"Leerstehende Häuserzüge. Jugendkriminalität. Arbeitslosigkeit bei 15 Prozent. Verwahrloste Bordsteine, durch die das Unkraut bricht. Böhse Onkelz-Heckscheibensticker und Pit Bull-Shirts. Willkommen im Osten.
Klischees sind schnell bedient. Zumindest hier - in Eisenhüttenstadt, Berlin 65, Dessau oder einem der anderen Handlungsorte des Stückes „Deutsche Einheit“. Wo Jugendliche heilige Lieder singen und die Schule abschließen, nur um der Arbeitslosigkeit entgegen zu sehen, dort ist die Phrase „Aufbau Ost“ nicht mehr als ein schlechter Witz. Bananen und Schokolade gibt's hier schon lange. Besser macht das aber gar nichts."
So jedenfalls ist es, zum Künstler und seinem inhaltlichen Ansatz passend, in dem Joe Rilla Porträt auf www.hiphop.de nachzulesen. Ob allerdings hinter dem "Böhse Onkelz-Prinzip" (www.hiphop.de) tatsächlich die Hoffnung für den Plattenbau (OST), der als Bautyp übrigens dank Stadtumbau OST wenigstens im Eisenhüttenstädter Stadtgebiet deutlich zu einem Randphänomen wird, tatsächlich die Hoffnung für Ostdeutschland steckt - so ganz sicher ist man sich beim anhören des Exklusivtitels, den Joe Rilla gemeinsam mit Abroo und Mirc präsentiert, nicht. Vielleicht entspricht man aber auch nicht unbedingt der Zielgruppe, wenn man selbst in Eisenhüttenstadt, Berlin 65 und Dessau die Trümmer der Trümmerrapper, die nun aus Plattenbauruinen auferstehen gar nicht so recht erkennen kann. Selbst wenn man in der Platte wohnt, heißt das nicht unbedingt, dass man in der im Artikel- und Liedtext beschworenen Platte wohnt:
"Die Platte ist da. Und vor allem ist die Platte kein Ostlerding. Jeder kennt die Platte. Im Pott, wie in Stuttgart. In Frankfurt wie in München. Die Platte ist der Ort, an dem keiner leben will. Das abgefuckteste Viertel der Stadt. Der Bezirk, um den die Bürgerschaft einen Bogen macht. Die Platte ist die neue Unterschicht."Interessant wäre dabei einmal, wie die Stadtumbau Ost-Bewegung mit ihrer hier greifenden Abrissfokussierung einerseits und eventuell auch eine am Ende doch überzogene Feindlichkeit gegenüber der industriellen Baukultur der DDR zusätzlich imagefördernd waren. Es gibt nach wie vor gegenläufige Erfahrungen und auch in Eisenhüttenstadt waren, soweit man hören konnte, nicht alle glücklich, endlich den WK VII verlassen zu dürfen.
Wer schon einmal alltägliche Wohnverhältnisse in andern Teilen der Welt be- und erlebt hat, wird hier wenigstens in puncto Raumqualität nicht unbedingt alles, was plattenbaulich gestaltet ist, als Totalausfall abstempeln. Dabei dürften eher Stereotypen im eigenen Anspruch und in der eigenen Weltsicht wirksam sein, die sich in Rückkopplung im Umgang mit dem Stadtraum als selbsterfüllende Prophezeiung erweisen. Der Plattenbau OriginalSoundTrack - so wohl die Wortspielerei mit dem OST - wirkt je nach Erfolg des Ansatzes zusätzlich als Verstärker für eine solche Image-Bildung.
Die sich prekarisiert Fühlenden bekommen hier einen ihrer Weltsicht adäquaten Identifikationsraum, was sie in ihrem Gefühl bestärkt, unabhängig von der Reflexion darüber, wie zutreffend das Ganze beim Blick über den eigenen unmittelbaren Wahrnehmungsraum hinaus ist. So ist es schwer, die Grenze zu ziehen, zwischen dem Punkt, an dem Halt gebende und damit sinnvolle Identifikationspunkte geschaffen werden und dem, an dem schlicht Schubladen als Marktnische kultiviert werden.
"Gäbe es keine sozialen Missstände, hätte dieser Ostler keine Kundschaft." - da macht man es sich in der HipHop.de-Redaktion aber ganz schön leicht mit dem Schließen und hat wohl nicht verstanden, dass die Komplettbeseitigung sozialer Missstände ein mächtig utopisches Unterfangen ist, das in der Menschheitsgeschichte zwar öfters versucht wurde, aber meist mit derart heftigen Kollateralschäden verbunden war, dass man schon glücklich war, halbwegs die Balance wieder herstellen zu können.
Dahingehend stellt die aktuelle (und vom Grundgesetz gewünschte) Gesellschaftsform der BRD eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner dar. Dass die gesellschaftlichen Fangnetze momentan durchlöchert werden und der Kapitalismus eine bissigere, unberechenbare und ungerechtere Maske trägt, lässt sich sicher leicht feststellen und zur Balance gehört es, dagegen zu halten. Ob die Pflege und Weiterentwicklung der (Selbst-)Stigmatisierung an dieser Stelle ein Schlüssel zum Erfolg ist oder vielleicht eher gegenteilig wirkt, wird sich zeigen. Wie tiefgreifend die Wirkung tatsächlich jenseits der unter dem Druck, originelle Geschichten zu produzieren stehenden Feuilletons ist, hängt davon ab, wie sehr sich der Ansatz der Stigma-Ost-Kultur von einer Marktbedienung hin zu einem Kulturphänomen entwickelt.
Foto: x* bei flickr
Kommentare