Um 01:30 war es amtlich. Es gibt eine Überraschung und der bisherige und langjährige Bürgermeister Eisenhüttenstadts, Rainer Werner (SPD), verliert sein Amt an die Kandidatin der Partei Die Linke, Dagmar Püschel. Damit vollzieht Eisenhüttenstadt wahrlich einen gewagten Schritt ins Unbekannte: Seit 1993 war Rainer Werner ohne Unterbrechung die dominante Persönlichkeit im Rathaus und trotz des turbulenten Wahlkampfes galt er den meisten auch seiner Gegner bis zum Schluß als der sichere Sieger in diesem Duell.
Man muss die Wechselentscheidung der Eisenhüttenstädter allerdings mehr als Votum gegen Rainer Werner, denn als eines für Dagmar Püschel lesen. Der oft erstaunlich farblos und zahm auftretenden Herausfordererin kamen dabei zwei Aspekte zugute. Zum einen war der Wahlkampf im Gegensatz zur letzten Bürgermeisterwahl vom 11.11.2001 von vornherein auf nur zwei Kandidaten und damit auf eine starke Polarisierung zugeschnitten. Zum anderen lag die Wahlbeteiligung diesmal mehr als 20 Prozentpunkte höher als vor acht Jahren - allerdings bei deutlich verringerter Einwohnerzahl. Perfektes Sonntagswetter, die gleichzeitig stattfindende Kombinationswahl Bundestag-Landtag-Bürgermeister sowie eben diese Polarisierung führten aber auch absolut eine größere Zahl Wähler ins Wahllokal. Am Ende wurden dreitausend Stimmen mehr als 2001 abgegeben.
Unklar bleibt, welche Rolle die umstrittene Kampagne des Advocatus Diaboli Martin Heyne im Vorfeld der Entscheidung spielte. Auf die Wahlbeteiligung könnte sie ähnlich positiv gewirkt haben, wie die allgemein massenmedial vermittelte Wahlstimmung zur Bundestagswahl. Ob sie tatsächlich wahlentscheidend war, lässt sich wohl nicht abschließend klären. Es ist aber davon auszugehen, dass sie eine gewisse Mobilisierung gerade der mit Rainer Werner Unzufriedenen zur Folge hatte. So bestätigt sie hauptsächlich den Wahlausgang als Entscheidung gegen den Amtsinhaber. Denn die Person Dagmar Püschel und ihr Programm spielten in den Werner-in-Rente-Anzeigen bestenfalls eine Nebenrolle.
Insgesamt war Rainer Werner im direkten Vergleich der Wahlkampfmittel weitaus breiter und professioneller als seine Kontrahentin aufgestellt. Eventuell zu breit und zu professionell. Nachdem nämlich die Kampagne aus München zunehmend Stadtgespräch und in den Medien reflektiert wurde, holte der Amtsinhaber zu einem hochdosierten Gegenschlag aus, der vor allem seine Persönlichkeit in den Vordergrund rückte, weniger jedoch mit neuen Argumenten aufwarten konnte. Papierfabrik, Renovierung des Flächendenkmals und beste Beziehungen zur lokalen Wirtschaft und zur Potsdamer Parteiführung sind zwar schön und gut, nutzen sich aber in der Wiederholung ab. Insofern hat Rainer Werner sein Pulver möglicherweise zu früh verschossen und nichts zum Nachladen im Pulverhorn der Leistungsbilanz gehabt. Vielleicht ist er zu oft in Phrasen zurückgefallen, wo Auseinandersetzung gefragt war. Damit bringt man skeptische Wähler bekanntlich zusätzlich ins Zweifeln.
Womöglich überspannte Rainer Werner also gerade durch die offensive Werbung den Bogen und führte unfreiwillig einen Stimmungsumschwung in der deutlicher werdenden Diskrepanz zwischen Dauerpräsenz auf Plakatwänden, ganzseitigen Anzeigen, Flugzetteln, etc. bei argumentativer Redundanz herbei. Dadurch, dass die Reaktion auf die Anzeigen Martin Heynes so heftig ausfiel, erkannte Rainer Werner obendrein die Spielregeln dieses dritten Herausforderers an und bestätigte ihn damit in gewisser Weise. Die insgesamt eher Pro-Rainer-Werner orientierte Märkische Oderzeitung brachte sich obendrein noch durch eigene Dämlichkeit in eine unmögliche Position, als sie sich erschreckend unprofessionell und plump eine Woche vor der Wahl eine Einstweilige Verfügung erschrieb.
Tatsächlich ist in solch einer Situation guter Rat teuer und der Bürgermeister war vielleicht nicht unbedingt bestens beraten. Poster allein jedenfalls gewinnen kein Wahl. Statt sich mit Dagmar Püschel und ihrer Agenda zu befassen, befasste sich der Amtsinhaber zu viel mit sich und Martin Heyne, was letzteren heute freuen wird und weshalb sich jetzt eine lachende Dritte im Rathaus einfindet.
Was sie dort vorfindet, ist allerdings kein Spaziergang in der Septembersonne. Auf Dagmar Püschel wartet eine denkbar schwere Herausforderung: Sie muss den recht großen Anteil derer, die bis gestern hinter Rainer Werner standen und es heute vielleicht nach wie vor tun, überzeugen. Betrachtet man die
Rainer-Werner-wer-sonst-Anzeigen, dann wird sie dabei vermutlich mehr gegen den Willen der lokalen Eliten antreten, als mit deren Unterstützung. Es hängt vieles davon ab, wie pragmatisch diese Akteure mit der Situation umgehen. Dass der Übergang frei von Animositäten erfolgt, wäre zwar zu wünschen, ist jedoch kaum zu erwarten. Auf diesem Terrain wird Dagmar Püschel auch die politische Vormachtstellung ihrer Partei im nun noch tiefer tiefroten Ostbrandenburg kaum helfen können. Hier muss es einen beiderseits vorurteilsfreien Dialog geben, der auch die Arbeit Rainer Werners, die eben doch oft auch richtig und wichtig war, würdigt. Der schwerste Block jedoch erwartet sie im Norden der Stadt. Wo Rainer Werners Bande ins Stahlwerk fast schon zu eng geknüpft schienen, hat Dagmar Püschel vergleichsweise wenig Ansatzpunkte. Dabei ist das Stahlwerk nach wie vor eine überdominante Instanz in Eisenhüttenstadt. Nach dem Sieg in der Stadt, muss die neue Bürgermeisterin auch im Werk gewinnen. Und das wird sicher nicht ganz einfach.