Die Tour verlief konsequent erst an der Oder, anschließend an der Neiße, so wie sich das für den Oder-Neiße-Radweg auch gehört. Vorbei an Ruinen des Sozialismus in Eisenhüttenstadt, Guben und Forst. Die Städte machten einen unterschiedlichen Eindruck, was wahrscheinlich zum Großteil an meinen Durchfahrtzeiten lag. Während mir in Eisenhüttenstadt die zementierten Zeitzeugen der DDR schon von Weitem trostlos entgegen blickten und auch in Fürstenberg (dem alten Stadtkern Eisenhüttenstadts, denn die Stadt trägt erst seit 1961 nach Zusammenlegung von Fürstenberg, Schönfließ und des neu errichteten Wohnviertels Stalinstadt ihren Namen) kaum eine Menschenseele zu sehen war, ist auch in Guben nicht viel Leben zu spüren gewesen - eher noch weniger, wie ausgestorben. Mittagszeit. Ganz anders das Bild in Forst, ein sonnendurchfluteter Nachmittag trieb die Leute an die Neiße und reges Treiben bestimmte das Atmosphäre in den Straßen. (schreibt Martin unterwegs)Dass Eisenhüttenstadt wenig von auswärtigen Interessierten besucht - bzw. durchquert wird - kann kaum sagen, denn auf jeden, der seinen Kommentar in der Blogosphäre hinterlässt, kommt sicher auch eine gewisse Dunkelziffer von Reisenden, die sich nicht sofort im Internet äußern. Dass die Eisenhüttenstadt-Touristen allerdings mit schwärmerischen Eindrücken überschüttet werden, lässt sich auch nicht zwingend feststellen.
Zum Teil ist dies natürlich einer gewissen Oberflächensicht geschuldet - und manchmal auch einer gewissen Vorurteilsbeladenheit. Andererseits ist die touristische Aufbereitung auch objektiv nicht die Beste und mit solchen Dingen wie "Flair" geizt das Stadtbild leider auch an mancher Ecke. Mit Dingen wie "Fler" leider - besonders was die jüngeren Männer der Stadt angeht - an mancher zu wenig. Aber das ist vermutlich überall so in deutschen Land und für die deutschen Jungs obligatorisch wie - um die Überleitung zum zweiten Thema dieses kleinen Blogtextes über das Knie zu brechen - die Wehrpflicht (Art. 12a GG)
Weder in der Ausführung noch in der Botschaft sonderlich originell aber dafür schon beinahe länger an der Wand, als die heutigen Graffiti-Kids Lesen und Schreiben können: Verweigert die Wehrpflicht aus den frühen 1990er Jahren (und deshalb in Schwarz-Weiß). Natürlich sind solche Artikulationsform nur Tornados im Wasserglas. Interessant ist übrigens, dass traditionell genau die Burschen, die sich seit frühester Jugend intensiv mit Afghanen - vorzugsweise mit schwarzen - beschäftigen, am wenigsten Lust auf den Einsatz in und mit der Bundeswehr haben, selbst wenn diese mittlerweile auch in den entsprechenden blühenden Landschaften agiert.
Wie oft fuhr man als junger Eisenhüttenstädter, den Musterungsbescheid in der Jackentasche, an dieser prominenten Mauer der Beeskower Straße vorbei und las den dort in Gelb angepinselten Ausdruck, der den sich so Äußernden nur drei oder vier Jahre vorher mehr als das Abitur gekostet hätte.
Nun, im freien Meinungsäußerungsklima des jungen wiedervereinigten Deutschland, blieb solch ein Aufruf folgenlos, häufig auch in den Köpfen der Zielgruppe. Die frühen Rezipienten dieser Botschaft sind mittlerweile weit jenseits des Alters, in dem man gern zum Biwak und mit dem Panzer fährt, waren meist trotz der unmissverständlichen Aufforderung an der Sichtschutzwand in Bahnhofsnähe ihre Monate beim Bund, dankbar, nicht drei Jahre pro Studienplatz zur NVA zu müssen, haben Karriere gemacht, Familie gegründet, Haus gebaut, Baum gepflanzt und cruisen fröhlich mit dem Volvo-Kombi zum Camping statt mit dem Fuchs-Panzer durchs Manöver.
Unbewachter Innenposten: Spuren der internen Absicherung der ersten sozialistischen Stadt auf deutschem Boden findet man auch heute noch, allerdings sind die Schutzgemäuer der Volkspolizei mittlerweile sperrangelweit verlassen. Auch für die Bewohner der Poststraße steht "Wachturm" mittlerweile eher als Synonym für ein nicht überall beliebtes dafür aber weltweit verbreitetes Presseorgan.
Es ist nicht so, dass es im frühen 21. Jahrhundert an Bedrohungsszenarien mangelt, aber mit Wehrpflichtigen möchte man den "Krieg gegen den Terror" nicht bestreiten. Womit man die "Feinde des Sozialismus" einst in Schach zu halten glaubte, langt für die aktuellen "Feinde der freien Welt" nicht mehr.
So zeigen sowohl die Wehrpflicht an sich wie auch die obige Botschaft anno 2007 einen leichten Stich Anachronismus. Andererseits zeigt Innenminister Wolfgang Schäuble sehr interessante Ansätze, bestimmte Traditionen, wenn auch unter anderen Vorzeichen, wieder zu beleben. Denn wer erinnert sich angesichts der Idee, die Bundeswehr auch nach Innen zu aktivieren nicht gern an die "kasernierte Volkspolizei".
Aber auch bei der Festigung des inneren Friedens sind dieser Tage weniger ungelernte Wehrpflichtige und mehr Informatiker und Biometriker gefragt. So könnte ein zeitgemäßer Slogan lauten: "Kein Datum für diesen Stadt. Verweigert den Fingerabdruck!" oder gar "Keine Weide für Bundestrojaner. Verweigert das Internet!" Teile Eisenhüttenstadts haben letzteres lange aufrecht erhalten, aber selbst diese Bastion scheint nun zu fallen (Ausgerechnet "Am Wall"!).
Da auch die Gefahr besteht, dass irgendwann die nur mäßig hübsche Mauer in der Beeskower Straße fällt oder gestrichen wird, scheint es aus dokumentarischen Gründen angebracht, dieses Stück aus der eher spärlichen Geschichte Eisenhüttenstädtischen Polit-Graffitis virtuell zu bewahren. Was hiermit geschehen ist.
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