Im eher Wahlfahrt-verdrossenen Weblog politplatschquatsch (bzw. der readers-edition) bekommt die kurze Stahlwerkserinnerung, die die Wahlfahrer Jens Christian Kage und Ulrike Steinbach während des kurzen Wahlfahrt '09-Aufenthaltes in Eisenhüttenstadt aufnahmen, das Prädikat "etwas abgestanden".
Wir würden sie dagegen als solide bezeichnen. Natürlich erschüttert der 2 Minuten 30-Clip weder Erdkreis noch Stadt. Er sammelt vielmehr einen kleinen, authentischen Splitter Eisenhüttenstädter Oral History auf und konserviert ihn auf einer Videoplattform. Als solcher ist er in jedem Fall sehenswert und soll an dieser Stelle kurz seine Erwähnung und hypertextuelle Verknüpfung finden: WAHLFAHRT09 Hochofen EISENHÜTTENSTADT.
Man muss nicht so bitter reagieren, wie die politplatsch-blog gewordenen Mailingliste "platform for multi-sensual arts, politics and sordid humor" ("Sehenswertes oder Interessantes aber hat Deutschland den Recherchen des
ost-westdeutschen Journalistenteams zufolge derzeit nicht zu bieten") oder der Spiegel Leser und Kommentator mapau ("Leider bedient der Artikel das Klischee der ehemals sozialistischen Vorzeigestadt, mit Einwohnern die den alten Zeiten hinterher hängen nur zu gut. Man kann Menschen auch Motivation und Hoffnung nehmen, in dem man Ihnen einredet das alles schlecht ist."), wenn man sich vor Augen führt, was solch ein Projekt zu leisten im Stande ist: Zwei Tage in einer Stadt, mit der die Teilnehmer der Wahlfahrt zuvor so gut wie nichts zu tun hatten, lassen nicht mehr als einen subjektiven und meist oberflächlichen Blick zu. Man kann ein wenig die allgemeine Stimmung auf den Straßen - und zwar nur die eines sehr schmalen Zeitfensters - wirken lassen. Man nimmt - um im Bild zu bleiben - einen schnellen Abzug (=Cliché). Das Herausarbeiten differenzierter Geschichten ist bei diesem Schnappschuss- oder besser Sofortbild-Journalismus nicht umsetzbar. Darüber, ob die Ochsentour von 20 Städten in 50 Tagen sinnvoll ist, lässt sich sicherlich streiten und zwar am Besten nach Abschluss der Rundreise. Jedoch spricht zunächst wenig dagegen, es einmal zu versuchen.
In Bezug auf Eisenhüttenstadt ist die wahrnehmbare Oberfläche an einem August-Montag/Dienstag nunmal durch das gekennzeichnet, was in dem SPIEGEL-Artikel zusammenkommt. Dass die Überschrift "Politikfreie Zone an der Eisenhütte" eine unsinnige Zuspitzung ist, zumal mit dem ungeschickt mehrdeutigen und pejorativen Wort "Zone", setzt man als SPIEGEL-Online-Kenner mehr voraus, als dass man sich wundert.
Selbstverständlich bemüht sich die Kurzreportage gar nicht erst um Objektivität, die für solche Inhalte weder gewünscht noch aus diesem Kontext herum umsetzbar ist: Das Medium formt die Message. Der SPIEGEL weiß, was er drucken möchte und wie es auszusehen hat. Es sind in diesem Fall die Simple Stories, die buchstäblich auf der Straße liegen, sitzen, flanieren. Oder im "Hier Hair". Im Anschluss werden Eindrücke und - ebenso zugespitzte Zitate - einer bestimmten Dramaturgie folgend zusammengestellt, was dann unweigerlich in der Abenddämmerung über den Hochöfen am Ende der Lindenallee endet. Wer sich davon jedoch Motivation und Hoffnung nehmen lässt, hatte schon vorher keine. Zumal in diesem durchaus realitätsnahen Text eigentlich gar kein Anlass dafür gegeben ist. "Na man muss Optimist bleiben in dieser Stadt" - nichts spricht dagegen.
Medienkompetenz auf der Leserseite setzt nicht zuletzt voraus, dass man die Verarbeitungspraxis des Journalismus mitliest. Bei einer Publikation wie dem SPIEGEL und SPIEGEL online fällt das interessanterweise oft fast noch leichter, als beim Lokaljournalismus der Märkischen Oderzeitung. Wie interessant und sehenswert dieses (dargestellte) Deutschland ist bzw. ob man dem Artikel - wie mapau - nicht oder doch folgen möchte, lässt sich nicht absolut beantworten. Aber man kann nichts Mitreißendes erwarten und man kann auch keine Differenziertheit einfordern, wo es dem Beobachter partout nicht begegnen will. Politquatschpatsch und jeder andere Leser irrt, wenn er meint, dass das Land so tickt, wie auf www.wahlfahrt09.de oder SPIEGEL online dargestellt. Die Berichterstattung der Wahlfahrt '09 und von SPIEGEL online tickt so. Das Land tickt z.T. auch so. Es tickt aber auch ganz anders.
"Klar hat es wehgetan, als mein Ofen 4 demontiert wurde."
Die obige Aufnahme aus dem Bundesarchiv wurde ein reichliches Jahr zuvor am Namensgebungstag der Wohnstadt, dem 07.Mai 1953, so gegen 10 nach Vier fotografiert. Irgendwo vermutet die Bildbeschreibung des Fotos von Horst Sturm den Hochofen V im Bau. Wir bewundern eher die völkerverständigende Bedruckung des Kopftuchs der jungen Mutti im Vordergrund und weisen nebenbei darauf hin, dass die Fotografie den Buchstaben K enthält und damit ein formales Kriterium für den aktuellen Eisenhüttenstadt-Blog-Bildwettbewerb erfüllt.
Bildquelle: Bundesarchiv/Wikimedia-Commons (CC-BY-SA)
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