Die Probanden als Bürgermeister würden die Philosophie des Stadtfestes verändern. Es sollte etwas anderes sein als Volksmusik und Würstchenbuden. Es darf ruhig "kleiner" werden, um den lokalen Handel nicht zu bedrängen, wie das jetzt der Fall ist.
Als hätten sie vorher unser Weblog gelesen, liegen die Autoren einer Studie mit dem Titel "Place Identity und Images. Das Beispiel Eisenhüttenstadt" (Wien,2006), die ich just heute aus der Buchhandlung an der Ecke abholte, mit ihrer Auswertung auf einer auch hier manchmal vertretenen Linie. Dabei wurde die Untersuchtung schon 2003 durchgeführt. Durchgelesen habe ich sie noch nicht, der Ergebnisteil mit der Auswertung der Interviews bestätigt aber eigentlich das, was jeder eisenhüttenstadtwahrnehmende Mensch auch für sich schlussfolgert:
- erodierte Zentralität
- City Center als Bermudadreieck
- Drei Zentralitätsimages: "traditionell"=Lindenallee, "modernistisch"=City Center, "integriert"=Lindenallee und City Center
- hoher emotionaler Bezug der Einwohner zur Stadt
- "Erosion des Selbstbewusstseins"
- Ort ohne Eigenschaften
- Werksiedlung als "Nobelviertel", WK VII als stigmatisiertes Quartier
- abgeschottere Stadtverwaltung, Machtakteure EKO, Rainer Werner und die SPD, machtlose Bürger
Die für mich aber bislang bemerkenswerteste Passage findet sich auf Seite 138 als Bemerkung der Wissenschaftler aus Wien zur Projektdurchführung (Hervorhebungen von mir):
Wir waren - bis zum vorliegenden Projekt - der Meinung, alle Widrigkeiten, Hindernisse und Sperrigkeiten, die sich bei Befragungen unter ungünstigen Umständen ergeben können, bereits erlebt zu haben.
Die "Haushaltsbefragung" in Eisenhüttenstadt zeigte uns jedoch die Grenzen unseres Vorstellungsvermögens [...] hinsichtlich der Frustration und Resignation von Probanden und der daraus resultierenden Unwilligkeit, an unserer Erhebung teilzunehmen. Wir haben ein derart extremes Ausmaß an Ablehnung und Verweigerung bei keinem unserer früheren Projekte erlebt.
Da soll noch einmal einer sagen, Eisenhüttenstadt ist nur eine Kleinstadt unter anderen. Weit gefehlt:
Ein erstaunlich hoher Anteil der angesprochenen Personen reagierte ausgesprochen aggressiv. Ausgelöst wurde diese Aggressivität durch Reizworte wie "Stadtverwaltung", "Bürgermeister","Politik" oder "Ausländer". In Einzelfällen wurden die Interviewer sogar direkt bedroht und aufgefordert zu verschwinden.
Überhaupt kommt der Bürgermeister, der sicher ein Blitzableiterfunktion übernimmt, aber nach meiner Wahrnehmung auch tatsächlich wenig Konstruktives gegen sein Image-Problem tut, nicht so gut weg. Allerdings fragt man sich dann natürlich, wieso er sich, als allseits ziemlich unbeliebte Zielscheibe solange in seine Postion halten kann? Rainer Werner, der ja meines Wissens, bald das Ende seiner Amtszeit erreicht haben wird, kann es schnuppe sein, aber sein Nachfolger (bzw. der, der es werden will) sollte den Abschnitt 15.4.4. "Fiktive Bürgermeister" durchaus mal lesen. Alle anderen sollten insgesamt mal durchblättern, was hier so ausgewertet wurde.
Erwerbsempfehlungen gehen also an die Bürgermeisterkandidaten, die Stadtverwaltung und vielleicht auch an die Stadtbibliothek hinaus. Ansonsten ist es für alle, die auf sozialwissenschaftliche Methodik und Erhebunspraxis abfahren, eine willkommene Nachtischlektüre. Für alle anderen könnte z.B. mal im Schlaube-Journal eine Zusammenfassung der Studie erscheinen. (Falls es noch nicht geschehen ist.)
Für alle, die die lokalen Buchhandlungen gehörig strapazieren wollen (der Titel ist nicht ganz leicht zu besorgen), hier noch einmal die Titeldaten:
Weichart, Peter (u.a.) [Hrsg.]: Place Identity und Images. Das Beispiel Eisenhüttenstadt. Wien : Inst. für Geographie und Regionalforschung, 2006. Abhandlungen zur Geographie und Regionalforschung ; Bd. 9
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