Besonders betroffen seien die Dörfer und Eisenhüttenstadt. Die Stadt hat etwa 33 000 Einwohner. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang von 2,3 Prozent.
Eine
dpa-Meldung zum Schrumpfen der Bevölkerungszahl des Landkreises Oder-Spree weist uns die Richtung: Eisenhüttenstadt in den Grenzen (der Stalinstadt) von 1958. Zum Stichtag 31.12. des genannten Jahres lebten in der Stahlwerkstadt exakt 19629 Menschen, unter diesen allerdings nur 43 in der Altersklasse 80 bis 90. Diesen standen 1267 6-10jährige gegenüber. Heute, so scheint es manchmal, kehrt sich dieses Verhältnis beinahe um.
Shrinking City und
Wrinkling City gehen aktuell zumeist Hand in Hand, wie sonst im Idealfall Enkel und Großvater.
Der Anzug der Stadt der Großväter (d.h. also Stadtgebiet und Infrastruktur) ist für die paar verbleibenden Enkel momentan offensichtlich ein paar Nummern zu groß und vor die Wahl gestellt: Zerfasern in der Weitläufigkeit oder Zusammenschrumpfen auf den Kern hat sich man bekannterweise für die zweite Variante entschieden. In wenigen Jahren sollen die Wohnkomplexe I bis III+IV wieder Orte sein, die sich dem Besucher mit glücklichen Menschen belebt darbieten und in denen man abends wieder Probleme bekommen wird, wenn man einen Parkplatz sucht.
Diese Konzentration erfordert im Gegenzug, dass weniger prioritäre Ecken, besonders an der (neuen) Peripherie der Stadt entvölkert werden. Aus der verlassenen Stadt wird nun die verschwundene Stadt, denn selbst in einer Überflussgesellschaft ist der Überfluss an Wohnraum ein mächtiger Ballast, der, so ein Argument, den Markt zerstört und daher die Lebensfähigkeit der Wohnungsbaugesellschaften gefährdet.
Es erinnert an den (mitterweile abgebaggerten) Butterberg und an den (mittlerweile
ausgetrockneten) Milchsee und so wie dort Schluss mit Marktverzerrung ist, ist es nun auch hier der Fall. Die Frage ist aber, bei der Wohnungshalde womöglich noch stärker als bei der Entwicklung auf dem Gebiet der Milchwirtschaft - in deren Zusammenhang mit dem Onken-Debakel ohnehin noch ein ziemlich düsteres Kapitel im Schwarzbuch Eisenhüttenstadt zu verfassen ist - wie man es tut. Immerhin schwindet für nicht wenige der Bewohner mit ihren Quartieren auch das, was sie als Heimat verstanden. Abriss von Wohnhäusern bedeutet in der Regel auch immer, dass man den Menschen ein Stück räumlich manifestierte Identität entreisst. Man kennt es von den Dörfern, die die Braunkohle fraß und noch immer immer wieder mal frisst, man kennt es aus Funk und Fernsehen von Staudämmen in Fernost, hinter denen ganze Großstädte, Tierarten und ein paar tausend Jahre Kulturgeschichte versinken und man kennt es natürlich auch von den sozialistischen Städtebauprogrammen (man denke nur an die Planungen des Generalbebauungsplans für Eisenhüttenstadt von 1969, der von Fürstenberg nur noch Kirche und Rathaus stehen lassen sollte).
