[…]durch Gesetze ist eine Einheit wesentlich. (Rudolf Carnap, völlig aus dem Zusammenhang gerissen)
Es war also im November 1961 Chico Marx war gerade einen Monat tot und Karl Marx bereits 78 Jahre, aber beide lebten, der eine mit seinem Pistolen-Piano-Spiel und der andere in Form einer ganz spezifischen Auslegung seiner Schriften, in den Köpfen der Menschen fort, als in der Stalinstadt das geschah, was man in Wien schon sechs Jahre zuvor tat: Stalins Name verschwand.
Erinnerte dort der Stalinplatz bald wieder statt an den grusinischen Generalissimo an den Generalfeldmarschall Schwarzenberg, viel hier alsbald jeder Personenkult hinten herunter und ein Name wie aus einem Schwermetallguss huldigte dem Industriefortschritt: Eisenhüttenstadt führte die Planstadt des neuen, sozialistischen Menschen, das Braunkohledorf Schönfließ und das kiezige Ackerbürgerstädtchen Fürstenberg/Oder zu einer ganz eigenen, geografisch aber folgerichtigen Melange zusammen. Ob das, was hier zusammen- nicht -wuchs, sondern gelegt wurde, auch zusammengehörte, ist bis heute umstritten. Aber die Partei hatte bekanntlich noch immer recht und das Recht und die Entscheidungsposition, aus der heraus man den Stalins Namen über Nacht aus dem öffentlichen Leben nehmen konnte.
Und die Parteien der Bruderländer taten es gleich. Die Polen und Bulgaren waren etwas schneller und entledigten sich des Ballastes eines solch schwierigen Namens bereits 1956 (Stalinogród wurde Kattowice und Stalin Varna), die Albaner etwas langsamer (1990 wurde aus Qyteti Stalin Kuçovë). Blogkollege Andi Leser hat einmal alle ihm bekannten Stalinstädte dieser Welt in einer Liste zusammengestellt.
Nun fragt man sich heute verständlicherweise, ob denn die Trauer über den Namensverlust bei den Stalinstädtern nicht sehr groß war. Das Ergebnis eines Oral-History-Projektes des Historikers Lutz Niethammer, der einst von einem "byzantinischen Zynismus, die größte Vertriebenenstadt der DDR auch noch nach Stalins Tod auf dessen Namen zu taufen" sprach, weist in eine andere Richtung:
"Den meisten Erbauern der Stadt war der Name "scheißegal", wenn sie dort nur Wohnungen bekamen." (zitiert nach Elke Scherstjanoi: Die Folgen von Stalins Tod für die DDR. In: Zarusky, Jürgen (Hg.) (2006): Stalin und die Deutschen. Neue Beiträge der Forschung. München: Oldenbourg (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Sondernummer). S. 207-216, hier: S. 214)
Daher dürften sich das Entsetzen und die Depression im Herbst 1961 halbwegs in Grenzen gehalten haben, zumal stalinistische Nostalgie auch bzw. gerade in höheren Parteikreisen zu diesem Zeitpunkt sicher nicht das beste Gebot der Stunde war.
Wir, die Nachgeborenen, erinnern an all das mit einem Bild, dass gleich an zwei dahingeschiedene Eigenheiten der ersten sozialistischen Stadt auf deutschem Boden erinnert: der Name, dessen Klang westdeutscher Besucher schon auf der Landkarte acht Jahre lang hat erzittern lassen und die Wurst- und Fleischwarenproduktion, die weit später interessanterweise unter dem Namen "Fürstenberger Fleischwaren" ihr marktwirtschaftliches Heil suchte. Zur Knacker gab es dann eine Eisenhüttenstädter Schrippe aus dem nebengelegenen und ebenfalls vergangenen Backwarenkombinat...
Im Schweinsgalopp zum Sozialismus und zwar bis die Schwarte kracht. In direkter Konkurrenz zum Entwurf Johannes Hanskys konnte sich der Mittelkreis als Stadtwappen allerdings nicht durchsetzen.
P.S. Was den Titel angeht, werden alle Experten auf dem Gebiet der neuen und neuesten tadschikische Geschichte sofort wissen, wie der Hase läuft, hieß doch die Hauptstadt der ehemaligen Tadschikischen SSR bis eben 1961 Stalinabad. Der heutige Namen bedeutet übrigens Montag und wer sich das merkt, kann schon ein Wort persisch. Weihnachten heißt dagegen krismas und wird so كرسمس geschrieben.
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