Der Landesjugendring Brandenburg sucht für ein Schreibprojekt Jugendliche an der ostdeutschen Grenze. Unter dem Motto «Stadt, Land, Fluss» sollen junge Leute ab Januar 2008 ihren Lebensalltag und ihr Umfeld über ein Jahr hinweg aufschreiben, teilte der Landesjugendring mit. Angesprochen sind Jugendliche im Alter von 16 bis 26 Jahren aus Eisenhüttenstadt, Frankfurt (Oder), Seelow, Küstrin-Kietz und Schwedt.
So läuft es heute über den Nachrichten-Ticker und leider fallen wir aus der Altersspanne der Zielgruppe des brandenburgischen
Landesjugendrings, sonst würden wir den Inhalt im nächsten Jahr noch stärker auf "Stadt,Land, Fluss"-Lebensalltags- und Umfelderfahrung ausrichten. So aber behalten wir unseren bisherigen "Untertitel" bei und nehmen einfach das, was uns so vor die Sinne stolpert unter das Seziermesser der schriftlichen Auseinandersetzung.
Silvio (mit Madleen)
konnte sich bekanntlich jüngst über des Sinns des "Außer Haus"-Angebotes in
Moretti's Diner wundern, wobei man hoffen kann, ja sogar muss, dass sich die dortigen Betreiber nicht langfristig in vollem Umfang an
Moretti's Ristorante and Pizzaria im windigen Chicago orientieren. Über dieses heißt es nämlich in einer
kurzen Kundenkritik:
Moretti's has the poorest service of any resteraunt[sic!] I can remember. The food is mediocre at best, but people go for the beer garden (biggest in the city) and the cute girls.
Attraktive Backfische polieren selbstverständlich auch im
reste-raunt den allgemeinen Eindruck ein bisschen auf, aber sie bieten keine nachhaltige Erfolgsgarantie: erstens sind sie nicht nachhaltig Backfisch und zweitens mit ihrem Anblick nicht nachhaltig Ersatz für guten Dienst am hungrigen Kunden. Von Geduldsfadennudeln ist jedenfalls noch niemand satt geworden.
Eine andere Neueröffnung aus dem mehr oder weniger gastronomischen Angeboten in Eisenhüttenstadts Magistrale stellt die nicht ganz umstrittene Backwarenverkaufsstelle mit Café-Anschluss des regionalen Bäckerei-Platzhirsches "
Dreißig" dar.
Das Marketing hat sich für das Haus ein besonders hohe Ansprüche weckendes Motto herausgesucht: Nicht nur "unser träglich Brot", sondern "das täglich kleine Glück" wollen uns die
Dreißiger geben. Das fordert natürlich heraus und so strebt man hinein durch die Glastür direkt auf den Verkaufstresen, an diesem vorbei in den Café-Raum, hängt den Wintermantel über den Gaderobenständer, setzt sich an einen kleinen Glastisch, zupft an der Kunstblume und blättert ein wenig durch die Speisekarte, etwas grober beschallt mit Rummelplatzweihnachtshymnen: "..mir wird so angst und bang/jeder Tag ist mir so lang..." und merkt nach gewisser Wartezeit, dass man sich in einem Selbstbedienungslokal befindet, da die Angestellten zwar emsig rotieren, sich dabei jedoch dem Tisch nicht nennenswert nähern.
Man muss also am Tresen bestellen, sonst passiert hier gar nichts und eigentlich auch gleich bezahlen. Andererseits kann man sich schnell nach der Bestellung zurück zum Platz begeben und dann wird dem Gast das Bestellte auch zum Tisch gebracht, wobei das Verkaufspersonal durch und über die Bank weg sehr freundlich und geduldig ist. Sofortige Zahlung ist trotzdem zu leisten. Die Heißgetränke sind solide, man bekommt sogar grundsätzlich und ohne Nachfragen ein Gläschen Wasser dazu, was in Ostbrandenburg nicht unbedingt zum Standard gehört. Der Kuchen ist einen Tick zu süß und an Originalität sicher noch optimierbar. Andererseits bewegt sich das Preisniveau auch deutlich unter dem des (Staats)Operncafés, so dass es hier einen gewissen Ausgleich gibt. Dennoch fehlt bedauerlicherweise nach wie vor ein Punkt in Eisenhüttenstadt, den man für wirklich exzellenten Kuchen direkt ansteuern würde...
