[...]noch ist es nicht soweit. Noch existiert die Fabrik eben nur auf dem Papier. Doch allespüren auf der Informationsveranstaltung der Progroup AG auf dem künftigen Firmengelände, dass etwas Gewaltiges auf Eisenhüttenstadt zukommt: 630 Millionen Euro an Investitionen. 150 direkte und etwa 500 indirekte Arbeitsplätze. 70 000 Quadratmeter überbaute Fläche.
Das Oder-Spree-Journal der Märkischen Oderzeitung berichtet heutet erwartungsgemäß hoffnungsvoll vom
frischen Wind für den Standort, verschweigt aber etwas, was die
Märkische Allgemeine Zeitung weiß:
Das Land fördert die Investition mit bis zu 80 Prozent.
Wenn es denn Aufschwung bringt. Abgesehen davon klingt es wirklich so, als kehrte hier Stalinstädter Aufbruchsenthusiasmus an den Oder-Spree-Kanal zurück:
Noch wachsen Kiefern und Birken auf dem Gewerbegrundstück am Oder-Havel-Kanal in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree).
Man darf gespannt sein, wer diesmal die erste Kiefer schlägt. Einen Gesamtzeitplan gibt es jedenfalls schon:
"Diese Fabrik wird hier 50 bis 60 Jahre produzieren."
Ob dann die Nachfahren der umzusiedelnden Familie Falkenberg, über deren ungünstige Grundstückslage die Märkische Oderzeitung ebenfalls heute
berichtet, wieder eine Rücksiedlung planen? Vermutlich nicht, jedenfalls wenn die Stadt eine gutes Alternativobjekt findet:
"Wir haben das Grundstück meiner Eltern ausgebaut und sind erst vor einem halben Jahr eingezogen", sagt Elke Falkenberg-Böhmer, die mit Mann, Mutter und deren Lebensgefährten sowie etwa 20 Tieren hier lebt und nun gespannt ist, was ihr die Stadt als Ausweich anbietet.
Platz dürfte es ja wohl genug geben. An der Fährstraße ist beispielsweise gerade erst ein größeres Flurstück mit erstklassiger Anbindung ans Kaufland baubereinigt worden. Stadtmanager Wolfgang Perske "glaubt, akzeptable Alternativen in der Stadt anbieten zu können." Und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, da es hier um etwas sehr Großes geht. Zunächst muss Wolfgang Perske allerdings erstmal wieder seinen Kragen richten:
Da platzte Wolfgang Perske, Chef vom Stadtmanagement, fast der Kragen. "Haben Sie noch immer nicht begriffen, dass wir unterschiedliche Gebietskulissen haben?"
Was hinter diesen geschieht, verrät uns Janet Neisers Artikel über den
Traum von der sozialen Stadt, der ebenfalls im heute sehr lesenswerten Regionalteil der Märkischen Oderzeitung zu finden ist. Die verbal entgleisende Gebietskulissenschieberei hat ihren Ausgangspunkt im Bund-Länder-Programm "
Soziale Stadt", welches die Lebensbedingungen, Lebenschancen und Identifikation in Problemquartieren stärken soll. Eisenhüttenstadt begreift sich großflächig als solches:
"Normalerweise werden hier Neubauviertel oder soziale Brennpunkte unterstützt", sagt Andrea Peisker, die Projektleiterin aus dem Rathaus. "Bei uns ist das anders." Eisenhüttenstadt sei "ein Sonderfall", betont sie.
...
Im Gegensatz zu anderen Städten, wo das Geld nur in einen bestimmten Wohnkomplex oder in ein stark abgegrenztes Quartier gepumpt wird, handelt es sich in der Stahlstadt um eine großflächige Kulisse. Das verrät bereits der Untertitel auf dem Handlungskonzept: "die Innenstadt, die WK I bis IV und zentrumsrelevante Bereiche". Zu diesen zentrumsrelevanten Bereichen gehört ein Teil des sechsten Wohnkomplexes - die Grenze bildet in etwa die Fröbelringpassage.
Ein Problem dabei ist, dass es keine Zusagen gibt:
"Das Land reagiert auf einzelne Projekte und auf die eigene Haushaltslage."
