Eisenhüttenstadt wird noch billiger. Diesmal wird als Kompensation durch die Aufgabe des ALDI-Ost, dem man die Kaufkraft vor der Pforte weggerissen hat und von dem man nun eine weitere potentielle Ruine, jedenfalls einen toten Ort im Stadtraum (mit Parkplatz immerhin) zurückbehält, einen guten Kilometer weiter Richtung Vogelsang ein Netto-Markt an die Straße gestellt. Der ist dann aber auch unerreichbar für die Senioren hinten am Kanal, den soweit tragen die Rollatoren in der Regel nicht.
Auf den ersten Blick erscheint es schon eigenartig, dass dort, wo der Flächenabriss am kräftigsten einebnet und die Einwohnerschaft in alle Winde verstreut, ein neuer Supermarkt in die Gegend wächst. Aber es ist hier für die Stadtplanung wohl eine Flucht nach vorn: Wer ohne automobile Grundausrüstung in Fürstenberg eine größere Lebensmittelauswahl sucht, findet diese nicht sehr leicht. Und vermutlich fragt er auch weniger nach Einkaufskultur oder gar konsumethischen Aspekten als nach dem Preis. Die einstige Kaufhalle des VII. Wohnkomplexes ist mittlerweile ein beeindruckend wie bedrückend ramschiger Floh- und Müllmarkt. Und einen Feinkostladen und einen guten Laden für Bioprodukte wird man andererseits bei den gegebenen Konsumvoraussetzungen kaum motivieren können, in die bettelarme Stadt zu ziehen. Obendrein vermochte sich von den Geschäften, denen man es wirklich gegönnt hätte, in den letzten 19 Jahren ohnehin keines zu halten.
Andererseits liegt in dem planlosen und wilden Ansiedeln(lassen) von Hyper-, Super- und Discountmärkten in Eisenhüttenstadt eine Ursache dafür, dass man heute kaum ein ernstzunehmendes Fachgeschäft vorfindet. Sollte der Fall eintreten, dass sich Eisenhüttenstadt nun auch noch so etwas wie den kik oder ähnliches gibt, verbrennt man weiter Erde für Konsumkultur mit Betonung auf Kultur:
Bei einem der zwei neuen Bauanträge handelt es sich Jörg Ihlow zufolge um zwei Discount-Fachmärkte aus dem Bekleidungs- und Schuhsektor, die sich bei Lidl an der Karl-Marx-Straße ansiedeln wollen. Und der andere Antrag dreht sich um einen Discounter vor dem Roller-Markt. Dort habe der Interessent der von der Stadt verlangten zweigeschossigen Bauweise bereits zugestimmt.
So berichtet es heute die Märkische Oderzeitung. Zusätzlich informiert sie, dass die Ansiedlungsmöglichkeiten für Discount-Märkte eingeschränkt werden sollen, u.a. "um vorhandene zentrale Versorgungsbereiche wie die Lindenallee oder das City Center zu schützen". Nur blöd, dass es in der Lindenallee vor allem Bäcker und 1-Euro-Läden gibt und das City Center ein Hauptgrund für diesen Zustand ist. Und vorn im Lindencenter gibt es noch eine Rossmann-Filiale und in der Tat noch zwei oder drei andere Geschäfte dazwischen. Aber irgendwelche, zu denen ein Discounter tatsächlich in Konkurrenz treten könnte, fallen einem doch nicht so schnell ein...
