Die Stadt ist still und so ist auch ihr Blog. In der Tat dringen kaum berichtenswerte Geschichten durch den dicken Novemberdunst bis auf den Tisch, an dem man Stadt wahrnehmen muss, wenn die Welt zum Büro und das Büro zur Welt wird.
Wenn man also weitgehend am entfernten Schreibtisch tut und sich vom Stadtgeschehen kaum mehr einen Teil nimmt, ist man, sofern man vom Tisch aus dennoch darüber schreiben möchte, darauf angewiesen, dass einem jemand das, was sich zuträgt, zuträgt.
Selten wäre eine deutliche Übertreibung bei der Beschreibung der Häufigkeit, in der uns korrespondierende Stadtwahrnehmer Eindrücke senden. So bleibt das weltumspannende Datennetz (WWW) die Hauptquelle für Neuigkeiten, allerdings liefert die Onlineausgabe der Märkischen Oderzeitung momentan nicht viel, was zu akutem Kommentar anregt: Der Rosenkranz des V. Wohnkomplexes ist wieder auf dem Stiel. (vgl.
hier) Das ist vermerkt:
Die stählerne Blüte ist zurück.
Dann war auch neulich der nicht bei jedermann im Lande Brandenburg beliebte CDU-Landtagsabgeordnete Sven Petke, dem noch immer der nachgeredete Makel anhaftet, auf eigene Faust und in den eigenen Reihen Bestandteile des umstrittenen BKA-Gesetzes als Pilotprojekt ("Das Parteileben der Anderen") getestet zu haben (vgl. auch hier), vor Ort. Seine im Rahmen der Amtsgerichtsdiskussion im Hähncheneck gefallenen Formulierungen: "Wenn man etwas erreichen will, ist es nicht immer gut, wenn man eine scharfe Zunge führt" und "Ich bevorzuge den etwas leiseren Weg" werden dabei natürlich sofort mit einer besonderen Nebenbedeutung (z.B. als "Unüberlegter Schnellschuss") interpretiert. Aber eigentlich ging es in dem Lokal mit der wahrscheinlich dienstältesten Bedienung der Stadt (wenn nicht gar des Landes) um einen aktuellen Gesetzentwurf zu Amtsgerichtsstandorten in Brandenburg und damit verbunden um die Frage, ob Eisenhüttenstadt Amtsgerichtsstandort bleibt oder nicht. Im Hähncheneck kann man also mitunter Leibgericht ("Schnitzel mit Kroketten") und Amtsgericht (dieses) zusammenführen, aber so richtig viel zum Darüber schreiben gibt die Sache nicht her, da die wenigen Erfahrungen mit dem einen Hause gelehrt haben, es möglichst selten zu betreten und mit dem anderen, dass es auch nicht jeden Tag ein Hähnchen sein muss. Aber ab und zu kann man schon in die zentralste Speisegaststätte der Stadt einkehren und sich am Charme der Vergangenheit erfreuen.
Selbst der Kurzbericht über den Perückenzauber auf dem Schulhof des Gymnasiums (Applaus auf dem Schulhof) reißt nicht unbedingt mehr als eine Augenbraue und die nur sehr kurz nach oben. Die zweite gesellt sich vielleicht angesichts der anstehenden Lösung der Abiturdebatte zwischen Oberstufenzentrum und Gesamtschule 3 (Eine Abiturstufe weniger) dazu, und doch verwirbelt auch dies nicht unbedingt die Ennui, die den Eisenhüttenstädter November 2008 mit all seiner verwaschenen Substanzarmut auszeichnet.
Und wenn die Depression am Größten ist, dann öffnen auch noch zu und mit allem Überfluß die Supermärkte am Sonntag.
Mit größtem Besorgtsein memoriert man sofort den Fall eines jungen Wal-Mart-Mitarbeiters aus Valley Stream, New York, der jüngst von Schnäppchenjägern zu Tode getrampelt wurde. Was das schon an sich schreckliche Ereignis in seiner Entsetzlichkeit noch potenziert, ist, dass zahlreiche Käufer auf die Bitte den Markt zu räumen, da es einen Todesfall gab, mit Unverständis reagierten und sich auf ihr persönliches Schnäppchenrecht beriefen, da sie schon vorher Stunden gewartet hatten. Die Eröffnung des neuen Saturn am Berliner Alexanderplatz wird sicher eine ähnliche Mentalität als 30-Sekünder in die Hauptnachrichtensendungen bringen und wer sich in der Vorweihnachtszeit auch nur an höchst triviale Einkaufsorte wie das lokale City Center begibt, wird immerhin den Eindruck bestätigen können, dass die praktizierte Massenkonsumkultur die Menschen tatsächlich bis auf ihren Wolfskern aushöhlt...
