Trotz all der kulturfernen Sprach- und Verhaltensbarbarei, die dem unbedarften Stadtbesucher zuweilen an der Kasse im Supermarkt "Real" entgegenschlägt, wenn er mit dem Kaltgetränk auf dem Förderband der nicht weniger kalten Kaltschnäuzigkeit der anderen Ein- und auch der Verkäufer begegnet, muss er doch zugestehen, dass eine Wanderschaft durchs Wohnstadtgebiet, geschieht sie offenen Auges, eine Fülle an Kunstgenuß in sich birgt. Abgesehen vom Kernstadtensemble selbst mit all den possierlichen und auch brutalen Gestaltungsformen, den Grünflächenachsen und Walter Funckeschen Wohnhöfen sowie dem bedeutungsschwangeren Loch im Stadtherzen (Zentraler Platz), dessen Urheber die Geschichte selbst ist, entdeckt man auf Schritt und Tritt besonders Skulpturen und Kunst am Bau.
Mit Malerei hat man es da nicht ganz so leicht und insofern ist es höchst begrüßenswert, wie am Giebelbild im WK. VI (mehr hier) einmal Metall und Farbe ineinander fließen sollen. Zudem gibt es am ehemaligen "Intelligenzblock" am Platz des Gedenkens zwei mosaikgekrönte Wandflächen und natürlich findet sich Womackas stadtidentitätsprägende Textilkaufhausgestaltung "Arbeit für den Frieden" an der Wand des Lindenzentrums. Wer aber nicht das Mosaik sondern die Malerei an sich sucht, der muss entweder ins Städtische Museum in den Fürstenberger Kiez oder - da staunt man sehr, wenn man's nicht weiß - er besucht das Rathaus und wendet sich im Foyer nach rechts in den Gang mit dem Standesamt. Dort entdeckt der überraschte Fremde schnell und vor Verzücken die maßgeblichen Kerngemälde zur Stadt, darunter die Visionen eines Otto Schutzmeister (sh. auch hier und hier), die Anspielungsfrachter eines Matthias Steier (mehr hier) und einige andere Kleinode der Stahlwerks- und Stahlstadtmalerei. Die dort mit Verwalten beschäftigten Damen scheinen tatsächlich recht beschäftigt (z.B. mit dem "Armband für's Stadtfest"-Verkauf u.ä.), sind sehr freundlich und lassen den Besucher ungestört vor den Bildern verweilen, wenn man mag, bis das Rathaus sein Pforte schließt.
Ist man früher mit Rezeption und Analyse fertig, kann man sich - den Gang zurück, die Treppe hoch - mit dem Natursteinmosaik "Unser neues Leben" vom viel- und gernerwähnten Walter Womacka beschäftigen, dass genug Details für ein weiteres halbes Stündchen Betrachtung bietet. Das neue Leben ist hier freilich nur Spur einer alten Utopie, wie man sie Ende der 1950er nunmal so hegte und pflegte.
Will man sich´s dann noch so richtig rathäuslich machen, empfiehlt sich im Anschluß zum Abschluß ein Versinken in der ledernen Möblierung der "Stadtmodell-Lounge", ein Geschoß tieferliegend. Dort hat man ein ausuferndes Stadtmodell (Stand 2003, d.h. mit bereits verschwundenen Steinbauten als Holzblöckchen), vier Glasfenster mit Stadtwappen (Fürstenberg/Oder, Eisenhüttenstadt, Saarlouis, Drancy) und zwei Stahlskulpturen zum Bestaunen. Darüber hinaus wirkt die Lounge besonders an schwitzigen Julitagen angenehm kühl und da fast niemand diesen Ort der Stille kennt, ist man meist mutterseelenallein und daher genau am richtigen Ort für die Lektüre der gehobenen Tagespresse oder ein Mittagsschläfchen.
Fazit: Auch ohne Trauungsabsicht lohnt für Freunde der Stadtkunst (besonders der sozialistischen) der Gang zum Standesamt. Allerdings - das gebietet die Ehrfurcht vor den verwaltenden Menschen - sollte man sich zurückhalten, auch wenn es vor den Bildern schwerfällt, und das pompöse EKO-Aufbruchslied "Wir haben das Werk in die Heide gesetzt.." nur innerlich intonieren.
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