Das Kernproblem, nämlich das Einkaufskultur auf die Stadtkultur zurückwirkt, scheint bislang jedenfalls zu wenig in den Köpfen des Gros der Einwohnerschaft noch der Entscheider angekommen zu sein. Hier spricht der Preis, hier ist mehr immer mehr. Das gilt nicht nur für diejenigen, die in ihre sozioökonomischen Lage gezwungen sind, an der Zuckerstange der Geizgesellschaft und damit vor den Sonderangebotsauslagen für Pfennigfuchser herumzuturnen, weil wertige Produkte für sie schlicht zu teuer sind. Sondern es scheint vielmehr Bestandteil der lokalen Mentalität zu sein. Im Punkt Einzelhandelskultur hat man sich noch immer viel zu wenig vom Bedürfnisstand der Westmark-hungrigen Brüder und Schwestern aus dem Osten, die man gleich hinter der Mauer kartonweise mit Blendware überschütten konnte, emanzipiert. Möglichst bunt und noch viel mehr möglichst günstig, damit man auch beide Arme voll davon nach Hause wuchten kann. Man muss seine Ankunft als vollwertiger Bürger der marktwirtschaftlichen Gesellschaft zu oft noch immer dadurch beweisen, dass man in der Lage ist, ein Schnäppchen zu machen und ja keinen Cent zuviel zu bezahlen. Beratung, Service und Vielfalt sind dabei vernachlässigbare Größen...
Wie so vieles ist die Einkaufsstadt in Eisenhüttenstadt eine Facette, die gründlich aus der Balance geraten ist. Bei lokalen Anbietern mangelt es häufig schlicht an einer professionellen Einstellung zu dem, was man tut, was der Niedergang des Versandhandels Osthits.de genauso illustriert wie der völlig missratene Online-Shop des lokalen Tourismusvereins. Das Gegenteil von gut ist eben vor allem auch gut gemeint und zeigt sich in scheußlichen und unpassenden Kaffeepötten besonders eklatant. Die großen Ketten haben leichtes Spiel, die Stadt an sich zu legen, denn sie gaukeln Arbeitsplätze vor, wo es prekäre Beschäftigungsverhältnisse gibt, können Verluste leicht verrechnen und wissen, dass sie sich nicht allzu sehr ins Zeug legen müssen, denn hier hat teuer nach wie vor Hausverbot. Investitionen sind obendrein immer noch ein Zauberwort höchster Güte, mit dem man sich zum Niedrigpreis wie es scheint fast beliebig sein Grundstück aus dem Kuchen des Stadtraums herausschneiden kann.
Was kann man nun als gemeiner Bürger und Endverbraucher tun? Da man in der hierzulande herrschenden Diskussionskultur immer dann, wenn man ein Problem aufzeigt, gleichzeitig aufgefordert wird, eine alle befriedigende Lösung auf den Tisch zu legen und ansonsten mit Zuweisungen wie "Wichtigtuer" oder "Nestbeschmutzer" versehen kennenlernen darf, was es heißt, gemieden zu werden (weshalb sich der auf Kontakte angewiesene Lokaljournalismus in der Berichterstattung nicht selten mehr zurückhalten muss, als es der journalistische Anstand eigentlich gebietet und mit gestutzten Federn schreibt), wollen wir wenigstens den allgemeingültigen Tipp geben, sich einen Lebensinhalt jenseits der schnellen Kurzzeitbefriedigung der stumpfen Konsumkultur zu suchen. Konsumzurückhaltung ist ressourcenschonend und hilft sparen. Ein bewusstes und konsumethisch abgewogenes Kaufverhalten hilft, Märkte positiv zu gestalten. Lokale Produkte zu kaufen ist meist ökologisch sinnvoller, als neuseeländisches Lammfleisch auf den Tisch zu legen und hilft zudem, lokalen Anbietern beim Überleben. Wer die Masse reduziert, das Budget aber stabil hält, kann sich für hochwertigere Erzeugnisse entscheiden. Man sollte sich mehr wert sein, als netto.
