“regardless who you vote for, if the mind don’t grow and the poverty line don’t go but the dope keep coming and the tv keep flashing images of a sports car/then you bound for a coke war/the meek get clowned by the cope law/the sheep get drowned in the folklore/then lulled to sleep by tom brokaw…” (Jay Electronica - Swagger Jackson's Revenge)
Es hat zwar mit der Ostbrandenburgischen Situation, die sich fast in jeder Hinsicht als vergleichsweise angenehm gemäßigte Lebenszone erweist, wenig zu schaffen, aber da hier im nächtlich-hauptstädtischen Hintergrund gerade Jay Electronica seine Doppelreime fließen lässt und etwas über das Wählen erzählt, soll er mir angebracht genug sein, um als Eingangszitat zu dienen. Was sich aus dem kulturellen Symbolschatz der USA abgesehen von Peter Klöppel, Tom Burow,...=Möchtegern-Tom Brokaw übersetzen lässt, hängt vielleicht auch vom eigenen Ausdeutungsanspruch ab.
Wobei man in Eisenhüttenstadt an diesem Dienstag mit einer anderen Sorte von An- und Ausdeutungen vermutlich zureichend befasst ist.
So bestätigen die von der Märkischen Oderzeitung präsentierten ersten Stimmen der politischen Kräfte der Stadt zur Bürgermeisterwahl den Eindruck, den man auch auf der Straße und in der schmalen Eisenhüttenstädter Blogosphäre bekommt: Es geht ein Riss durch die Stadt und während Martin Heyne nach seinem montäglichen Kurzbesuch wieder zurück nach München flog, konzentriert sich die Aufmerksamkeit nun vollkommen auf Dagmar Püschel, die außerhalb ihrer Partei wenig Begeisterung, viel abwartendes Wohlwollen und viel Ablehnung erfährt.
Dass man sie mit überall mit offenen Armen begrüßt, wird wohl niemand erwartet haben. Dass man ihr aber schon rein prophylaktisch derart reserviert bis feindlich gegenübertritt, hat sie vielleicht befürchtet, aber nicht verdient. Ingrid Siebke von SPD räumt ihr beispielsweise nur äußerst kleinen Kredit ein:
“Dagmar Püschel sei für sie eine Außenstehende, die nicht über das Netzwerk verfüge, die der Bürgermeister aufgebaut habe. "Wir treten jetzt nicht in den Streik, warten aber ab, was Frau Püschel zu bieten hat."“
Jeder Stadtverordnete, der aus purem Vorurteilsdenken oder falschverstandenem Parteigehorsam auf Blockade schalten würde, hätte seine Aufgabe entscheidend verfehlt. Gerade auf der lokalpolitischen Ebene und in dieser Situation sollte es darum gehen, gemeinsam eine Perspektive zu erarbeiten und zwar mit der von der Mehrzahl der Eisenhüttenstädter Wähler gewünschten Bürgermeisterin. Ein bockiges Sie soll erstmal zeigen, was sie drauf hat erinnert an die Begrüßung der Neuen im Mädchenpensionat aber nicht an die gestaltungsorientierte Einstellung, der die Stadt bedarf.
Womöglich hatten die Wähler Dagmar Püschels genau das erwähnte Netzwerk – das manche abwertend auch als Klüngel bezeichnen, wobei hierfür die Beurteilungsgrundlage zugegeben meist eher im Trüben liegt – im Hinterkopf, als sie das Kreuz setzten.
Auch Peter Müller, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins, hält mit seinen Ressentiments nicht hinterm Berg und glaubt nicht daran, dass eine Bürgermeisterin Dagmar Püschel in der Stadtverordnetenversammlung eine Mehrheit für ihre Ziele zusammenbekommt. Immerhin ist er zugleich opportunistisch genug, eine Kooperation einzuräumen, was er in die Floskel „keine Fundamentalopposition“ kleidet. Wenn der Schock des Machtverlusts bei der lokalen SPD abgeklungen ist, findet sie sicher recht schnell in eine pragmatische Position. Oder sie bereitet Rainer Werner als Nachfolgekandidaten für 2017 wieder langfristig vor. Das Ganze ist selbstverständlich nur bedingt ernst zu nehmen, drückt sich hier doch eine in der üblichen und oft auch als Balanceelement angebrachten Parteilichkeit grundierte Positionierungspflicht aus, die der gerade abgestürzten SPD helfen muss, ihr ramponiertes Gesicht wenigstens ein bisschen durch das Vorspielen von Konsequenz zu wahren. Danach muss sie sich aber generell neu erfinden.
Während die dieser Tage vermutlich übereuphorisierte FDP der LINKEN nun noch genauer zusehen möchte, zeigen sich CDU und GRÜNE in ihren ersten Stellungnahmen prinzipiell offen. CDU und Grüne müssten sich bei einer zu starken Opposition allerdings auch vorwerfen lassen, keinen eigenen Kandidaten gefunden zu haben und so - wenn auch unfreiwillig - eine Quasi-Allianz mit der LINKEN zur Abwahl Rainer Werners gebildet zu haben. Zur entscheidenden Stärkung des Amtsinhabers hätte vielleicht ein weiterer Gegenkandidat ausgereicht.
