"Als Eisenhüttenstadt zehn Jahre alt wurde, entstanden hier gleich zwei Objekte der Naherholung: der Rosenhügel an der Diehloer Straße und, ein wenig höher gelegen, in einem wie dafür geschaffenen Talkessel die Freilichtbühne. Seinerzeit für das Massenfestspiel "Blast das Feuer an" von den Einwohnern Eisenhüttenstadts in zehn Wochen geschaffen, ist die Freichlichtbühne heute als Schauplatz vielseitiger Veranstaltungen der Berufs- wie der Laienkunst. Sie wird aber auch - oder hauptsächlich - als Freilichtkino genutzt. Eine 70-Millimeter-Kinoanlage schafft auf der dreiunddreißig Meter breiten, fünfzehn Meter hohen und etwas gewölbten Filmleinwand ein eindrucksvolles Bild in Totalvision, und nicht selten sitzen auf den dreitausend Plätzen fünfhundert Besucher mehr." (Opitz, Helmuth; Bauer, Werner: Eisenhüttenstadt. Leipzig: 1975, S. 23)
In den vergangenen 32 Jahren, die seit dem obigen Zitat durch die Weltgeschichte donnerten, hat sich einiges getan. Nicht nur die Totalvision des DDR-Sozialismus hat sich als Schimäre erwiesen und ist schließlich als kartenhausiger Typenbau am Ende schneller zusammengestürzt, als Peter Kahane seinen hochdeprimierenden Film "Die Architekten" vollenden konnte. Wer den gesehen hat, dem vergeht die Ostalgie aber gewaltig und das breitgetretene Arbeitsplatzargument wird zur schauderhaften Farce. Ob das Scheitern des Daniel Brenner auf der Eisenhüttenstädter Freilichtbühne gezeigt wurde, weiß ich nicht - es scheint mir aber eher unwahrscheinlich, nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache, dass der einzige Film, den ich dort zu sehen das Vergnügen hatte, Michael Bays ziemlich unerträgliche Sci-Fi-Endzeitstory Armageddon war, diese allerdings gut besucht, wogegen die Zahl derer, die Peter Kahanes happy-end- und auch fast happy-moment-freie DDR-Endzeitstory im Kino sahen, vermutlich im unteren vierstelligen Bereich anzusiedeln ist. Beim Nachblättern im Kalender fällt mir also auf, dass die Lichtspielanlage auch gegen Ende der 1990er Jahre noch intakt und im Betrieb war.
Und auch danach gab es regelmäßig Veranstaltungen, wobei vielleicht nicht jedesmal dreitausendfünfhundert Besucher die Sitzreihen füllten. Dreihunderfünfzig aber waren es durchaus z.B. beim flotten Hip Hop-Festival - wann war das eigentlich - mit Spax am Mikrophon und später am Steuer des Volkswagens, der mich vom Berg in die Stadt hinunter fuhr, und Mc Rene, dem leider auch nach seinem Auftritt in Eisenhüttenstadt nicht "immer immer mehr" sondern eher immer
immer weniger zu seinen Shows namens Bernd kamen. Und dann waren da noch die kopsteinpflasterharten Ruhrpott-Jungs von RAG, die sich auf der Bühne zu der ehrfürchtigen Eröffnungsansage hinreissen ließen "Wir dachten, wo wir her kommen, ist es schlimm. Aber im Vergleich hierzu geht es uns ja richtig gut.."
Nun denn, jetzt soll alles schöner und schmucker werden und auch wenn die Bochum-Boys von Filo Joes und Raid es nicht direkt auf die einst von den Subbotniki der Stahlstadt im Rahmen des Nationalen Aufbauprogramms der DDR in den berühmten 270000 freiwilligen Arbeitsstunden zusammengebaute amphitheatralische Anlage selbst bezogen, so wurde auch schon zu diesem Zeitpunkt deutlich, dass sich das freiwillige Aufbauwerk vierzig Jahre nach dem Hüttenfestspiel nicht mehr in der allerrobustesten Verfassung befindet. Nun, weitere sieben Jahre später,
vermeldet die Märkische Oderzeitung, dass dank Stahlwerksunterstützung die Sanierung des Stalinstädter Schmuckstücks ansteht:
Bis Ende Mai ist die Freilichtbühne Baustelle. Passieren soll hier viel: Ausgediente Bänke im Mittelblock der Bühne weichen komfortableren Sitzschalen aus WM-Stadien, die im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2006 ausgetauscht und zu vertretbaren Preisen verkauft wurden - u.a. auch von Hertha BSC. Etwas mehr als 1000 Sitzschalen werden auf der Bühne installiert. Die restlichen Besucher sollen nach Vorstellungen von Stadt und Arcelor auf Sitzkissen, die vor der Veranstaltung verteilt werden, Platz nehmen können. Knapp 3000 Besucher kann die Freilichtbühne fassen - fast wie früher. Besser als früher haben es die Künstler: Die Bühne wird künftig dank einer Überdachung kurzen Regengüssen trotzen. Die Künstlergarderoben und Toilettentrakte werden komplett saniert.