Immer ist man schnell mit dem Argument von wirtschaftlichen Notwendigkeiten bei der Hand, dem sich das Individuum zum Nutzen der Gemeinschaft fügen muss. Das ist nicht an sich verkehrt, aber manchmal scheint man zu vergessen, dass die konkreten Individuen, wenn sie zusammenwirken, das Abstraktum "Gemeinschaft" bilden. Entsprechend muss sich die Eisenhüttenstädter Wohnungsbaugenossenschaft (EWG) nicht wundern, dass ihr der Abriss ihrer drei Plattenbaublöcke in der Tunnelstraße nicht ganz so reibungsfrei gelingen wird, wie man es sich vielleicht auf den Vorstandssitzungen überlegt hat. Janet Neiser berichtet jedenfalls
heute in der Märkischen Oderzeitung von der Wut des Jochen Krüger:
"Das wird so nicht laufen. Da wird es Widerstand geben", schnauft Jochen Krüger aufgebracht. Nein, den Abriss der Tunnelstraße will der 63-Jährige nicht einfach so hinnehmen. "Dass die Gebäudewirtschaft abreißt, stand ja schon fest, aber von der EWG war nie die Rede." Das habe man erst aus der Presse erfahren. "
Der letzte Satz verweist direkt auf das eigentliche Problem. Offensichtlich wurde bei aller Umbau-Planung nicht berücksichtigt, dass sich derartige Konflikte, die gemeinhin nicht ausbleiben, besser handhaben lassen, wenn man frühzeitig und direkt auf die Mieter zugeht und ihnen eventuell auch einmal signalisiert, dass man sie und ihre Verwurzeltheit ernst nimmt. Im vorliegenden Fall scheint man dies, jedenfalls wenn man die zitierten Aussagen der EWG-Leiterin Verena Rühr-Bach zum Maßstab nimmt, nicht gelungen zu sein:
Und so "plötzlich" sei die Entscheidung für den Abriss auch nicht gefallen. Zwar habe man tatsächlich noch nicht über das konkrete Vorhaben mit den gegenwärtig 120 Mietern gesprochen, "aber die Tunnelstraße stand bei uns immer als Reserve auf der Abrissliste ab 2011", betont Rühr-Bach.
Ja klar. Und als engagierter Mieter muss man nunmal regelmäßig nachfragen, ob man den Plan B nun umsetzt oder nicht:
Reserve hieß immer: Vielleicht bleiben die Häuser stehen, vielleicht werden sie abgerissen. Jetzt steht der Abriss definitiv fest. "Genossenschaftsvertreter wie Herr Naumann hätten aber jederzeit bei uns nachfragen können und Auskunft bekommen", sagt die EWG-Chefin. Und neue Mieter haben seit Jahren immer nur Zeitmietverträge erhalten - mit dem Hinweis auf einen möglichen Abriss, erklärt sie.
So geht es wieder los, das berühmte Spiel mit dem Schwarzen Peter, wobei es womöglich deeskalierender gewesen wäre, wenn Verena Rühr-Bach und ihre Kollegen eine kommunikative Lösung gesucht hätten, als auf irgendwelche potentiellen Indizien zu verweisen, die ein Mieter in seinem Heimatblock eventuell als Abrisssignal hätte interpretieren können.
Spätestens für die Entscheidung, dass die Reserve nun mitgenommen wird, wären wohl die direkt Betroffenen eine erste Adresse gewesen. Jetzt muss sich niemand in der EWG über härtere Fronten wundern, denn man kann es Jochen Krüger und Karl Naumann nicht übel nehmen, dass sie im Gegensatz zur EWG ihren Block nicht nur unter ökonomischen sondern ganz individuellen Gesichtspunkten - eben als
Heimat - bewerten.
Es verwundert immer wieder neu, dass dies von EWG und Co trotz mittlerweiler reichlicher Erfahrungen auf diesem Gebiet augenscheinlich derart unterschätzt wird. Statt die Argumente und vor allem die dahinter stehenden Gefühle der Betroffenen in irgendeiner Form ernst zu nehmen, haut man hölzern, wie es nur geht, noch einmal nach:
Dort werden sie dann auch fragen, warum die EWG erst im Vorjahr die Türsprechanlagen erneuert und die Hausflure renoviert hat. Fenster und Fassade wurden auch saniert, sagt Krüger. "Und wofür das alles?" Die Antwort der EWG-Chefin wird lauten: "Das waren normale Renovierungsleistungen. Fenster und Wärmeschutz wurden bereits 1991 gemacht. Da gab es Zuschüsse." In den Wohnungen selbst sei nichts modernisiert worden. "Sogar Wasser und Heizung werden noch pauschal abgerechnet", erklärt sie.
Welcher Mieter, der sich seit 1972 glücklich und zufrieden in der Tunnelstraße 18 wohnt, wäre hier nicht überzeugt? Und natürlich: Damals gab's Zuschüsse zum Renovieren und jetzt zum Rückbau und das muss doch in so einen sturen Mieterschädel hineingehen... Schade, dass man an mancher Stelle nicht zu verstehen scheint, dass die Probleme und Sorgen der anderen, d.h. der Mieter im Block, sehr schnell die eigenen sein können.
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