Generell wäre es zu begrüßen, wenn sich die Stadtgesellschaft auch in Eisenhüttenstadt an einem postkonsumistischen Lebensmodell orientierte. Das Leitbild vom Reichtum ist eine Schimäre. Der Lottogewinn, der alles möglich macht, trifft einen in Milliarden und der kann dann damit natürlich wieder nicht umgehen. Sozialpflichtige Erwerbsarbeit ist in diesem Teil Deutschlands perspektivisch etwas für eine Minderheit. Der Schlaubetaltourismus finanziert vielleicht Bremsdorf und Neuzelle aber nicht Eisenhüttenstadt, das zu sehen wirklich eher was für Spezis ist (vgl. z.B. hier). Die Waren- und Leistungsgesellschaft trifft in Ostbrandenburg (wie auch in anderen Teilen Ostdeutschlands) ganz offensichtlich auf ihre Funktionsgrenze. Diese Ecke der Welt braucht andere Leitwerte als Oberschwaben, denn die dortigen lassen sich hier nie und nimmer breitenwirksam verwirklichen. Lebende Unternehmen sind in der Region ein nettes (und oft teuer subventioniertes) Zubrot. Aber sie brauchen vergleichsweise fast keinen der Menschen, die hier leben. Dass man diese dennoch nach wie vor mit dem Idealbild eines funktionierenden Kapitalismus überfüttert, in dem sie keinen Platz finden können, das sie nicht braucht und ihnen deswegen vermittelt, dass sie nicht in ok sind, ist ein zentrales Problem, das viele Folgeprobleme nach sich zieht. Das Geschäftsmodell von Discountern spielt dort hinein, denn es basiert in erster Linie darauf, ein Konsumideal auch für die verwirklichbar zu machen, die es sich eigentlich nicht leisten können. Discounter simulieren Warenkultur nur und unglücklicherweise finden viele in der Simulation ihre Erfüllung. Die Stadt stützt dieses Nicht-Authentischsein, wenn sie diese Simulationskultur fördert. So wie sie auch mit dem Stadtfest einmal im Jahr kulturelles Leben simuliert. Nachhaltig ist das aber nicht. Nachhaltigkeit ist jedoch etwas, was für die Entwicklung von Stadtkultur, die sich erfahrungsgemäß nur langsam aufbaut, aber mit einem plump kommunizierten und knallhart durchgezogenen Flächenabriss mächtig schnell Schaden nimmt, den Grundbaustein darstellt.
Die perfekte Nutzungsperspektive für eine Stadt wie Eisenhüttenstadt wäre als Labor für positive und progressive Lebens(stil)modelle zu dienen, in denen der Faktor "Öffentlichkeit" einen zentralen Platz einnimmt. Denn strukturell ist sie wenigstens im Planstadtbereich wunderbar auf ein nicht von Aspekten wie Individualverkehr abhängiges Leben ausgerichtet, und besitzt potentielle Begegnungsräume fast im Übermaß. Die Einwohner wissen leider in der Regel nicht, wie sie diese nutzen können. Das teilen sie mit ihrer Stadtverwaltung. Eine perspektivisch und auf Nachhaltigkeit orientierte Stadtplanung wäre aber ganz gut beraten, genau diesen Gesichtspunkt konsequent zu verfolgen. Das wäre wiederum nur folgerichtig angesichts des soziotechnischen Impetus der Planstadtgeschichte. Man sollte es bloß anders machen, als die realsozialistischen Aktivisten.
Denn wenn dann das Stahlwerk irgendwann nachhaltig stottert, bricht es in Eisenhüttenstadt noch einmal ganz gewaltig und anders um. Wenn man dann zwangsläufig die Zeit hat, die Langsamkeit zu entdecken, ist es sicherlich nicht von Nachteil, wenn es auch etwas gibt, diese zu füllen. Eine gut ausgestattete und in der Nutzung möglichst für die Benutzer kostenfreie Stadtbibliothek ist dabei ein schönes konkretes Element. Ein ansprechender öffentlicher Raum, in dem man sich gern aufhält, der Begegnungen zulässt, inspiriert und signalisiert, dass es ein städtisches Leben auch jenseits des Geldes gibt, ein anderes. Soviel also als Träumerei. Die Realität sind natürlich wieder verbundpflasterne Parkflächen, angestoßene Einkaufswagen und die kleinliche Sorge um den besten Preis. Leider ist das weder auf der Höhe der Zeit noch im Endeffekt besonders günstig.
Vor einem Jahr wurde dieser Teil des WK VII weggewischt. Der Rest folgt in diesem. Aber es gibt Ersatz: Wo einst nur Plattenbauten standen, wächst jetzt ein kunterbunter Netto-Markt. Schade, dass das fast alles ist, was es aktuell aus diesem Viertel zu melden gibt.
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