Bürgermeister Rainer Werner spricht von einer "Revitalisierung" und Arcelor-Arbeitsdirektor Rainer Barcikowski möchte gern "an alte Zeiten anknüpfen", was man so oder so lesen kann. Wir lesen es mal so und gehen davon aus, dass die Bühne nicht unbedingt vorwiegend von Agit-Progruppen bevölkert wird, die wissen wollen, wo ich stehe ("letzte Reihe!") und welchen Weg ich gehe ("den Hügel runter und dann weg von hier!"), sondern vielmehr z.B. von der
Oper Oder Spree, die schon Neuzelle zum "
Bayreuth des Ostens" (Waltraud Tuchen) werden ließ. Ein
Donaueschingen des Ostens wäre auch nicht schlecht, aber eigentlich könnte man auch tatsächlich an alte Zeiten anknüpfen und etwas Identifikationsstiftendes anzetteln. Oder einfach ein Sommerfilmfestival mit "Die Architekten" als Eröffnungsfilm unterm offenen Himmelszelt veranstalten. In jedem Fall ist es sehr schön, dass es doch Aufbruchssignale gibt. Was man dann im renovierten Halbrund vor das Publikum zaubert liegt in berühmten städtischen Händen:
Die Auslastung der Freilichtbühne lag und liegt in den Händen der Stadt. Sechs Vorstellungen habe er für 2007 im Auge, sagt Wolfgang Perske, Bereichsleiter Stadtmanagement. Schon am 23. Mai soll die "Russische Märchenkutsche" für die Kinder in den Diehloer Bergen halten. Am 15. Juni, einen Tag vor dem Konzert der Babelsberger Filmmusiker, wird eine Sommerkomödie open air aufgeführt. Weiterhin geplant: eine Musicalnacht (29. Juni), das Jugendspektakel (11. Juli) und die Operette "Die Fledermaus" (22. Juli). Ansonsten will Perske die Freilichtbühne am Rande der Stadt vor allem externen Veranstaltern schmackhaft machen.
Vielleicht kann Wolfgang Perske auch einmal auf den alten Stoff von Till SchleierEulenspiegel zurückgreifen, wo die passenden Karten doch bereits jetzt nicht mehr erhältlich sind. Man kann aber davon ausgehen, dass dem Stadtmanager noch einiges einfällt, abgesehen von Contenance im erwähnten Casus, den immer wieder herauszukramen uns natürlich ein einzigartiges Vergnügen darstellt.
Einen weiteren Bericht, den ich durchaus als positiv bewerten möchte, liefert uns Janet Neiser heute ebenfalls in der
Märkischen Oderzeitung:
"So war - war so die Deutsche Demokratische Republik?" heißt das Projekt im Geschichtsunterricht der 13. Klassen im Eisenhüttenstädter Oberstufenzentrum Gottfried Wilhelm Leibniz, das erstmalig über etwa acht Wochen durchgeführt wurde. Statt Frontalunterricht und Lehrer-Monolog wurden Zeitzeugen befragt und historische Dokumente durchstöbert - vom Pionierausweis, über vergilbte Ausgaben vom "Neuen Tag" bis hin zu alten Speisekarten aus dem Hotel Lunik war alles dabei. Genauso reich wie die Quellenlage war auch der Themenkatalog: "Zwischen Krippenplatz und Kuranspruch", "Wenn der ,Akki' oder der ,Huckel' sprechen könnten" oder aber "Punks im sozialistischen Stadtbild".
Wenn "Akki" und "Huckel" sprechen könnten, gäbe es ganz sicher ein heftiges Wehklagen darüber, wie früher alles schön war und wie nach 1990 die Welt in sich zusammenfiel. Das kennt man auch von anderer Seite, genauso wie das verkrampfte Distanzieren von aller Vergangenheit, was sich nun aber so langsam zugunsten einer differenzierteren Sicht aufzulösen scheint. Wenn die "letzten DDR-Kinder" mithilfe solcher Projekte für das Wurzelwerk ihrer Stadt sensibilisiert werden, ist das hoch begrüßenswert. Vielleicht lernen sie dann auch, wie fragil scheinbar unumstößliche Versprechen sind:
"Rote Brigaden von Stalinstadt
schmelzen dann neuen Rekord,
bis diese Welt keine Waffen mehr hat
darauf unser Wort!"
Der Plan war wohl selbst mit frisierter Statistik nicht erfüllbar. Und auch hier ging die Umsetzung des Konzepts etwas daneben:
"Erze und Hirne, sie werden entschlackt!
Gut wird das Leben bestellt sein.
Vorwärts, Genossen, und mit angepackt!
Sauber soll die Welt sein!"
Womit sich die Hochöfner wohl heute durch ihre Abende singen?
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