Gewaltprävention ist ein hoch lobenswertes und leider auch ziemlich notwendiges Unterfangen. Denn wer wie ich, den Polizeiticker im RSS-Feed hat, um brühwarm über Schlägereien, Messerstecherattacken und Schlimmeres informiert zu werden, bekommt schnell einerseits den Eindruck, dass bei der Jugend Hopfen, Malz und Konfliktlösungsvermögen verloren sind und andererseits, dass man möglichst frühzeitig dort intervenieren muss, wo nicht selten (mit sich) überforderte Eltern die (Selbst)Kontrolle verloren haben.
So kommt die Toleranz- und Antigewalt-Schulung für die 13jährigen der Allgemeinen Förderschule Otto-Buchwitz, über die die
Märkische Oderzeitung heute berichtet, vielleicht auch ein bisschen spät, jedoch besser als nie.
Allerdings haftet schon dem Begriff "Toleranz" etwas Problematisches an, wie beispielsweise die britische Politikwissenschaftlerin Susan Mendus darstellt:
"Toleranz impliziert, daß die tolerierte Sache moralisch tadelnswert ist. Weiterhin, daß sie veränderbar ist. Von Toleranz gegenüber einem anderen reden, impliziert, daß es gegen ihn spricht, daß er jene Eigenschaft nicht ändert, die Gegenstand der Toleranz ist."
Immerhin liegt diesem Begriff im Wortursprunge das lat.
tolus, der Last, zur Wurzel. Ist man tolerant, erträgt man also etwas und dennoch bleibt es unangenehm. Toleranz erweist sich dabei, will man dem Soziologen Zygmunt Baumann glauben, nicht etwa als "Akzeptanz des Wertes des andern", sondern umgedreht als "eine weitere, vielleicht etwas subtilere und schlauere Methode, die Unterlegenheit des anderen noch einmal zu bekräftigen."
So sagt man es sicher nicht den 13jährigen Schülern, die vermutlich auch herzlich wenig Lust auf Diskurse zur Ambiguität der Bedeutungen des Toleranzbegriffs in die Schulstunde mitbringen:
"Langweilig", sagte beispielsweise der 13-jährige Christopher Marcinowskes. "So viele Fragen."
Dass "viele Fragen" ganz und gar nicht langweilig, nur leider manchmal mit einer gewissen Anstrengung verbunden sind, wird Christopher sicher irgendwann noch einmal lernen, wenn ihn erst einmal die Begeisterung für die Art von Leben, welche nach Karl Popper im Kern "Problemlösen" ist, gepackt hat.
Im Alter von 13 Jahren verfolgen das durchschnittlichen Menschenkind jedoch naturgemäß ganz andere Leidenschaften als die Existenzphilosophie, z.B. das Schicksal des Lieblingsfussballklubs. Aber auch dieses enthält schon allerlei Fragen, die im Kern auf den sozialen Alltag vorbereiten: Wie meistert man die Liga? Wie wendet man den Abstieg ab? Benötige ich neue Mitspieler oder reicht der alte Kader noch für eine weitere Saison? Wie bekomme ich mehr Menschen auf die Tribüne zum Zusehen?...
Auch vermute ich, dass es die Veranstalter eher mit Alexander Mitscherlich halten, der das
Ertragen des Anderen nicht mit einer unterschwelligen Aufrechterhaltung des Statusgefälles, sondern mit dem Ziel des
Verstehens verknüpft. Und verstanden wurde offensichtlich so manches:
Christophers
Klassenkameradin Jennifer Elies hingegen fand den Projekttag gut. Sie habe viel gelernt, sagte sie, zum Beispiel über Mobbing.
Die Offenheit des Satzes deutet andererseits schon wieder an, dass dies eine durchaus zweischneidige Sache sein kann und ist in der Auslegung davon abhängig, ob man das Gute (z.B. Gray Wheeler) oder das Schlechte (z.B. Poison Ivy) als Leitstern im Herzen der jungen Menschen vermutet.
