des Rathauses so besprochen wird. Und der Rest der Weltöffentlichkeit mit. Die Lokalpresse könnte sich dann noch stärker als bisher auf ihre Aufgabe besinnen, ein Medium der Öffentlichkeit zu sein und die sicherlich manchmal nicht so flüssig wie eine Turgenjew-Geschichte zu lesenden Mitschriften, für ihre Zielgruppe aufzubereiten.
Doch will das jeder? Wilfried Steinberg z.B., der Republikaner der Eisenhüttenstadt, ist nicht nur (
per definitionem) gegen jede Art von Monarchie, sondern auch gegen eine derart weitreichende Transparenz: "Wer Interesse hat, der kommt ins Rathaus" ist laut Bericht sein Standpunkt.
Nun hätte ich und hätten viele andere Eisenhüttenstädter fern der Heimat Interesse. Nur fehlt uns leider dazu - im Gegensatz zu Wilfried Steinberg - die Möglichkeit, das Rathaus so oft zu besuchen, wie es unser Interesse erfordern würde...
Die SPD - vertreten durch Holger Wachsmann - ist dagegen prinzipiell dafür, merkt aber an, dass die Sitzungsprotokolle mit zu viel Zeitverzögerung erstellt werden. Abgesehen davon, dass das eigentlich die mündige Stadtgesellschaft nicht so hinnehmen sollte, wäre die zeit- und bürgernahe Alternativlösung also ein (Live-)Podcast, wobei ein Videostream nicht zwingend ist. Wie es im Saal aussieht, wissen wir schon bzw. können wir uns ausmalen.
Überraschend kommt die - eventuell etwas unglücklich zitierte - Stellungnahme des stellvertretenden Bürgermeisters Thomas Kühn: "Ich begrüße den technischen Fortschritt." Eine offene Ablehnung hätte wohl keiner erwartet, aber sie wäre natürlich sehr originell. Und da es so originelle Zeitgenossen wie Erwin Linke von der Bürgervereinigung Fürstenberg/Oder gibt, findet man am Ende doch (hoffentlich nur) eine solche Position...
Thomas Kühn jedenfalls verspricht ein "Bürger- und Ratsinformationssystem" für die zweite Jahreshälfte 2007. Und obendrein sollen sogar die Stadtverordneten selbst über das Medium Internet kommunizieren bzw. ein paar Unterlagen abrufen. Erwin Linke als "bekennender Internetverweigerer" dürfte dabei vermutlich nicht mehr mitreden können, es sei denn, Thomas Kühn erbarmt sich und besorgt ihm doch noch einen Computer.
Die Digitale Kluft gibt es also auch mitten im Stadtparlament Eisenhüttenstadts: das ist folgerichtig, sollen doch alle Bevölkerungsgruppen repräsentiert werden. Der Diplomingenieur aus der Bürgervereinigung Fürstenberg/Oder tritt in diesem Rahmen als Repräsentant der Bevölkerungsgruppe auf, die zwar könnte, aber nicht will. Vielleicht sollte ihm mal jemand erläutern, dass der neue Medienpluralismus unter der Bewerkstelligung einiger kleiner Voraussetzungen auf dem Feld der Informations- und Medienkompetenz ganz neue Chancen auch für seine Stadt und ihre Kinder (und für ihn) bietet. Hätte man sich nicht so schmählich von der Volkshochschule getrennt, könnte man dort entsprechende Kurse für die internetfernen Teile der Stadtgesellschaft anregen. So bleibt diesen wohl nur der Weg über die Straße zur Stadtbibliothek. Oder eine selbstgefällige Versteifung ihrer rational kaum nachvollziehbaren Verweigerung.
Und schließlich ist, so informiert der Artikel, ist die Planstadt-"Konkurrenz" in der Uckermark einen Tick moderner, denn dort gibt es ein, wenn auch gestalterisch erschreckend schlicht aufgemachtes, "
virtuelles Rathaus". So reißt es mich nicht unbedingt in einen Begeisterungsrausch, aber wenn die Schwedter irgendwann einmal das Geld für einen Webgestalter aufbringen, dann könnte daraus eine richtig gute Informationsplattform werden.
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