Ich selbst entsinne mich, an einem Sonntagnachmittag auf dem Dach eines dem Abbruch geweihten Mehrfamilienhauses in der Gubener herumgeturnt zu sein. Mit kindlicher Freude an der erlaubten Zerstörung entfernte ich von einem Schornstein die Ziegelsteine, um sie sogleich durch den senkrechten Schacht zu entsorgen. Der abwärts rasende Stein erinnerte mich an eine Rohrpost, das Geräusch dazu war ein dumpfer, erdiger Ton. Manche Steine verkanteten sich beim Anecken innerhalb des Schornsteins und blieben auf halber Höhe stecken. Ich musste nachhelfen, indem ich einen weiteren Stein hinterher sandte. Dann verdoppelte sich das Geräusch. Wenige Wochen später war der Schornstein samt Haus verschwunden, plattgemacht.
Während ich leider etwas abseits des schönen Ostbrandenburger Landes weilen muss und daher Eisenhüttenstadt momentan nur als festen Fixpunkt der Biografie, jedoch nicht als als Stadt wahrnehme, findet unser hochgeschätzter Leser und virtueller Rohrpostbote Andi Leser Zeit und Muße, in seinem Mono-Logbuch etwas aufzugreifen, was man in der Eisenhüttenstadt-Blogosphäre durchaus häufiger lesen möchte: den subjektiven Blick.
Ebenso wie diese Reflektion ist die Alltagsschilderung von ALex, auf die ruhig weitere folgen dürfen, aus zwei Gründen etwas ganz Wunderbares: Einerseits ermöglicht sie auch über die räumliche Entfernung ein Naherleben der aktuellen Eisenhüttenstadt und andererseits wird das Medium Weblog hier in einer seiner besten Funktionen genutzt - als Notizbuch all dessen, was heute vielleicht banal erscheint, aus der zeitlichen Entfernung aber sicherlich als erstklassige Ergänzung zur Oral History herangezogen wird. Wie sehr sich Weblogs als Dokumentation der Verfasstheit einer bestimmten Jetzt-Zeit eignen, ist heute vielleicht noch gar nicht so erkannt. Wir wissen jedoch darum und halten daher im Heute für die Rückschau von Morgen fest, was geht.
Selbst wenn die vernagelten Wohnblöcke des I. Wohnkomplexes nicht das Schicksal der von Andi Leser geschilderten Alt- und Neubauten in der Gubener Straße teilen sollten, so werden sie sich mit der Zeit verändern. So stellt dieser Schnappschuß aus nicht bestimmter aber naher Zeit ein Dokument dar, was beispielsweise den Birkenstamm auch dann noch in Position hält, wenn der Baum womöglich eines Tages gefällt und gehäckselt sein sollte. Der Mann im Hintergrund ist z.B. schon lange nicht mehr und - wer will das schon sagen - doch immer Mal wieder am Ort. Die buchstäbliche Einmaligkeit des Fotos zeigt sich nicht zuletzt - trotz aller Beliebigkeit in der Reproduktion - darin, dass ein Zusammentreffen von Aufnehmendem, Vorbeilaufendem, der entsprechenden Aufnahmeposition und einem identisch anmutenden Zustand des Ortes sehr, sehr (sehr) unwahrscheinlich ist.
Foto: e.i.h.ü.stiques bei Flickr
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