Von einem Tauchgang in das Deep Web Eisenhüttenstadts ist eine Seite mit an die Oberfläche gelangt, die man so vielleicht gar nicht auf der Linkliste hatte, die aber natürlich hochrelevant für uns ist: www.erste-sozialistische-stadt.de.
Dahinter verbirgt sich eine kleine, offensichtlich private Dokumentation der dem Stadtumbau geschuldeten Veränderungen im Stadtbild Eisenhüttenstadts, allgemeine Erinnerungen an die DDR und eine knapp umrissene Stadtgeschichte. Bis es im Mahlstrom unseres Blogs wieder einmal wirklich tost und strudelt, kann man sich hier also durchaus einmal durchklicken. Sonst natürlich auch.
Auf www.erste-sozialistische-stadt.de kann man noch die Straßenecken entdecken, die längst wieder als märkische Streusandbüchse ins Kornfeld der Stadtschrumpfung geworfen wurden. Und die Seite ist obendrein ein Gegenbeispiel zu dem weit verbreiteten Vorurteil, dass die Eisenhüttenstädter ihr Umbau-Schicksal eher indifferent, in jedem Fall schweigend und ohne Anteilnahme ertragen. Man kann sich sicher sein: Der Webmaster der sozialistischen Stadt aus der Platanenallee ist bestimmt nicht der Einzige, der wahrnimmt, aufnimmt, erinnert und dokumentiert. Mal sehen, womit uns die Tiefenrecherche noch überrascht..
Und da wir schon einmal bei Fundstücken sind: Was vielleicht nicht jeder weiß, ist, dass sich auch der Komponist Heiner Goebbels, der mit seinen Surrogate Cities gezeigt hat, wie Stadtraumklang so klingen kann, indirekt zu Eisenhüttenstadt geäußert hat. Dies geschah in der ersten Ausgabe der Zeitschrift "Theaterschrift" des Hebbel-Theater. Das Heft erschien im März 1992 unter dem Leitthema Beyond Indifference (Jenseits der Gleichgültigkeit), was als Motto ja auch ganz gut mit dem Anliegen unseres Weblogs harmoniert, und Heiner Goebbels bezieht sich in einem dort abgedruckten Interview auf den Film Eisenzeit (sh. auch hier):
"Ich habe gerade einen Film gesehen, 'Eisenzeit' von Thomas Heise. Das ist ein Dokumentarfilm über die erste sozialistische Stadt in der DDR, die erste Neugründung 1950 mit dem Namen 'Stalinstadt', sie wurde dann umbenannt in 'Eisenhüttenstadt' und war im wesentlichen eine Stahlwerk-Stadt. Der Filmemacher hat versucht, vier Biographien von Jugendlichen, die nicht angepaßt waren und versuchten, in dieser schrecklichen Kleinstadt zu Rande zu kommen, zu verfolgen und zu filmen. Das wurde ihm natürlich nicht gestattet innerhalb der DDR, und er hat es dann auf eigene Faust nach dem Zusammenbruch gemacht. Von den vier Jugendlichen hatten zwei sich schon das Leben genommen. Die beiden andern leben in Westberlin. Am erschreckendsten für mich waren eigentlich die Gesichter der Eltern, die er interviewt hat. Etwas, was sehr viel zu tun hat mit der 'Wolokolamsker Chaussee Teil V', der Findlingsgeschichte bei Heiner Müller. Zum ersten Mal dachte ich, was ich bisher für ein antikommunistisches Klischee hielt, daß die DDR tatsächlich viele faschistische Strukturen hinübergerettet hatte. Daß es tatsächlich für eine ganz bestimmte Schicht von Arbeitern oder Befehlsempfängern überhaupt keinen Bruch gegeben haben kann vom Faschismus zum Beginn der DDR, wo nicht einmal das Vokabular ausgewechselt werden mußte. Und das kann man sehen an den Gesichtern, an der Art, wie die Eltern über ihre Söhne, die sich umgebracht hatten, reden, welche Ansprüche sie an Gehorsam und Anpassung stellen. Und es war auf extreme Weise erschreckend, weil man gesehen hat, daß sich da überhaupt nichts getan hat, also nicht einmal jetzt, wo die Söhne tot sind. Das ist dieser Gegensatz, dieses plötzliche Verschwinden von Biographien, aber auch diese betonierten Kontinuitäten, die ohne Übergänge funktionieren."Den ganzen Text gibt es auf der Website des Komponisten.
Kommentare