Heute war es allerdings still im Kaufland. Hier zeigt sich dann doch, wie es der Stadt an Menschen und den Menschen an Geld mangelt. Den wenigen, die sich dort von allen guten und fast von allen schlechten Geistern verlassen und bereits satt von Stollen und gebrochenen Lebkuchenherzen trollten, riss die Leere zwischen den nutzvollen Joghurt- und Konservenregalen beim Schieben des Wagens durch die sinnlosen Gänge nur noch zusätzlich ein Loch in den trüben Tag. Das Glück ist ganz sicher anderswo und selbst wenn man dringend Rasierklingen braucht, ist die Sonntagsöffnung der Supermärkte in Eisenhüttenstadt ein Verbrechen an der Besinnlichkeit. Dann lieber verwildert am Kinn aussehen und bis Montag warten.
Auch das Gespräch mit der etwas wirren alten Frau, die im aktuellen Abrissblock der Lawitzer Straße eindeutig formaldhydhaltige Latten plündert, um sie dann tatsächlich als Brennholz zu gebrauchen, bietet keine Spur Aufmunterung, sondern spannt vielmehr ein nächstes dunkles Tuch über das Erlebnisspektrum des Flaneurs. Die "green mile", die sich nun statt des Eierhofes und seiner Nachbarn von der Fürstenberger Sparkassen-Filiale bis zur Straße der Republik zieht, ist karges ödes Land, genau der richtige Rahmen für ein karges, ödes Leben, in dem man mit der Sackkarre loszieht, um sich Sperrholz für den langen, frostreichen, kargen und öden Winter zu holen. Während sich die Hochhäuser am Ende des Wohnkomplexes hilflos ins Nebelzelt des ersten Advents graben, als wollten sie nicht und nimmer mehr gesehen werden, legt sich die Blick des Wanderes auf den Boden der Abrisstatsachen, fixiert ein rosarotes Kindersöckchen mit einer scheußlichen Mäusefigur und eine Ausgabe der drallen Zeitschrift
Praline aus dem März des Jahres 1990, in dem man sie für 2,20 DM bekam und damit auch die Schlagzeile:
Rasende Eifersucht: Ingenieur (41) schlug seine hübschen japanische Ehefrau (31) tot! ... Wie hätte der
Praline aktuell-Redakteur wohl eine Überschrift gesetzt, wenn die Ehefrau zufällig nicht hübsch gewesen wäre. Und warum treibt man mit solchen Fragen über den Boulevard am Abgrund des menschlichen Daseins, als der sich die Lawitzer Straße entpuppt? Totes Land, totes Holz, die tote Stadt eines Erich Wolfgang Doppelkorngoldbrandgefühls als blasses Glück, das hier verblich, nicht verblieb.
Doch wenn die Nacht am dunkelsten, ist ein Licht oft nah und unverhofft und unerwartet ist es die museale Aufbereitung einer Stadtgeschichte, die den Trübsinn zerstreut, ein Loch in die Wolkendecke reißt. Unter dem Milchglaswald, eher Wäldchen, in welches sich die verbliebenen Bäumchen auf dem freien Feld verwandeln, ist es tatsächlich das nicht weit entfernte Städtische Museum, welches einen kulturellen Anker in die Tief- und Fernsehgräben ostbrandenburger Wüstenei wirft.
Der Besuch lohnt sich an diesen Tagen mehr denn je, denn gleich drei wunderbar korrespondierende Präsentationen illusionieren eine Welt, vor unserer Zeit. Da wäre die in ihrer Professionalität sehr überzeugende Ausstellung zu den frühen Jahren der Stalinstadt, die vor allem die Begleitmythen und mediale Verarbeitung der Idee einer Stadt ohne Vergangenheit mit sehr sehenswerten Exponanten verknüpft. So findet sich eine blätterbare Reproduktion von Hilmar Pabels Reportage über Stalinstadt für die Illustrierte Quick genauso wie die Selbmann-Axt, Plakate der Hüttenfestspiele und eine außergewöhnlich schöne Entwurfsskizze zum Erscheinungsbild der Magistrale. Es ist nicht unbedingt Neues, dem man hier begegnet, aber eine klare und überzeugende Aufbereitung, die das Bekannte überzeugend in Szene setzt.
