Ich würde sehr gern über den Direktor der Papierfabrik schreiben. Dieser Mann hat großen Eindruck auf mich gemacht, weil ich vom ersten Augenblick an spürte, das ist mein Genosse. Er konnte mit uns ebenso souverän über Literatur plaudern wie über Probleme seines Werkes. Das hat mir gefallen, weil er Bücher liebte und die Rosen und weil er eine Inschrift anbringen ließ, die ich nirgend anders bisher gesehen habe. Wenn die Arbeiter von der Schicht nach Hause gehen, dann lesen sie, was am Ausgang der Fabrik mit roten Lettern geschrieben steht: "Vielen Dank für Eure gute Arbeit."
Wenn die Kurzarbeiter von ArcelorMittal momentan aus Richtung Vogelsang die B112 hinunterkommend auf die Werkszufahrt "Schönfließer Wache" (Tor 2) zusteuern, lesen sie dagegen auf dem Wegweiser, dass diese geschlossen ist. Der berühmt-berüchtigte "Rahmen der momentan schlechten Auftragslage" des AMEH (so die aktuelle Kurzbenennung des EKOs unserer Vergangenheit) erzwingt diesen Schritt und an mancher Ecke wird gemutmaßt, dass dies nur ein festtägliches Amuse Guele für ein größeres Sparmenü sein könnte. "Vielen Dank für Eure gute Arbeit" bekommt man übrigens auch oft dann zu hören, wenn es einen das letzte Mal zum Werkstor hinaus treibt.
Immerhin wird als Hoffnungszeichen auf Kilometerlänge entlang der Bahnlinie nach Frankfurt der Kiefernwald auf- und davongepflügt, als ob es ein Morgen gäbe. Und zwar eines aus Pappe. Die Papierfabrik wird roh gebaut und die dort einst eifrig äsenden Rehwildbestände sind hoffentlich rechtzeitig mit ganzem Sprung über Stock und Gleis in den Ziltendorfer Niederung der noch vor drei Jahren kaum geglaubten Weiterindustrialisierung der Landschaft um Eisenhüttenstadt entkommen.
Ob der Fabrikleiter der Progroup-Zweigstelle allerdings dem Idealbild entspricht, welches der beliebte Forst-, Wald- und Wiesenschriftsteller Heinz Helmut Sakowski in seinem oben zitierten Beitrag für eine Bezirksdelegiertenkonferenz der SED des Bezirks Neubrandenburgs in Vorbereitung des IX. Parteitags in die Neue Deutsche Literatur warf, kann man zum aktuellen Zeitpunkt kaum beurteilen.
Sollte er Sportflieger sein, findet er jedenfalls einen Verkehrslandeplatz und ansonsten außergewöhnlich blühende Landschaften um sich herum, wie man der aktuellen Ausgabe der Landeswerbeschrift TOP Magazin Brandenburg entnehmen kann, die ausführlich über den "derzeit mächtigen Rückenwind" im Wachstumskern Frankfurt(Oder)/Eisenhüttenstadt berichtet. Wer das tolle Heft durchgeblättert hat, das als Weihnachtsempfehlung ("unsere Tipps für das Winter-Shopping") unter das Business-Oberhemd "Eton Daimond Shirt" zum Stückpreis von 25.000 Euro oder einen Kurzurlaub im All für "ca. € 130.000) und ein Singulum-Notebook "aus Edelholz, Tasten aus Elfenbein und Gold" (Preis auf Anfrage. Man, als Elfen- und Elefantenfreund, beachte: "SINGULUM keyboard pieces are only turned using pre-convention ivory") für die Brandenburger Gabentische empfiehlt, findet nur noch schwer in die Ostbrandenburger Realität zurück, in der sich ausnahmsweise nicht jeder das güldene Rennfahrrad der dänischen Goldfahrradständer Aurumania (pro Fahrrad "ca. € 80.000") leisten will und mitunter leisten kann.
"Brandenburger", so möchte man ausrufen, "bleibt doch bei Deinem Ackersalat", der im märkischen Restaurant am Berliner Gendarmenmarkt mit sparsamen € 15,50 in der Rechnung aufgeht und im Geschmack solide genug ist, um nicht zu enttäuschen. Wer es drunter nicht mag, dem bleibt die bodenständige Brandenburger "Rehkeule, geschmort, mit Petersilienwurzel-Mousseline" im Restaurant "Windspiel" auf Schloss Hubertushöhe, dessen Koch nun auch einen Stern eines beliebten französischen Reifenherstellers trägt.
Abgesehen davon verzückt am Hefterl mit den "Brandenburg Visionen" das Titelbild, welches geschickt offenlässt, ob der aus dem lokalen Stadtumbau wohlbekannte Greifarm über einer Betriebsanlage der Rückbaufirma TVF Altwert nicht auch zur Liquidation der Anlage selbst ansetzt. Andererseits scheint die Zukunft gerade dieser Firma ("Alles aus einer Hand: von der Kasernensanierung bis zur Funkturmsprengung") bombensicher, denn wo Industrie entsteht, ist sie auch irgendwann wieder abzureissen.
Dann heißt es vielleicht auch wieder in der Märkischen Oderzeitung: "Zerfetzte Blitzknaller, das ist alles, was die Polizei in der Nacht zum Freitag nahe der Eisenhüttenstädter Stadtwerke noch findet." (vgl. hier) Vom Heizkraftwerk beispielsweise ist nicht viel mehr geblieben.
Anders das "City Hotel Lunik", das ebenso überraschend, wie "Schönfließer Wache" sich verschlossen zeigt, dieser Tage seine Pforte geöffnet hat, endlich und nach so vielen Jahren und einem so wunderbar stadtadäquaten Film mit einem grandiosen Novemberkind (bei dem also, so die Märkische Oderzeitung, "mit Anna-Maria Mühe, Torsten Merten und Alexander Sternberg auch nicht gänzlich unbekannte Schauspieler vor der Kamera standen.").
Das wurde auch Zeit, verkündete doch der städtische Pressesprecher Torsten Gottschlag während der berühmten (und jederzeit stimmig wiederholbaren) Anprangerung vom Februar 2007:
Bei einigen der immobilen Sorgenkinder zeichnet sich nun aber doch ein Hoffnungsschimmer ab. So gebe es von der DL Immobilienverwaltungsgesellschaft "Altmark Ansgar" positive Signale zum Lunik. Die Gesellschaft hatte das ehemalige Hotel im Dezember des letzten Jahres ersteigert. (vgl. MOZ)
Wahrgemacht hat es aber nicht mehr "Altmark Ansgar", sondern die EWG Hansel Wohnungsverwaltungs GmbH aus dem Pfännereck (auch als "Twin-Tower" bekannt) zu Halle an der Saale, deren Webpräsenz so professionell wirkt, wie der Umgang mit dem Lunik. Und eigentlich irgendein Pflasterstein. Das Beispiel zeigt aber, dass man als Investor auch mit sehr wenig Engagement in einer Stadt wie Eisenhüttenstadt Beträchtliches erreichen kann. Es sind oft die ganz kleinen Dinge (Steine, Auktionszuschläge, stadträumliche Sensibilität), die hierzulande den Unterschied machen.
Das noch nicht mal 60 Lenze zählende Glashaus Eisenhüttenstadt besitzt traditionell nicht viele Werte. Einer der wenigen ist sein architektonisches Erbe, wobei manche Exemplare noch so jung sind, dass sie damit nicht umgehen können.
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