Der wirklich interessante Teil des Artikels ist jedoch der, in welchem über den Auftritt des Amtsrichters a.D. Werner Ruppert an der Schule, in der es nach Auskunft der Schulleiterin vor einigen Jahren noch recht gewalttätig zuging, berichtet wird. Auch wenn er mittlerweile nicht mehr davon ausgehen muss, dass er dem einen oder anderen potentiellen Rabauken nach Erreichen der Strafmündigkeit in der Dieloher Straße ein weiteres Mal - und dann in viel förmlicheren Ambiente - gegenübertreten muss, gibt er sich herzlich Mühe, im Sinne der Prävention seine Erkenntnisse zu vermitteln. So zum Beispiel zum Thema Massenmedien:
"Im Fernsehen ist überall Gewalt zu sehen", sagte er den Schülern der 9b. "Da wird jemand getreten, geschlagen oder vergewaltigt." Aber es werde nie gezeigt, wie das Opfer nach der Tat im Rollstuhl sitze oder auf andere Art mit der Tat zurechtkommen müsse.
Nun ist gerade die deutsche Filmlandschaft nicht gerade arm an Filmen, in denen gezeigt wird, wie Opfer (und Täter) von Gewalttaten leiden und allein aus der Nachbarschaft Frankfurt/Oder gibt es eine erschreckende Zahl von entsprechenden Aufarbeitungen. Die pauschale und etwas naive Abqualifizierung des Fernsehen mag vielleicht auf die von ihm angenommenen Sehgewohnheiten von Neuntklässlern zugeschnitten sein, ist andererseits aber mächtig undifferenziert und vom moralischen Stammtisch hinunter gepredigt. Pro7 ist nicht
das Fernsehen und wenn man die Schüler schon für derart bildschirmfixiert hält, hätte man ihnen vielleicht lieber "Kombat Sechzehn" oder "Zur falschen Zeit am falschen Ort" zeigen und danach besprechen sollen, als den warnenden Zeigefingern des ehemaligen Amtsrichters kreisen zu lassen:
"Und er mahnte die Jugendlichen, dass geschädigte Opfer gegenüber dem Täter in der Regel Anspruch auf Rentenzahlungen hätten, lebenslang."
Solch eine Warnung vor perspektivisch persönlichen Nachteilen mag vielleicht die eine oder andere Faust in der Tasche belassen, von einer Toleranzförderung ist bei dieser Eigennutzperspektive aber nicht viel zu merken. Die Argumentation zeugt natürlich von einem guten Täterverständnis: "Klar willst du dem Kerl jetzt die Nase brechen, aber bedenke, dass du dem Typen dann dafür auch noch Geld zahlen muss (falls du denn welches verdienst)." Zweckdienlich? Vielleicht. Moralisch gerechtfertigt? Sicher nicht.
Aber vielleicht ist die Lage derart verfahren, dass eine Abschätzung möglicher juristischer Folgen für die jungen Menschen noch gar nicht möglich ist. Erfahrungsgemäß erübrigt sich ein deratiges Wissensdefizit in einer überschaubaren Stadt wie Eisenhüttenstadt schnell, denn im Normalfall kennt jeder Heranwachsende recht bald jemanden (oder jemanden, der jemanden kennt) aus der eigenen
Peer Group, der auf Bewährung durch den Ort irrt. Das war übrigens auch schon damals in der Eisenhüttenstadt der DDR so. Raufebolds, Habebalds und Eilebeutes gab es dort genauso und manchmal gar einen Schlagetot.
Ein Problem, dass in der allgemeinen Belehrungsdiskussion manchmal übersehen wird, ist folgende Erkenntnis, die indirekt vermutlich auch die meisten der jugendlichen Gewalttäter bzw. ihre Schicksale bestätigen können:
"Gerade wenn sozialer Status und Perspektive, Bildung und andere Ressourcen fehlen, hat Gewalt Sinn und macht Spaß." (wie es Jochen Kersten in seiner Analyse Jugendgewalt und Gesellschaft anmerkt)
Außerdem wird vernachlässigt, dass Gewalt nun mal auch einen "Kick" enthält, der als auslösender Selbstzweck zulangt, wie man unschwer in Gesprächen mit "Hooligans" ermitteln kann. Es ist vermutlich ein stammesgeschichtliches Relikt, welches im (männlichen)
Menschen zutiefst verinnerlicht schlummert und welches man nur über Affektkontrolle und der Möglichkeit, ein entsprechendes Drängen über Ersatzhandlungen wie Autofahren, Börsenspekulation oder Atomphysik zu kanalisieren, unter Kontrolle bringt.
