"Just when the fun is starting,/Comes the time for parting..."
Selten klangen Bass, Percussion und Piano perfekter im Zusammenspiel als in Bill Evans Version von Leonard Bernsteins Some Other Time und wenn die große schwedische Jazz-Sängerin Monica Zetterlund ihre Stimme hebt, um das Abschiedslied der drei Matrosen auf der Suche nach "Miss Turnstiles" anzustimmen, dann finden melancholische Gemütslagen, für die die bulligen Winterwochen in Städten wie Eisenhüttenstadt sonderbar prädisponiert sind, eine stilvolle musikalische Ummantelung, die sich sonst höchstens noch zu Juliette Grécos Bonjour Tristesse einstellt. Nach drei Durchläufen der Schallplatte ist man dann in schöner schwermütiger Erinnerungsstimmung und fragt sich wie Cecile im gleichnamigen Film: "Will I ever be happy again as I was in the beginning of that wonderful summer at the Riveria just a year ago?"
Allerdings ist unklar, auf wie vielen Plattentellern Eisenhüttenstadts in diesen Minuten tatsächlich Juliette Gréco rotiert und wer sich dazu an wunderbare Sommer in Antibes, Cassis oder Nizza erinnert. Die Bezugssymbole einer durchschnittlichen Eisenhüttenstädter Biografie, um die es - nur nebenbei gesagt - in diesem Blog bevorzugt geht, sind in der Regel aus anderem Stoff gewoben. Die Sehnsuchtsorte einer Fernsehkindheit der 1980er allerdings nicht unbedingt. Wenn das Gespräch daher auf die vielen Standards zuläuft, bleibt mir als Verteidigung nur zu sagen: "Blame it on my Youth". Als wäre man Martin Tupper, blitzt immer mal wieder ein Lied oder ein Bild aus heimlichen Fernsehnächten in die Erfahrung des Heute, aus Nächten, die mit der Nationalhymne eines fremdvertrauten Staates und/oder einem Testbild und/oder dem sich langsam drehenden Schlüssel in der Wohnungstür endeten und der Ungewissheit, ob sich die immer viel zu langsam abkühlende Betriebstemperatur zunächst eines Modells der Baureihe Ines und später des Colortron 4001 nicht doch als Verräter des heimlichen Nachtprogramms erweisen sollte.Es ist eine nicht unerhebliche Nebenerkenntnis, dass sich der frühe Medienkonsum anscheinend als so prägend erwies, dass zeitgenössische Fernseherlebnisse im Vergleich selbst zum damaligen Schwarz-Weiß-Programm (mit Sportmoderationen wie "Die BSG Stahl Eisenhüttenstadt sehen Sie von rechts nach links in den hellen Trikots...") hochgradig farblos erscheinen und die Aktiv-Passiv-Kombination des Medienverhaltens im Internet als weitaus reizvoller empfunden wird.
Das Attribut "farblos" passt auch ein wenig in die aktuelle Wetterlage und leider auch zum aktuell auf dem Fürstenberger Marktplatz aufsuchbaren Weihnachtsmarkt, der einen Besucher nicht an den Flammpunkt bringt, der notwendig wäre, um ihn tatsächlich länger trotz sich versteifenden Fingern, rötender Nase und unruhiger Beine zwischen Bratwurstbude und Glühweinstand zu halten. Die Stimmung ist weder zureichend warmherzig noch findet sich etwas auf den Grillrosten, was man guten Gewissens zu sich nimmt - eine Erkenntnis, die sich nach dem Feldversuch mit einer fetttriefenden Möchtegernthüringer wie ein ungebetener Gast einstellt und gleich einem solchen noch eine Weile die Knospen des guten Geschmacks verletzt, bis man ihn schließlich auf die harte Tour mit einer schokolierten Banane zu vertreiben vermag. Hilfreich und angenehm ist einzig der Blick auf das wirklich wunderschöne Kinderkarussell, von dem gesagt wird, dass auf ihm schon seit 1929 kleine Menschen auf weißroten Holzpferden und braunen Raubkatzen im Kreis um eine gar zauberhaft bemalte Mitte reiten und auch wenn es eine Lüge ist, glaubt man doch fest daran, irgendwann in einer wärmeren Jahreszeit auf einem Zentralen Platz selbst aufgeregt den Giraffenhals umklammernd an dem einen Strandball haltenden Pittiplatsch im 20 Sekunden-Takt vorbeigerauscht zu sein.
