Im westlich von Halle gelegenen Aschersleben, dessen Einwohnerzahl zwischen 1990 und 2005 von 34152 auf 25 909 schrumpfte, erblickt man auf Abrissflächen am stark befahrenen Innenstadtring als neue Raumkanten begrünte Metallgerüste oder eine Wand aus Drahtkörben, die im Stil einer Assemblage mit sauber geschichteten alten Dachziegeln, Waschbecken oder Klinker gefüllt sind. Im Jahr 2010 soll sich der Ring nicht mehr als graue Durchgangszone, sondern als «Drive-thru-Gallery» präsentieren.
Das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung berichtet heute darüber, wie man in Sachsen-Anhalt mit den auch dort allgegenwärtigen Stadtschrumpfungsprozessen umgeht. Denn Shrinking City zu sein ist in Ostdeutschland nunmal gerade kein Alleinstellungsmerkmal und die recht fantasiearme Art und Weise, mit der man dem Problem bislang in Eisenhüttenstadt begegnete sicher auch nicht. Dennoch sollte man sich gerade in Eisenhüttenstadt möglichst aktiv in den Diskurs hineinstürzen, der sich darum dreht, was man denn mit den übergroßen und überflüssigen Stadträumen so anstellt. In Stassfurt hat man die Berliner Landschaftsarchitekten Häfner und Jimenez einen kleinen See in die leere Mitte der Stadt (eine ähnliche Wunde gibt es auch in Eisenhüttenstadt) zaubern lassen, in Weissenfels versucht man ein nun mehr überflüssiges Elektrizitätswerk (hatten wir zwei, anderthalb sind schon gesprengt) unbedingt zu erhalten und einer Alternativnutzung zuzuführen, in Merseburg geht es um die Öffnung für "neue Milieus", wobei explizit auch die sich dort temporär aufhaltenden Migranten (gab und gibt es auch in Eisenhüttenstadt) eingebunden werden sollen und Köthen setzt auf "Homöopathie als Entwicklungskraft" (in der Tat für Eisenhüttenstadt vielleicht keine Option).
Dies alles und etliche Projekte und Projektideen mehr finden sich dank der IBA Stadtumbau 2010 ausführlich dokumentiert und vernetzt. Insofern ist es ein Leichtes, den eigenen Tellerand auszudenen. Parallel dazu wünscht man sich auch innerhalb Eisenhüttenstadt verstärkt Foren und Formen, in denen Ideen für Neu- und Zwischennutzungen der das Stadtgefüge mittlerweile erheblich perforierenden Freiräume getauscht, geplant und umgesetzt werden können. Jede Stadt ist speziell und unsere kleine (ehemalige) Metallurgiemetropole hat auch stadthistorisch noch ein paar unvergleichbare Eigenheiten, weswegen eine imitierende Übernahme fremder Erfolgsrezepte sicher kein sinnvolles Vorgehen ist. Aber inspirieren lassen kann und sollte man sich schon.
Mut zur Lücke. Das kann durchaus Charme besitzen. Allerdings setzen Lücken Begrenzungen voraus und von solchen ist im lokalen Abrissgebiet häufig nichts mehr zu erahnen. Die entstandenen Freiflächen sind dadurch derart vogelfrei und lückenlos, dass sich kaum mehr eine stadträumliche Perspektive erkennen lässt.
Vorrangig setzt ein gelingender Stadtumbau jedoch ganz grundsätzlich bei den Bewohnern der Stadt an, denn letztlich sind sie nicht nur Empfänger, sondern - soll die Umstrukturierung funktionieren - auch die, die sie tragen und in gewisser Weise durchführen müssen. Entscheidend ist dabei die Wirkrichtung der allgemeinen Stimmung:
Der Strukturwandel müsse positiv als Chance zur Stadtgestaltung statt negativ als lähmende Bedrohung begriffen werden.Darum sind die Veränderungen auch immer als Geste zu lesen:
Manch einer wird sich fragen, ob all die Massnahmen in den schrumpfenden Städten nicht bloss Tropfen auf den heissen Stein sind. Doch wo immer mehr öffentliche Einrichtungen schliessen, Tausende von Wohnungen auf Dauer leer stehen, der Rückbau überdimensionierter Leitungsnetze ansteht und Hoffnungen auf einen Wirtschaftsaufschwung schwinden, geht es zuallererst darum, der Entmutigung und Passivität etwas entgegenzusetzen.Und auch die wirtschaftlich gesehen nahliegende Variante eines Totalabrisses, wie er im WK VII sehr gut sichtbar erfolgt, wird als Geste wahrgenommen und verstanden. Allerdings wirkt dieser Entscheid der Wohnungsbaugenossenschaften und der Stadtverwaltung gerade nicht der Entmutigung und Passivität entgegen. Entsprechend gilt es umso mehr jenseits einer sklavischen Verkettung der Stadtentwicklungsprozesse mit einem weitgehend extern definiertem Investitionsklima, Zeichen zu setzen, die aktivieren und - auch das ist nötig - zeigen, dass sich eine funktionierende Stadtgesellschaft und ein sinnerfülltes individuelles Dasein in dieser gerade durch etwas anderes auszeichnen, als durch Konsumptionsmöglichkeiten. Nämlich durch das Gegebensein einer tatsächlichen und möglichst differenziert denkenden und handelnden selbstbewussten Öffentlichkeit.
Solange derartige Impulse nicht (oder zu wenig) aus der Bevölkerung selbst kommen, ist eine der vornehmlichsten Aufgaben der Stadtverwaltung, die - etwas pathetisch gesprochen - ausschließlich im Dienste der Stadt steht und zu ihrem Wohle zu handeln hat, hier kommunikativ zu wirken und das zivilgesellschaftliche Engagement der Stadtbewohner für ihre Stadt zu stimulieren und auch einzufordern. An diese Stelle, nämlich der Herausbildung einer mündigen, kompetenten und aktiven Öffentlichkeit, findet sich in Eisenhüttenstadt eindeutig noch Handlungsbedarf.
Den Beitrag in der NZZ kann man hier nachlesen: Durch die rote Tür. Mit Stadtumbau gegen den Schrumpfungsprozess in Sachsen-Anhalt.
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