Kopenhagen liegt auch im Jahr 2008 noch nicht ganz um die Ecke. Es sei denn, man steht in Gentofte. Für Eisenhüttenstädter bedeutet der normale Ausflug in die dänische Hauptstadt bei guter Bahnverbindung einen Aufwand von etwa dreieinhalb Stunden: Man fährt mit dem RE 1 bis Berlin-Ostbahnhof, steigt dort entweder in den Airport-Express oder in die S-Bahn nach Schönefeld, läuft dort zum Flughafen-Terminal, stellt sich am Easyjet-Schalter an, geht durch die Kontrolle zum Gate, hebt für 35-45 Minuten ab und landet in Kastrup und nimmt vom Untergeschoß den Vorortzug aus Malmö bis zum Kopenhagener Hauptbahnhof. Das ist keine große Sache und wenn man rechtzeitig bucht, kostet diese Reisevariante auch nicht viel.
Im Mai 1990 war das etwas anders. Damals musste man bereits allein für die Fahrkarte nach Norden ein Stück nach Norden fahren, nämlich - gut sichtbar am Stempel - nach Frankfurt/Oder. Dann zurück nach Eisenhüttenstadt, ein paar Tage später das Gepäck geschultert und wieder in den Zug nach Frankfurt und dann Berlin und dann via Berlin-Waren-Rostock-Warnemünde-Fähre-Gedser-Nykøbing bis Kobenhavn, wie es auf dem Fahrschein vermerkt ist.
Das liest sich schnell, aber die Zeit im Zug vergeht nunmal wie im Zug und 1990 waren die Züge der damals noch Deutschen Reichsbahn nicht ganz im Interregio-Tempo unterwegs. Ebenfalls anders als heute, wo Kopenhagen fast schon ein Nahziel zum wochenendlichen Einkaufsausflug darstellt, war die Aufregung derer, die da reisten. Denn noch ein halbes Jahr zuvor war eine solche Reise bestenfalls knapp denkbar, ein dreiviertel Jahr vorher war das "Lager für Erholung und Arbeit" in Gusow noch das nördlichste der Eisenhüttenstädter Schülerreiseziele. Und im Sommer vielleicht nach Usedom. Oder Kap Arkona. Aber nördlicher ging es wirklich nicht. Insofern ist der Fahrschein, der neulich aus einem alten Hefter rieselte, durchaus kein allzu gewöhnliches Alltagsdokument, besonders da die Reise noch in Mark der DDR bezahlt wurde. Heute kostet die Fahrt (über Hamburg) übrigens in der 2. Klasse ohne Bahncard 141,20 statt 144,20 - allerdings in EURO. Und nur hin. Allerdings mit Die Bahn statt Reichsbahn, im ICE (teilweise). Der Flug ist ab ca. 20 EURO zu haben. Ohne Bahnfahrt.
Die Fahrkart' zur Freude.
Die Stadt Søren Kierkegaards lag immerhin im kapitalistischen Ausland und in dieses aus der DDR zu reisen, war 1990 alles andere als eine Selbstverständlichkeit, sondern eine faszinierende Neuerung, noch faszinierender sogar als die Tatsache, das in der Kaufhalle des WK V plötzlich das Herrenmagazin lui an der Kasse zum Verkauf lag. Bei einem Umrechnungskurs von 1 DM=6 Mark der DDR war diese aber bei relativ hohen Einstiegs-Westpreis alles andere als ein Schnäppchen und ohnehin außerhalb unserer Altersklasse, die sich stattdessen jeden Donnerstag bemühte, die 12 DDR-Mark für die neue Bravo aufzutreiben und dann natürlich das Heftl selbst, welches gerade in einer Kaufhalle gegenüber einer Schule auch zu diesem Zeitpunkt noch ein knappes Gut war.
Immerhin: die Bravo gibt es auch heute noch, nur liegt sie jetzt im Regelfall von Donnerstag bis Donnerstag bereit. Die Kaufhalle ist mittlerweile verriegelt und verrammelt und was lui angeht, war das Magazin für den modernen Mann (im Original: le magazine de l'homme moderne) zwei Jahre später vom deutschen Markt verschwunden. In Frankreich bekommt man heute wieder ein Magazin dieses Namens, das allerdings den für eine durchaus pornografisch zu nennende Publikation etwas wohlmeinenden bis scheinheiligen sich in sich reimenden Zusatztitel "le charme des filles d'aujourd'hui" führt. Trotz des Schwenks von Mann zu Mädchen ist die Zeitschrift mehr denn je ein Herrenmagazin, aber das hat mit der Fahrkarte nur deshalb etwas zu tun, als dass die Fahrt nach Kopenhagen die Initiation in die Welt der Schund- und Herrenmagazine (in ein paar Zeitungsläden hinterm Bahnhof) mit einschloß. Natürlich war das Tivoli eindrucksvoller...
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