Der für die Bahn lukrative Paketverkauf stößt in Brandenburg auf Unverständnis. Infrastrukturminister Reinhold Dellmann (SPD) ist verärgert: „Ich sehe die aktuelle Lösungsstrategie der DBAG kritisch, mit Investorenpaketen die Immobilienlast rasch abwickeln zu können.“ Die Bahn müsse ihre Gemeinwohlverpflichtung wahrnehmen und dürfe nicht nur reine Kapitalverwertungsinteressen vertreten, fordert Dellmann. Dahinter dürfte nicht zuletzt die Befürchtung stehen, dass kleine, wirtschaftlich ohnehin gebeutelte Städte ohne repräsentative Bahnhofsgebäude weiter an Anziehungskraft verlieren.In Eisenhüttenstadt hat man glücklicherweise schon längere Zeit tüchtig daran gearbeitet, dem Bahnhofsgebäude samt Umfeld jede Repräsentanz in der Ausstrahlung zu nehmen und wenn man die lokalen Durchschnittsfahrgäste im Wartebereich beobachtet, scheint es mitunter, dass sich hier die Stadtbevölkerung - zugegeben nicht im repräsentativen, aber doch im größeren Umfang - redlich müht, der ganze Kiste noch ein paar Dellen mehr zuzufügen. Manch einem ahnungslosen Anreisenden drängt sich dann auch gleich der kurze Schluss in Folgerung auf, dass es bei diesen Verhaltensweisen wohl kein Wunder ist, wenn für diese Stadt der Zug abgefahren ist. Aber das ist er gar nicht, auch wenn die meisten Eisenhüttenstädter z.B. von der kommenenden Großproduktionsanlage für Wellpappe unmittelbar nicht viel haben werden, ausgenommen vielleicht - hoffentlich nicht (vgl. hier) - die spezifischen Schadstoffemissionen. Nur die schwere Hypothek in Gestalt des nicht veräußerlichen Bahnhofsgebäudes ist nun wohl ziemlich sicher abgekoppelt. Geschenkt wäre hier vermutlich - oder gerade - selbst der Stadt viel zu teuer und Bäckermeister Peter Dreißig wird mit der Rettung des Stadtzentrums schon genug zu tun haben, als dass man ihm auch noch dieses versemmelte Ding mit Gleisanschluss wird schmackhaft machen können:
Da freuen sich Fahrgäste ungemein, dass ihnen von der Bahn AG eine wegezollfreie Nutzung des Zugverkehrs ermöglicht wird... Von dem französischen Philosophen Jean-Claude Michéa ist der schöne Ausdruck "Metaphysik der Sachzwänge" überliefert, der im Zusammenhang mit dem entfesselten Liberalismus das Dogma der Alternativlosigkeit beschreibt und leider bei der Betrachtung der geläufigen zweckökonomischen Brachialdiskurse, unter anderem auch in der öffentlichen Verwaltung, viel zu wenig berücksichtigt wird. Auch die Bahn AG, die sich in der Geschäftsausübung - wenigstens in Ostbrandenburg - den Wortbestandteil Service aus der Selbstbeschreibung Serviceunternehmen erfahrungsgemäß weitgehend entfernt hat, pocht auf das bedingungslose Einstimmen in das Mantra dieser so dominanten wie eigentlich öffentlichkeits- und damit demokratiefeindlichen Heilslehre des frühen 21. Jahrhunderts.
"Der Zugang zu den Gleisen bleibt für unsere Fahrgäste ohne Einschränkungen gesichert“, so die Bahn-Sprecherin. Zu dem Verkauf der Bahnhöfe habe es keine Alternative gegeben. „Wir können keine Gebäude bewirtschaften, die für den Bahnbetrieb nicht mehr benötigt werden“, sagt die Unternehmenssprecherin. Allen betroffenen Kommunen sei ein Vorkaufsrecht eingeräumt worden, das jedoch von keiner wahrgenommen worden sei. Daher nun der Paketverkauf an das private Bieterkonsortium.
Die Wirtschaftsfreiheit des Einzelnen bedeutet allerdings immer auch die Einschränkung der Freiheit einer Mehrheit. Wer beobachtet, wie der öffentliche und damit frei nutzbare Raum beispielsweise im Filetstück Berlin-Mitte auf ein Minimum zusammenschrumpft und die Betonung statt auf Begegnungs- und Sammlungseindrücke beinahe ausschließlich auf Konsum- und Zerstreuungserlebnisse umgeschichtet wird und sogar ein Palastabriss als Entertainment vermarktbar wird, kann nur hoffen, dass langfristig die eigene Konsumpotenz auf einem Niveau gehalten werden kann, dass wenigstens die Aufenthaltsduldung in diesen Stadträumen gewährt wird.
Oder man zieht sich an die wenig attraktiven und daher schwer vermarktbaren Ränder zurück, um hier eine Lücke im Modell zu finden. Das könnte man übrigens fast Gentrifizierung nennen, auch wenn der exakte soziologische Definitionsrahmen etwas enger fasst, was immer weiter geht. Der Weihnachtsmarktspaß in Berlin-Mitte ist ein prima Anschauungsunterricht, der Weihnachtsmachtspaß in Eisenhüttenstadt mangels der lokal vergleichsweise eingeschränkten Leistungsfähigkeit in punto Konsumwahrnehmung wahrscheinlich bislang nur bedingt.
Wie es auch immer sei, die kommunalen Verwaltungen können es sich leicht machen:
„Die Übernahme oder der Betrieb nicht mehr benötigter Bahnhofsgebäude ist keine kommunale Aufgabe.“und die Bahnvertreter ebenfalls. Den Schwarzen Peter für einen eventuellen Abriss der historischen Bahnhofsbausubstanz übernimmt mit Kußhand ein für die Betroffenen - im Gegensatz zur Bahn AG - weitgehend gesichtsloses Unternehmen, das im Gegenzug ein paar schmucke und verwertbare Objekte zum Glück versuchen bekommt. Mehr zum Thema steht in der WELT: Bahn will 156 Bahnhöfe loswerden
Ob man droben im Bahntower am Potsdamer Platz in Bezug auf die leider weitgehend alternativlos bahnabhängigen Bevölkerungsgruppen in der Weite des Landes Brandenburg solche Formulierungen schwingt?
Wir wissen es nicht und so wie es aussieht, bleibt auch der schrumpfenden Stadt Eisenhüttenstadt noch etwas längerfristig ein Gleisanschluss erhalten, zumal bei den potentiellen Güterverkehrskunden. Gleisanschluss bedeutet aber nicht gleich Bahnhof. So spart sich die Bahn einerseits ihre Tradition und wird andererseits kulturlos, dies allerdings für einen - hoffentlich zeigt das nicht immer die beste Figur machende Management hier, was es zeigen sollte - guten Schnitt am Jahresende.
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