The people of Eisenhüttenstadt, once Stalin's model Socialist city, wish that reunification had never taken place. Their anger could be critical in next week's election.
so las es der aufmerksame Beobachter der Weltpresse vor knapp vier Jahren im Independent, der sich von seinem Deutschland-Reporter Tony Paterson ein mächtig düsteres Eisenhüttenstadt-Bild im Advent der Bundestagswahl, die alles verändern sollte, liefern lies und titelte: Goodbye Gerhard: Old divides remain as Germany prepares to vote.
Demnächst geht es wieder um die Wurst namens Bundestag und die Butter der Wählerstimmen und -stimmungen, die sich die Partei gegenseitig vom Brot nehmen wollen. Dies allerdings, so der Eindruck, nicht unbedingt in Eisenhüttenstadt, das als weitgehend wahlkampffreie Zone die müßige Sommerlaune zwischen Kiesgrube und Kleingartenarbeit genießt, mal einen 87sten Geburtstag bei der Volkssolidarität dazwischen schiebt und den eigenen 60sten 2010 fester im Blick zu haben scheint, als die Pflugscharen der Kreuze vor der Urne, die auch diesen schmalen Acker der politischen Mitbestimmung durchfurchen könnten.
Immerhin: Wo Tony Paterson die sterbende Stadt sah, die in Arbeitslosigkeit und Bulldozerei(h)en im VII. Wohnkomplex zerbricht und zerbröselt, vermeldet das Fachblatt der Papierindustrie, BILD, dass dieser Tage die "nach Unternehmensangaben weltweit größte Altpapiertrommel" in die Papierfabrik eingesetzt wird.
Wo Tony Paterson den bitteren Geschmack der Resignation aufziehen sah, sitzt die Stammkundschaft nach wie vor, teils in Lederhose und teils ohne, beim Bierschaum vor dem Freiluftausschank des Hähnchen-Ecks und scherzt gelassen mit der ausschenkenden Bedienung, die die Herren vermutlich schon vom Bier aus dem Aktivisten 1959 kennt und mehr denn je im Griff hat.
Wo Tony Paterson den so unfreiwilligen wie schwarzen Humor des DDR-Alltags in eine pointenlose Ödnis der 2000er Jahr münden sieht, genießen drei Generationen von Rentnern beim fröhlichen Schwatz auf den Parkbänken der Insel die Gaben der Augustsonne und lassen vielleicht im Herbst den guten Mann/die gute Frau einen lieben Gott sein. Wer auch immer das am Wahlabend sein wird. Kreuz und gut. Wenn überhaupt.
Warum auch nicht: Der Stadt geht es ganz gut, alles blüht, der Stadtumbau erfasst selbst das Rathaus und nur eine kleine Schar sammelt sich mit bewundernswerter Ausdauer zum fünfjährigen Jubiläum der Montagsdemonstrationen vor dem Friedrich-Wolf-Theater. Sie trafen es an diesem Montag, obschon ungeplant, sehr glücklich, denn in direkter Sichtachse zum Standort dieses Jubiläumskonzerts campiert derzeit zentral-magistral in Rufweite zum Regionalbüro der Märkischen Oderzeitung die angekündigte Wahlfahrt '09, verkörpert durch ein Handvoll hoch motivierte, extrem neugierige und angesichts des engmaschigen Reiseplans bis zur Selbstaufgabe verwegene Journalisten. "20 Orte in 50 Tagen", dass klingt nach Italienreisen im Opel Ascona mit Dachgepäckträger in den 1970ern (Westdeutschland only) oder gemütlichem Interrailing (dito). In jedem Fall ist solch ein Pensum nur mit Wirtschaftswunderehrgeiz oder im jugendlichen Delir zu meistern und das ganz ohne tägliche Berichterstattung in Wort, Bild, Ton und Microblog.
"I didn't vote, now I'm rolling with the commies/but I never took lessons from no hip hop nazis/keep throwing darts 'cause the world is made out of plastic, made out of pigs" - Sole, Selling Live WaterDas "Live Water" der Wahlfahrt '09 kommt - soviel Indiskretion muss erlaubt sein - aus der Zapfstelle der Märkischen Oderzeitung. Die Inhalte dagegen von der Straße selbst. Der Rapper Sole dagegen liefert die einzige popkulturelle Anspielung auf den Akt des Wählens, der sich gerade beim Schreiben dieses Text assoziieren will. Zudem rotiert der inklusive doppelter Verneinung geäußerte tief pessimistische Ansatz in Bezug auf den Zustand der Weltordnung in eigenartiger Nähe zur eher düsteren Bewertung der gegenwärtigen Gesellschaft, die ein sehr rüstiger Senior mit Erfahrung in vier politischen Systemen beim Vorort-Interview zu Protokoll gab. Auch dies ist der Stoff, aus dem die Realitäten sind.
Was sonst noch am Wagen zum Wagnis vorbeikommt? Es steht, durch die Blume gesehen, ein Fragezeichen daneben. Und eines für den Ausruf! Vielleicht hinter der Hookline eines anderen Raptitels: Josh Martinez' "Tour is War":
"..don't know much/but know for sure/who's on tour/stays on tour!"
Wohl nicht recht ahnend, dass in Eisenhüttenstadt - der "quasi (odernahe[n]) Insel der Seligen" (taz, 2005(!)) die Geschichten und die fotogenen Ecken permanent und Hand in Hand die Straßen herunterschlendern, wirkte die Bauwagenbesatzung bei einer Stippvisite am Nachmittag vom wahrgenommenen Berichterstattungspotential der Stadt nicht gerade überrollt, aber doch deutlich herausgefordert. Bis zum Abend schien sich aber aus der Vielfalt der Eindrücke eine Linie herauszuziehen, die vorwiegend durch Verzicht und dem Griff nach dem Naheliegenden (Montagsdemo) gekennzeichnet war. Was sich davon tatsächlich eindrückte, wird wohl zu dieser Stunde in Schriftform gegossen. Was dabei an Text entsteht, liest man planmäßig alsbald auf der Website zur Tour und vielleicht in diversen Internetmedien. Was generell geplant ist,
Sämtliche relevanten Links sammeln wir vom Eisenhüttenstadt-Blog in jedem Fall in unserem Twitter. Der der Wahlfahrt '09 ist übrigens hier abzurufen.