Ob vielleicht die Großförderinvestition des Landes in die Papierfabrik am Ende nichts mehr für die Soziale Stadt im Landeshaushalt lässt? In jedem Fall ist davon auszugehen, dass andere Kommunen im Land irgendwann eine Überversorgung der Eisenhüttenstadt bemängeln werden. Noch ist es aber nicht so weit und an sich ist der Ansatz nur zu begrüßen:
Und im besten Falle wächst dadurch die Identifikation der Bewohner mit ihrem Wohngebiet und ihr bürgerschaftliches Engagement - so wie es eine bundesweite Umfrage des Deutschen Instituts für Urbanistik in Berlin in den Programmarealen "Soziale Stadt" ergeben hat. "Die Stärkung der Eigeninitiative der Bewohner wird für 90 Prozent der Gebiete genannt", heißt es da.
Anderseits sollte man das Förderspiel idealerweise andersherum aufziehen und die Identifikation als zentrales Element behandeln und nicht als möglichen Mehrwert "im besten Fall". Ein Normalfall, bei dem ein bisschen Fußweg gebaut wird oder ein Stadtteilbüro für zwei, drei Jahre in einem leerstehenden Komplexzentrum betrieben und dann aus dem Wohngebiet in die Magistrale abgezogen wird, ist nicht unbedingt ein Garant für Nachhaltigkeit bzw. "Zukunft" im Stadtteil. Die im Artikel genannten Ideen weisen allerdings nicht unbedingt in eine solche Richtung, sondern wirken erschreckend fantasiearm:
l aufwertende und barrierefreie Gestaltung der Lindenalleel Erstellung einer Praktikumsbörse zur Stärkung der lokalen Ökonomie
l Umgestaltung des Zentralen Platzes
l Umzug des Stadtteilbüros aus dem sechsten WK ins Zentrum
l Spielplatz-Entwicklungskonzept
l Etablierung Eltern-Kind-Zentrum im Fröbelring
Die Lindenallee erlebte schon die eine oder andere Umgestaltungswelle und war wenigstens für die Tuning-Gemeinde der Stadt beliebter Identifikationsort. Dass die Magistrale ansonsten manchmal wie eine Marginale wirkt, hat bekannte andere Ursachen.
Ob man die lokale Wirtschaft dahingehend stärkt, dass man zentral Arbeitskräfte vermittelt, die unbezahlt zu Werke gehen, ist eher fraglich. Dass es unsozial ist, Menschen ohne Entlohnung von Praktikum zu Praktikum zu schicken dagegen nicht. Man kann nur hoffen, dass dies den Entscheidern bei der Mittelzuweisung bekannt ist und sich hier die "Soziale Stadt" verweigert.
Die Umgestaltung des Zentralen Platzes ist im Gespräch, seit es diesen gibt. Eine Idee ist das nicht, sondern eher eine städtebauliche Notwendigkeit. Nahe liegend wären sicher Temporärnutzungen und sei es eine Rückverlagerung des Rummelplatzes vom Inselvorplatz in die Mitte der Stadt, wo es ihn früher manchmal gab. Ansonsten bliebe natürlich auch Platz für einen zentralen Gazprom-ProWell-Arcelor-Mittal-Tower, der idealerweise in der Architektur des einst geplanten Kulturhauses erwachsen würde. Gerade die Gazprom-Vertreter dürften sich angesichts der aktuellen Tendenzen im russischen Städtebau für solch eine Lösung begeistern lassen. In jedem Fall besitzt dieser Ansatz Stadtraum für wirklich interessante Umsetzungen.
Inwieweit die Verlagerung des Stadtteilbüros aus der Fröbelringpassage in die Lindenallee einen Vorteil bringt, ist so nicht nachvollziehbar. Das Signal an den VI. Wohnkomplex wäre jedoch, dass man hier, wie schon die meisten Händler, das Kapitel abschließt und die fördermittelsanierte Passage aufgibt. Vielleicht wirkt das geplante "Eltern-Kind-Zentrum" dagegen, sofern es nicht mit den Interessen des vom Center-Manager seit langer Zeit angekündigten Großmieters kollidiert.
Ein Spielplatz-Entwicklungskonzept für eine familienfreundliche Stadt ist zweifellos nichts Verkehrtes, wenn es beispielsweise die bestehenden Spielanlagen auf der Insel wieder bespielbar macht. So könnte man gleichzeitig den Eisenhüttenstädter Stadtpark, der unbedingt in die Agenda gehört, einen notwendigen Tick attraktiver machen. Sehr begrüßenswert wäre auch eine Wiederfreilegung und Nutzbarmachung der Badebecken in den Höfen des II. und III. Wohnkomplexes.
Der entscheidende Punkt bleibt aber ein Identitätsmanagement, denn ohne ein solches sind all die gut gemeinten Ansätze im Ergebnis wirklich nichts weiter als eine aus Fördermitteln (ko-)finanzierte Kulisse mit geringer Haltbarkeit.
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