Den dokumentarischen Blick zur offiziellen Inszenierung liefern in schöner Ergänzung einige der ausgestellten Arbeiten des Fotografen Friedrich Peukert, der sehr viel in der Stadt fotografierte und zu dessen achtzigsten Geburtstag eine ausführlichere Werkschau aufgeboten wird. Der Pausensport der Mitarbeiterinnen des Fleischwarenkombinats und auch das Porträt des ausgezeichneten Arbeiters beim Nationalen Aufbauwerk "Freilichtbühne" bilden das groteske Element desselben Kollektivismus ab, der mit den wandernden Knaben auf den Diehloer Höhenzügen und dem Stadtpanorama im Hintergrund das Ideal einer aufbrechenden Jugend durchaus in der romantischen Tradition der naturnah stromernden und erkundenden Pfadfinder-Kindheit perfekt inszeniert. Der Wandertag in eine glücklichere Zukunft, die schon am Fuße des Berges ihre Gestalt in Form der sozialistischen Planstadt findet. Die Kinder dieser Stadt müssen zwangsläufig neuere, bessere Menschen werden. Und falls sie später in der zentralen Fleischerei landen, in der Pause zum Kniebeugen. Und wer beim Aufbauwerk besonders eifrig betoniert, kriegt ein dürres Sträußlein Blumen und den Marchwitza, vermutlich mit Widmung.
Einen interessanten Gegenpol bilden die Aufnahmen, die nicht Maidemonstrationen und Kaufhausbau, sondern die Gesichter der Künstler der Stadt und die Landschaft Ostbrandenburgs zeigen. Ein Porträt Regina Flecks. Die Erde bei Streichwitz. Die Schönheit einer Kopfsteinpflasterstraße. Die Bilder sind ruhig, tief und wunderschön. Ein Foto, welches Mähdrescher in Kolonne beim Abernten eines Getreidefeldes zeigt, mag als ästhetisches Scharnier gelesen werden: Auf der einen Seite bzw. der unteren Hälfte mähdrischt die ideale sozialistische Welt der kollektiven Landwirtschaft, der gestaltende Mensch in Aktion, durch das Brot für morgen und darüber dehnt und streckt sich der weite, unberührbare Brandenburger Himmel gleichgültig gegenüber dem, was die Maschinen auf dem Feld so tun.
Aus dem Schwarz-Weiß der Fotoreihe führt schließlich die etwas verborgene Treppe in den unteren Ausstellungsraum des Museums, in dem aktuell eine sehr sehenswerte Auswahl von Arbeiten aus der Kunstsammlung Eisenhüttenstadt zu betrachten ist. Da gibt es zum Beispiel eine kleinformatige Fassung des Schreienden Pferdes von Jo Jastram, welches überlebensgroß zwischen den Elfgeschossern in Berlin-Neuhohenschönhausen in einer wahrlich nicht pferdefreundlichen Umgebung platziert ist. Da gibt es jeweils eine schöne kleine Arbeit von Fritz Cremer und Heinrich Drake und eine glänzende Variante des Liebespaars von Roland Rother. Dazu kommen eine handvoll Gemälde, unter anderem der "Späte Herbst" von Dieter Rex und Bernhard Kretzschmars "Aufbau Stalinstadt", quasi als sich gegenüberliegende ästhetische Pole. Und, na ja, einen selbstporträtierten, schwangeren Matthias Steier vor der Sprungschanze.
Wenn man im Anschluss die Treppe wieder hinaufsteigt, die nächste hinunter und schließlich hinaus ins trotz vollem Marktparkplatz wie ausgestorben wirkende Fürstenberg tritt, spürt man etwas so eigenartiges wie schönes: Der Aufbau Stalinstadt setzt sich entsprechend eindrucksvoll durch die Trinität der durchschrittenen und durchgesehenen Ausstellungsteile - 10 Jahre Stalinstadt, 80 Jahre Friedrich Peukert, viele Jahre Kunstsammlung Eisenhüttenstadt - als Aufbau der Stimmung fort und all das Trübe, Einsame, die Verlassenheit und Ödnis der Adventssonntäglichkeit dämmert davon wie der Tag um dreiviertel vier und man begibt sich heim, um das zu tun, was man an solchen Tagen tun sollte: Kulturarbeit an und in sich selbst. Vergiss die Stadt. Durchdenk die Stadt. Was das Städtische Museum aktuell zeigt, kann dafür ein wirksames Katapult sein.
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