Und noch eine andere Tradition fällt im Straßenbild sowohl der Königsstraße wie auch der anderen Magistrale Eisenhüttenstadts ins Auge: Eine bewundernswerte Resilienz der Einwohner gegenüber jeglichen saisonalen Mode- und Stilvorgaben. Man trägt wie immer grau bis graubraune Töne, in Preis und Funktion optimierte Materialien und erschreckend identische Schnitte und Formen (bzw. bei der Herrenmode oft: Unformen). Es ist ganz so, als dominierten bei der textilen Grundversorgung immer noch die Angebote des Textilkaufhauses Magnet. Dem Kenner fällt auf, dass es sich wenigstens zum Teil um die Angebote eines ertrunkenen Versandhauses handelt und man darf gespannt sein, auf welche Lieferquelle man im nächsten Jahr vertraut, wenn der Kataloghändler endgültig im Meer der Insolvenzverwaltung versunken ist. Obschon Qualitätsjacken wie -hosen auch gern zwei oder fünf Winter durchhalten. Ich erinnere mich nur zu gut an eine waldgrüne Outdoor-Jacke, die in den mittleren 1990ern den Weg aus dem Geschäft eines Fachhändlers in der Bahnhofsstraße in meinen Schrank fand, die ich auch noch trug, als der Händler längst in Frankfurt/Oder sein Glück versuchte und die eine erbarmungslose Hand erst im letzten Jahr einem Sammelcontainer des Deutschen Roten Kreuzes übergab. Tragfähig war diese Wolfshaut noch immer, aber nicht mehr ganz tragbar, zumal sich in Berlin mittlerweile klare Tendenzen der Verschickung gerade in zentralöstlichen Stadtteilen durchsetzen und den legendären altberliner Schmuddelstil zum No-go werden lassen. Der üblichen Trendträgheit folgend dürfte es noch drei bis fünf Jahre dauern, bis auch in Eisenhüttenstadt Schurwollmäntel und Dufflecoats die Anoraks ersetzen.
Manchmal, aber sehr selten, mischt sich heute bereits eine knallgrüne Trainingsjacke ins Straßenbild Eisenhüttenstadts, die dann einem jungen Herrn aus einem südlichen Land am straffen Oberkörper klebt, der sich zielstrebig wie so viele in Richtung verkaufsoffenes (und vor allem beheiztes) City Center bewegt und auf diesem Weg den im strahlend kalten Sonnenlicht hellerleuchteten Hochofen in der Sichtachse der Magistrale als optischen Fixpunkt benützen kann. Den jüngeren eingeborenen Bewohnern der Stadt mag man zugute halten, dass sie die Einheitsfarbgebung, die sich so tapfer und trotzig seit erdenklichen Zeiten in Ostostdeutschland hält, wahlweise mit Schneetarn oder hitzeroten, knallengen Jeanshosen zu kontrastrieren versuchen. So oder so erkennt man erschreckend oft auf den Bahnsteigen der Berliner Regionalbahnhöfe schon allein an der Art sich zu kleiden, welcher Fahrgast den Zug der Regionalexpresslinie 1 bis zur östlichen Endstation benutzen wird. Vielleicht ist ja gerade das in gewisser Weise liebenswert.
Neben der Stadt-Couture fallen dem Flaneur, dessen Handschuhe es vorziehen, den Tag auf der Ablage eines leidlich beheizten Windfangs zu verbringen, im leichten Mittagsfrost der Lindenallee neben seinen gut durchgekühlten Fingergelenken nur wenige Dinge auf. In einem Schaufenster finden sich wuchtige Porträtbilder des Stadtmalers Matthias Steier, im City Café läuft zum Advent nicht so recht mitreißender Italopop, gegen den sich Al Bano & Romina Power als Vertreter der E-Musik absetzen könnten und der städtische Weihnachtsbaum steht mächtig und wie hingewachsen neben der Backbox und wirkt etwas eingeschüchtert, da die Lichtlein gegen 13 Uhr natürlich noch nicht angezündet sind. Warum sich allerdings das Sofortbild des Tages in der eher rötlichen Lichtlage entschloss, die Entwicklung Richtung Eisblau zu treiben, ist nicht recht zu erklären. Eventuell liegt es schlicht daran, dass die Polaroid-Filme nach zwei Jahren unsachgemäßer Lagerung nicht mehr mitspielen, wie es der Fotograf einfordern möchte. Oder sie zeigen sich irritiert von der magischen Erscheinung, die im realen Aufnahmemoment ungesehen und -gespürt durch die Magistrale tanzte, die Linse aber doch nicht zu überlisten verstand und nun als Mythos einer gealterten Zini aus einem verschollenen Spaß am Dienstag durch das Internet wabern wird. In jedem Fall wird ein irritierender Augenblick des 13.12.2009 fixiert und mehr braucht man auch gar nicht zum Sonntagabend.
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