Den leider traurigsten Auftritt vielleicht seiner gesamten Amtszeit hat der noch bis zum 06. Januar amtierende bisherige Amtsinhaber Rainer Werner in seiner Stellungnahme, mit der er sich in fast traditionell Schrödrianischer Manier nachträglich demontiert. Man möchte nicht glauben, dass er so etwas tatsächlich selbst herausgibt. Karg und trotzig addiert er eine handvoll Zeilchen aufeinander, die bedauerlicher Weise nicht einmal den niedrigsten Ansprüchen an Stil und Etikette entsprechen. Eine konsternierte Feststellung der eigenen Abwahl, ein hilfloser Dank, noch einmal das viel gehörte unglückliche Eigenlob und schließlich seine Sicht auf die Stadt, die genau das Problem darstellt – damit wird der Abschied derart ohne jede Souveränität in einer Weise eingeläutet, dass man fast Mitleid empfinden muss.
Und/oder dem OSF verübeln, hier nicht schützend einzugreifen und auf die Publikation dieser sichtlich im Affekt zusammengeklaubten Stellungnahme zu verzichten.
„Stahl macht uns stark. Neue Industrie ist dazu gekommen. Millionen werden investiert. Kultur für alle zeichnet uns aus.“
– mit diesem Staccato deutet Rainer Werner vielleicht zum letzten Mal auf die Scheuklappen, die ihm ausblenden, dass Stahl nicht alle in der Stadt stark macht, dass die neue Industrie nicht von jedem als relevant für sein Leben empfunden wird und das man auch mit Millioneninvestitionen und Stadtfestrummel keine glückliche Stadtgemeinschaft kaufen kann.
Das Problem Rainer Werners war, dass er nur bestimmte Teile der Stadtbevölkerung zu integrieren verstand und dies vielleicht auch so wollte. Es gelang ihm nicht, zu vermitteln, wie die Mehrzahl der Eisenhüttenstädter von seinem argumentativ fast totgerittenen Steckenpferd Wirtschaft, Wirtschaft, nochmals Wirtschaft in irgendeiner Form profitiert. Wer im Kaufland an der Kasse sitzt oder Zuhause in Erwartung der nächsten Tranche ALG oder in seinem Geschäft in der Königsstraße in Erwartung von Kunden, die nicht dorthin finden, fühlt sich von einer Papierfabrik am Rande der Stadt nicht unbedingt angesprochen.Diesen inneren Konflikt in der Stadt hat er vielleicht realisiert, aber nicht überzeugend zum Thema gemacht.
Die sich ausgeschlossen Fühlenden haben nun – so sind die Spielregeln – zu einer Alternative gegriffen, von der sie sich mehr Beachtung versprechen. Und die buchstäblich die einzige war. Diesen Wählern nun – wofür es leider auch Stimmen gibt – die politische Mitbestimmungskompetenz absprechen zu wollen oder die Keule der sozialistischen Gehirnwäsche auszupacken, zeugt gleichermaßen nicht unbedingt von gutem Stil.
Wahrscheinlich hat niemand in der Stadtgeschichte je soviel öffentliche Präsenz bekommen und Aufklärungsarbeit in eigener Sache geleistet, wie Rainer Werner. Wie fern er aber der Stadt Eisenhüttenstadt eigentlich ist, zeigt der Abschluss seiner kurzen Reaktion: Das fast hingespruckte „Bis dahin werde ich weiter für sie da sein.“ wirkt so freundlich, wie ein vor die Tür gestellter Stuhl. Hier wahrt er zähneknirschend gerade das mindeste Maß an Form. Mehr will er den Menschen, die ihn nicht bestätigten, nicht gönnen.
Dass Rainer Werner es nicht als unschicklich empfindet, weder seiner aus einer regelgerechten Wahl hervorgegangenen Nachfolgerin noch seiner Heimatstadt irgendetwas Freundliches für die Zukunft zu wünschen, rückt ihn noch weiter ins Abseits und zeugt bedauerlicherweise von einem immensen Mangel nicht nur an Taktgefühl sondern auch an Professionalität und Demokratieverständnis. Und von schlechter Beratung.
Man sollte nun, da das Diffamierungskampagnen-Kapitel endgültig geschlossen ist und die Würfel gefallen sind, besser auf das Eröffnen einer neuen Front verzichten. Wenn Rainer Werner den Schmollwinkel dem Dialog vorzieht, dann ist dies zwar sehr dürftig, aber durchaus legitim.
Alle, denen es um die Stadt geht, täten dagegen gut daran, zunächst einmal – und zwar unabhängig von der eigenen Lagereinschätzung – den auf Dialog orientierten Ansatz Dagmar Püschels ernst zu nehmen. Gerade die Vertreter der Wirtschaft sollten unter den gegebenen Umständen die produktive Kooperation suchen, anstatt sich aufgrund lokalpolitisch ohnehin nur bedingt wirksamer ideologischer Grobraster von vornherein auf Ablehnung einzuschießen.
Wenn Dagmar Püschel es mit ihrem Politikverständnis ernst meint, wird sich auch für die aufgeschreckten Mittelständler Eisenhüttenstadts eine Rolle im Stadtgefüge finden lassen, die ihnen zusagt. Scheitert Dagmar Püschel an ihrer Aufgabe, dann wird sich eine andere Lösung finden müssen. Nur sollte man ihr erst einmal die Chance einräumen, mit dem AMEH-Aufsichtsrat ins Gespräch zu kommen, bevor man über eine inkompetente Grundschullehrerin polemisiert.