Man sieht nur aus der Ferne gut. Und aus der Nähe. Und im Idealfall von einer Perspektive ausgehend, die beides verschränkt. Wenn man nun also nach einigem zeitlichen Abstand durch Eisenhüttenstadt streunert und die vermeintlich so bekannten Orte besucht, an denen sich Erinnerung über Erinnerung lagert, dann wird eine erstaunliche Veränderung sowohl im Großen wie auch im Kleinen deutlich. Die Stimmung ist dabei keineswegs negativ. Die Jahreszeit in ihrer feuchteren Ausführung hat nämlich die sympathische Folge, dass man die Werbekampagne der Stadt (vgl. hier) um den Slogan "Immer im grünen Bereich." ergänzen könnten.
Das trifft den Nagel der realen Stadtlandschaft weitaus besser auf den Kopf, als das etwas erzwungene Waldmeister-Wortspiel. Denn weniger als Wald und Forst und Wild und Hund sind es Schmetterling und Taucherglockenblume, die der mutmaßlich eher gelähmten Stadt einen Kussmund aufdrücken: Dort, wo die Wohnkomplexe erledigt und abgetragen sind und dort, wo der Stadtraum aufgegeben scheint, entfaltet sich eine vielfältige Flora, die dem Freizeitbotaniker das Herz springen und weit werden lässt.
An diesen Stellen wird Eisenhüttenstadt zu einer antiken Ausgrabungsstätte von morgen, mit verwunschenen und eingewachsenen Parkbänken und Trockenstangen, mit moosüberzogenen Spielstraßen, umrankten Laternen und überwucherten Stromkästen. Manchmal radelt ein Ferienkind vorüber oder ein Rentner führt seinen Hund durch die stille Welt, die nur noch durch ein fernes dumpfes Wuchten aus der Ecke der Stadt, in der der letzte Abrissblock des VII. Wohnkomplexes zu Schutt geraspelt wird, daran erinnert, dass vor nicht allzu langer Zeit an selbiger Stelle noch auf dem Balkon gesessen und den in den Sonneruntergang ratternden Regionalzügen hinterhergeblickt wurde.
Durchwandert man dieses friedvolle Nostalgien, überkommt einen ein eigenartig zwiespältiges Empfinden: Was die ungebremste Natur aus dem Stadtraum formt ist zweifllos lieblicher und schöner, als alles, was das Kultivierungswesen Mensch seit langem in dieser Stadt vermochte. Andererseits, so wird auch deutlich, muss er doch zuvor die Elemente in die Landschaft gesetzt haben, in denen jetzt die Singvögel nisten, muss er in einem vergangenen Heute die Ruinen für ein nun eingetroffenes Morgen vorbereitet haben. Der Abschied und die Erinnerung setzen das Willkommen und die Gegenwart voraus. Etwas wiederfinden zu können bedarf eines früheren Loslassens. Erst im Verlust wohnt die Möglichkeit.
Die durchwachsene Stadt entbehrt vielleicht dem spektakulären Brutalität der im Abriss befindlichen. Dafür zeigt sie sich nun von einer Saite, die für die feineren Sinne gestimmt ist. Um deren Klang nachzuspüren und natürlich um die anfallenden Quantitäten an Stadtfotografien mit der Weböffentlichkeit zu teilen, gibt es ab heute eine neue Reihe in der Kategorie Stadtbild, in der die Eisenhüttenstadt und ihr Verwandeln eine Abbildung findet. Hier kommt der Beitrag Nummer 1:
Hier noch in einer frühen Fassung, denn der Grund ist zwar fruchtbar noch bzw. wieder, allerdings auch erst frisch besamt. Eine Handvoll Vögel nutzt die Wiese in spe als Taubenweide, während an der Hauptstraße ein älterer Herr, sein Hund und seine Altherrenhandtasche zur Überquerung ansetzen. Der Blick schwenkt nach rechts, aber viel ist nicht zu befürchten, denn der Berufsverkehr lässt auf sich warten. Eine stille Idylle jenseits auch der Negativpostkarten. Als betrachtete man einen frisch geplanten Park. Als ginge es hier gerade erst los.
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