Die Einrichtung ist bis auf eine Sofaecke eher für den Kurzaufenthalt gedacht und eventuell etwas eng gestellt. Andererseits muss sich ja auch keine Bedienung hindurchzwängen. Dafür kommt allerdings eine etwas übereifrige Angestellte mit Wischlappen und poliert gnadenlos Unruhe stiftend die Nachbartische, bevor sie glücklicherweise von einem Bekannten aufgehalten wird, mit dem sie mitten im Raum stehend allerlei Persönliches bespricht. Atmosphäre oder gar Heimeligkeit in der Weinachtszeit entsteht dadurch natürlich nicht so recht. Dafür eignet sich viel besser eine fast wandfüllend vergrößerte Fotografie mit nächtlichem Hochofenmotiv. Mit dieser wird tatsächlich ein Bezug zum Ort sehr schön dargestellt, während die anderen Wandgestaltungen der Dreißig-Corporate Identity entsprechen und die Filiale verwechselbar machen würden, wären da nicht die breiten Schaufenster mit Durchblick in die Lindenallee.
Am Fenster sitzen, die (wenigen) Flaneure beobachten können - darin liegt die eigentliche Stärke des neuen Lokals und deswegen lohnt sich auch der Besuch. Sitzt man eine Weile, sieht man deutlich, dass ein am Sonntagnachmittag geöffneter Anlaufpunkt ausreicht, um diesen Teil der Magistrale halbwegs zu beleben. Insofern erweist sich die Filiale durchaus als eine Bereicherung und wenn man konzeptionell mehr Konditorei und Café gewagt hätte, dann wären vielleicht sogar die umliegenden Backboxen und -shops nicht ganz so irritiert. "Das täglich kleine Glück" wird sich durch die Filiale nicht ganz und nicht für jeden einstellen, aber vielleicht ist dies ein erster Schritt, um im - immerhin - Stadtzentrum Eisenhüttenstadts langfristig die allgemeine Aufenthaltsqualität zu erhöhen - besser als eine Bankfiliale ist das neue Angebot in dieser Hinsicht allemal. Inwieweit die (Wieder)Belebung des Stadtzentrums dauerhaft gelingt, hängt sicher auch an dem, was im und mit dem Lunik geschehen wird und daran, ob und welche Temporärnutzungen für den Zentralen Platz gefunden werden und inwieweit sich in der Lindenallee Angebote etablieren, die sich nennenswert von dem, was die Einkaufszentren bieten, unterscheiden lassen. Die direkte Eingebundenheit in den Stadtraum erweist sich gegenüber den künstlichen und eingegrenzten Konsumillusionen, vor allem des City Centers, dabei in jedem Fall als grundsätzlicher Vorteil - vermutlich auch für die neue Dreißig-Filiale.
Update 19.12.2007
Doch dann kam Peter Dreißig. Mehr als 80 Filialen, in Guben zuhause, in Eisenhüttenstadt und Umgebung nicht unbekannt. Mitte 2007 wurde eine Zusammenarbeit vereinbart. Selbst Probleme mit dem Denkmalschutz konnten nach Aussage der GeWi-Chefin konstruktiv gelöst werden - eine Automatiktür wie in der Bäckerei Dreißig ist ein Novum im größten Flächendenkmal Deutschlands.
Passend zum Beitrag hat die Märkische Oderzeitung heute noch ein paar Hintergründe zur Entwicklung in der Magistrale im Blatt: Imagewandel in der Lindenallee. Auf die Automatiktür hätte man allerdings im "größten Flächendenkmal Deutschlands" eigentlich auch verzichten können...
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