"Eine Oberschule existiert in Stalinstadt noch nicht. Vorgesehen ist eine Oberschule für 600 Schüler; von ihnen können 200 im Internat Aufnahme finden. Der Standort wird im Wohnkomplex IV sein. Der Einzugsbereich erstreckt sich über den Kreis Fürstenberg."
So lauten die Planungen nach dem ersten Fünfjahrplan und den ersten fünf Jahren der Stadt. Nachlesen kann man das Zitat in einem so umfänglichen wie detaillierten Bericht Kurt W. Leuchts, seines Zeichens Chefarchitekt der jungen Stadt und entsprechend, was die Planerfüllung anging, nachweispflichtig. Die Lektüre des Bandes
Die erste neue Stadt in der Deutschen Demokratischen Republik (Berlin: VEB Verlag der Technik, 1957)
ist heute ein Lesevergnügen mehr denn je, zeigt sich doch erst in der Rückschau, welch hochtrabende oder auch nur ganz normalen Entwicklungsziele nicht erreicht wurden. Unfertig ist sie immer geblieben, die Stalinstadt, fragmentiert und besonders gen Fürstenberg dank Wohnungsbauprogramm unangenehm und unsensibel verwuchert.
Leider hat sich dieses Prinzip offensichtlich ganz grundsätzlich im
Think Tank der lokalen Stadtentwickler und Entwicklungsentscheider erhalten: So unsensibel, wie man dereinst im WK VII den Aufbau betrieb, spult man jetzt den Rückbau ab, der ganz deutlich auch vor den Schulen und vielmehr noch vor den Schulgebäuden keinen Halt macht. Wo sich ein Thomas Kralinski locker über den Daumen gezogen für eine Politik der Ermutigung
ausspricht, übt man sich hier in einer "symbolischen Politik", die genau in eine andere Richtung zeigt. Immerhin signalisiert die Qualität des Stadtbilds, wie ernst die, die dieses gestalten einerseits ihre Aufgabe und andererseits die Menschen, die immerhin in diesen Strukturen leben müssen, nehmen. Sicher, man bemüht sich, aber am Ende bleibt die Welt der Eisenhüttenstädter doch sehr verlottert und man kann sich des Eindrucks schwer erwehren, dass eine asphaltierte Kanal-Promenade und die Ausschreibung einiger Baugrundstücke und auch die Politur der Leucht'schen Fassadenzüge am Ende doch nur potemkische Dörflichkeit darstellen, wenn man das allgemeine Sozialgefüge dabei qualitativ ins Kellergeschoss rauschen lässt.
Die Zeit der Sozialingenieure ist glücklicherweise lang vorbei, sich aber ganz und gar aus der Gestaltung eines Gemeinwesens herauszuhalten bzw. die diesbezüglichen Aktivitäten auf ein am Ende hauptsächlich einem banalen auf Zerstreuung und Gaudi ausgerichteten Stadtfest zu konzentrieren, weist auch wieder in eine verkehrte Richtung. Was notwendig scheint, ist eine offensive Unterstützung von Identifikationsstrukturen der Bewohner mit dieser Stadt, denn die meisten von ihnen äußern sich nach wie vor nur verschämt und wie mit einem Stigma versehen, wenn sie außerhalb der heimischen Stadtgrenzen nach ihrer Herkunft gefragt werden. Anders als bei Kralinskis Aufsteigerstädten haben die Bewohner Eisenhüttenstadts nach wie vor kaum mehr als das Stahlwerk und die eigentümliche Vergangenheit zum "drauf stolz sein".
Die Realität ist über weiten Strecken von einer konsumistischen und entsprechend auf private Bedürfnisstrukturen ausgerichtete Mittelmäßigkeit geprägt, die an sich in Ostbrandenburg nicht gerade selten, hier jedoch von einer einzigartig hohen Dominanz zu sein scheint.
Ob und wie der "Aufbau einer Agentur für Bürgerengagement", den die jüngsten
Fördergeldbewerbung vorsieht, am Ende ausfällt, ist abzuwarten.
Aber auch wenn mehr daraus wird, als aus dem kleinen Kulturhaus, das man dereinst im Wohnkomplex I dorthin pflanzen wollte, wo nun hinter dem Obelisken nur Sand und Kiefern und drei verwahrlosten Parkbänke zu finden sind, unterschätzt man mit solch einem nicht sonderlich originellen Unterfangen, dass die Bereitschaft zum Engagement bei den Bürgern erst aktiviert werden muss, will man sich nicht mit der Handvoll Montagsdemonstranten zufrieden geben, von denen. bei allem Respekt, auch kein Umschwung der Stadtstimmung zu erwarten sein dürfte.
So ist die spannende Frage, wie das nicht unbedingt für ihre Fantasie berühmte Stadtmanagement als zivilgesellschaftliche "Erweckungsbewegung" agiert. Ein förderfinanzierter Büroraum samt geringfügig beschäftigtem Ansprechpartner - auch so kann eine entsprechende Agentur ausschauen -
hilft da überhaupt nicht.