Dass man, wenn man sich etwas "aufgebaut" hat, dieses nicht durch einen unbedachten Faustschlag wieder ruinieren möchte, was aber über die Rechtskultur immerhin angedroht wird, ist ein hilfreicher Beitrag zur Triebsublimierung. Als Argument gegen Gewalt sollte allerdings in einer aufgeklärten Gesellschaft doch eher die allgemeine Einsicht und weniger die Drohung mit einer übergeordneten und inklusiven Rechts
gewalt als Argumentationsziel stehen.
Derartige Differenzierungen nimmt der Amtsrichter im Ruhestand nicht vor.
Dagegen äußert er sich leider aber noch einmal generell zum Aspekt der "richtigen" und "falschen" Gewalt:
Ruppert, der 43 Jahre Richter gewesen ist, betonte aber auch, dass Gewalt, zum Beispiel bei Notwehr gerechtfertigt sein kann. "Hört auf eure innere Stimme", sagte er. Sie wisse, wann und welche Art von Gewalt richtig sei.
Das Gegenteil von
gut ist
gut gemeint und wenn es tatsächlich so gesagt wurde, wie die Zeitung es druckt, hat es Richter Ruppert hier eindeutig etwas
zu gut gemeint.
Wenn überhaupt, dann ist Gewalt ausschließlich und nicht
zum Beispiel als Notwehr bzw. Abwendung einer akuten Gefährdung für eine dritte Person gerechtfertigt. Was die "innere Stimme" angeht, sollte diese in der Frühpubertät womöglich nicht der einzig sinnvolle Ratgeber sein. Bei denjenigen, die
kein Täter werden wollen, allerdings dabei immer auf der Rasierklinge balancieren, ist die "innere Stimme" ohnehin übermächtiger Gegner des "freien Willens".
Sie, die oft die
Lingua des Affektes als Muttersprache nutzt, kann mitunter doch nicht wirklich einschätzen "wann und welche Art von Gewalt richtig ist". Konsequentes Auftreten und/oder ein Auge dafür, wann Flucht trotz vermeintlicher Ehreinbuße der rettende Strohhalm sein könnte, wäre unter Umständen ein geeigneterer Tipp gewesen. Die potentiell eher Aggressiven unter den Schülern haben jetzt nämlich eine Art Ruppert'schen Freibrief, da sie nur einen Anlass für Notwehr provozieren müssen (Man kennt es vom minutenlangen Hin- und Herschubsen auf den Parkplätzen der Diskotheken, bis endlich einer der Beteiligten die Nerven verliert und einen Faustschlag versucht...). Die wenig Aggressiven werden nun vielleicht, angefeuert von Rupperts Theorie der "inneren Stimme" in der nächsten Pöbelsituation, statt der Flucht die Konfrontation suchen, bei der sie gegen ihre hieb-, stich- und schlagerfahreneren Kontrahenten allerdings den Kürzeren ziehen und mal so richtig die Hucke voll bekommen dürften.
"Oft bestehe ein gefährliches Halbwissen.", heißt weiter unten im Artikel der MOZ. Ob man dieses in Hinblick auf das richtige Verhalten in brenzligen Situationen mit solchen zweifelhaften Ratschlägen beseitigt, muss bezweifelt werden. Denn von der Stammtisch-Erkenntnis sind die geäußerten Tipps ("das Fernsehen verroht die Jugend", "damit kannst Du dir einiges versauen", "Du musst auch mal zurückschlagen") bestenfalls ein Stuhlbreit entfernt. Dabei geht es doch aber eigentlich bei solchen Veranstaltungen darum, die Kinder ganz aus der Kneipe zu kriegen. Beziehungsweise dazu, dass sie gar nicht erst hineingehen.
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