Fast scheint es, als wollen sich die Eisenhüttenstädter nur an Glückliches aus DDR-Tagen erinnern, wenn die Enquetekommission in der Vergangenheit schon nach den Folgen der Diktatur bohrt. Da kann Eppelmann reden soviel er will: Daß niemand in der Kommission die Lebensleistung der einzelnen hier kritisieren will, daß es um die Fehler der politisch Verantwortlichen geht. Daß man den Folgen dieser Fehler im täglichen Leben auf die Spur kommen will. Die meisten im Saal trauen ihm so wenig wie "allen heute da oben". Ein Mann mittleren Alters tritt ans Mikrofon: "Sie können hier analysieren, was Sie wollen. Aber wir lassen uns unsere Identität nicht nehmen, sagen Sie das Ihrem Bundestag, Herr Eppelmann."Ein spontaner Blick in das Zeitungsarchiv hat mich geradewegs auf ein beinahe vergessenes Ereignis geworfen, von dem ich hier kurz Kunde geben mag. Kaum jemand erinnert sich noch daran, dass im April 1997 die "Enquetekommission des Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur" unter der Leitung von Rainer Eppelmann, Gründungsmitglied der DDR-Oppositionsgruppe Demokratischer Aufbruch, in Eisenhüttenstadt Station machte und mit seinem Anliegen (bzw. dem der Kommission) in einer gemeinsamen Gesprächsrunde mit den Eisenhüttenstädtern ziemlich missverstanden wurde. Heute staunt man, wie tief die Kluft zwischen Ost und West damals war und auf welch rutschigem Gelände die Veranstaltung stattfand:
Der Sitzungssaal im Rathaus von Eisenhüttenstadt ist rappelvoll. Die Stühle reichen nicht aus. Die Enquetekommission des Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die sich in der Stahlstadt drei Tage lang mit dem Alltag in der Diktatur befaßt, hat die Bürger zum "Erzählabend" geladen. "Wissen Sie, Herr Eppelmann", wendet sich gleichDas ist doch schon einmal ein Schuss dumpfer Verbitterung von den Bug des demokratischen Anliegens, welches selbst sicherlich in gewissen naiven Annäherung entstand. Die Fähigkeit zum Differenzieren, und auch zur Abstraktion von eigenen unmittelbaren Befindlichkeiten, welche die Voraussetzung für eine sachbezogenen Diskurs darstellt, ist bei solch emotional besetzten Themen eine hohes und äußerst seltenes Gut. Daher wurde die Kommission, sich mit Analogien wie dieser auseinandersetzen:
zu Anfang ein Mann aus dem Publikum an den Vorsitzenden der Kommission, "Ihre Westprofessoren, die hier gesprochen haben, mögen im Westen vielleicht Applaus kriegen, wir können ihnen nur bescheinigen: mangelhaft. Die haben doch keine Ahnung, wie wir hier gelebt haben."
"Wir hatten uns in der DDR unseren kleinen Wohlstand aufgebaut", sagt Herr J. "Jeder hatte Arbeit, eine bezahlbare Wohnung, und einen Trabant hatte auch fast jeder." Seine Trabis hätten ihn 30 Jahre nicht im Stich gelassen, aber mit dem neuen VW sei er schon zweimal liegengeblieben, macht er seinem Zorn auf die neue Gesellschaft Luft.Dem standen dann Erfahrungen wie dieses gegenüber:
Der einzelne, der sich nicht total anpaßte, wurde tyrannisiert, "weil das Kollektiv nicht den Mut hatte zu dulden, daß einer anders war", sagt Herr H. Er wurde als 18jähriger wegen "staatsfeindlicher Hetze" inhaftiert, weil er in der Kneipe erzählt habe, er werde einen Ausflug machen statt zur Wahl zu gehen.Und auch das, was man so häufig hört und was für ein bestimmte Generation ein Kernbestandteil ihrer Vergangenheitskonstruktion geworden ist, weshalb man es durchaus ernst nehmen muss, selbst wenn man es kaum mehr nachvollziehen kann, fehlte nicht:
"Ich dachte, ich käme ins Paradies", schildert er seine ersten Eindrücke von der 1950 am Reißbrett entworfenen Stahlstadt. "Warmes Wasser aus der Wand, Heizung, im EKO (Eisenhüttenkombinat) täglich zehn Wahlessen für 80 Pfennig." Ihm habe nichts gefehlt. Klar sei er auch mal unzufrieden gewesen, da sei er bei der nächsten Wahl dann "aus Protest erst fünf vor sechs zur Wahlurne gegangen".
Was die Kommission aus all diesen Äußerungen, abgesehen von der Zurkenntnisnahme, machte, ließ sich so schnell nicht ermitteln. Die Materialien der Kommission füllten immerhin acht Bände in 14 Teilbänden (sh. auch hier). Weitaus schneller zu lesen ist der Artikel zur Veranstaltung im Archiv der Berliner Zeitung: "Wir hatten unseren kleinen Wohlstand".
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