Solange also das Problem einer auf ein Minimum reduzierten Öffentlichkeit und einer resignativen Grundierung des Gemeinwesens nicht gelöst ist, wird die frisch geputzte Fröbelringpassage ein leeres, halbvermietetes und überflüssiges Durchgangsstück und der Platz davor Tummelplatz der Pfandflaschenjäger und -sammler bleiben. So haben wir einen Ort, an dem jede Begegnung mit den eingefallenen, ignoranten oder arroganten Blicken nicht weniger Passanten, Verkäufer und Restaurantbedienungen, Gäste der Stadt davon überzeugt, dass es besser ist, nie wieder hierher zu fahren. Sicher sind die Erwartungen mancher Fahrradtouristen, die vor der z.B. gestern wieder katastrophal unfreundlichen und unprofessionell agierenden Bedienung in der Neuzeller
Klosterklause den baufahrzeugramponierten Oderdeich hinauf flüchten, um geradewegs vom Klosterregen in die gastronomische Stahlstädter Feuertraufe zu radeln, überzogen. Aber nonchalant darüber hinweg zu gehen und zu sagen, dass es sich die Stadt leisten kann, auf solche Gäste zu verzichten, ist angesichts der touristischen Fördervorhaben auch keine Lösung. Unzufriedene Besucher werden schnell zu Multiplikatoren, die ihre Eindrücke aus einer halbdemolierten und durch und durch trostlosen Stadt mit unfreundlichen Menschen ohne eigenes Zentrum (sowohl die Menschen wie auch die Stadt), in die Welt tragen, so dass man sich in mindestens 7 von 10 Fällen beim Nennen der Herkunft in der Fremde einen mitleidigen Blick abholen kann...
Auch hier macht die Melange aus mangelndem gemeinschaftspolitischen Verständnis und der privaten Versunkenheit der Stadtbevölkerung einiges mehr kaputt, als ohnehin schon verfällt.
Das größte Brandzeichen der verfehlten "symbolischen" Politk bleibt momentan das Rückbaugeschehen im nördlichen Teil des VII. Wohnkomplexes, von dem außer den Hoch- und Würfelhäusern nichts bleiben soll. Momentan verschwindet die Oberschule des Wohngebietes und wenn es ein Symbol dafür gibt, dass ein Ort keine Zukunft hat, dann ist es die Schließung und noch deutlicher der Abriss von Schulgebäuden. Dies signalisiert nämlich nichts anderes, als dass es keine nachkommenden Generation mehr geben wird und man auch die Hoffnung auf solche aufgegeben hat. Wenn man nach ein paar Missernten die Scheune abreisst und verheizt, zeigt dies, dass man es akzeptiert, zu verhungern.
Selbstverständlich stehen hinter dem Abrissgeschehen am Fürstenberger Gymnasium und an anderen Stellen der Stadt rein ökonomische Überlegungen und eine verkehrte Förderpolitik fördert nunmal im - was die Plattenbaustrukturen angeht - ganz offiziell ziemlich pauschal entwerteten Ostdeutschland vorrangig Abriss, obwohl längst erwiesen ist, dass dies dem Wohnungsmarkt auch nichts hilft. Aber es hilft, den Wohnungsbaugesellschaften noch ein paar Jahre zu überleben, so wie die Arbeiter, die das Eisenhüttenstädter Heizkraftwerk und damit ihren überflüssigen Arbeitsplatz abrissen, immerhin noch für die Abrisszeit bezahlt und beschäftigt waren.
Kommuniziert wird den verbliebenen Bewohnern im Quartier - jenseits von dem ökonomischen Kurzzeitnutzen des unhinterfragten Mitspielens bei der Stadtumbauförderung - hauptsächlich, dass man hier nicht nur mit dem Latein, sondern auch mit der Siedlungsgeschichte am Ende ist. Die letzten Menschen des WK VII bekommen mit den Abrissbaggern und der erfahrenen (beinahe) Unmöglichkeit, mit den dort üblichen ökonomischen Verfügungsmöglichkeiten in Eisenhüttenstadt vergleichbaren Wohnraum zu finden, von der Stadtverwaltung und dem Wohnungsunternehmen hart und klar vorgeführt, dass sie es sind, die das "Prekariat" der Stadt bilden und dass man sich durchaus damit abgefunden hat, dass dem so ist. Wer die "Ränder (oder auch Abgründe) einer Stadt" sucht:
hier findet er sie.
Fast könnte man denken, dass der Rückzug jedes Gestaltungswillens, der nichts mit Abrissbirnen zu tun hat, aus diesem Gebiet eine Ghettoisierung hervorbringen soll, die im Nachhinhein als ein weiterer Legitimationsgrund für den Flächenabriss ins Feld geführt werden kann. Wann gab es das letzte Stadtteilfest im WK VII? - eine solche Frage erübrigt sich natürlich und mittlerweile fragt man sich, wann das letzte Mal die Stadtreinigung die Fahrradauffahrten hoch zur Straße der Republik von den Glasscherben befreit hat, für die die vergessenen und - weil auffällig und potentiell delinquenten - ungewollten Kinder der Stadt regelmäßig sorgen. Dem Radtouristen schlitzt's bei Ab- und Auffahrt in die South Bronx der Eisenhüttenstadt mit großer Wahrscheinlichkeit den Schlauch auf. Und aufstrebende Gymnasiasten, die lieber zum Nachmittag Grüntee statt Pilsner trinken, gibt es hier schon seit einer ganzen Weile nicht mehr. Mit der Schule jedenfalls stürzt das letzte Symbol dafür, dass man auch für diese Ecke der Stadt einmal die Option einer Positiventwicklung annahm, zu Bauschutt zusammen.
"Klimatisch fällt das Gebiet in den Bereich des ostdeutschen Binnenlandklimas. Der Klimacharakter ist ... steppenartig." - führt Kurt W. Leucht aus. Heute gilt dies auch für das zwischenmenschliche Klima. Eisenhüttenstadt wird zur sozialen Steppe und ein eigenwilliges Verständnis eines Wirtschaftlichkeitsprimats hält die, die es könnten, leider regelmäßig davon ab, mit mehr als ungeschlachten Tropfen auf den heißen Stein zu bewässern. Vor diesem Hintergrund ist das jüngste Förderunterfangen nur eine Halbherzigkeit, der man trotz allem natürlich Erfolg wünscht. Mehr als den Entwurf der Potsdamer Förderberater hat man hier momentan leider nicht.
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