Fotopostkarten sind für Eisenhüttenstadtenthusiasten wie uns immer ganz besondere Kostbarkeiten, denn diese trivialen Gegenstände des Kommunikationsalltags transportieren viele kleine Zeichen, die Rückschlüsse auf die Stadtvergangenheit und ihre soziokulturelle Geschichte zulassen.
Zusätzlich zu den Aussagen, die sich aus der Motivauswahl (was auch für andere Auftragsfotografie zutrifft) ergeben, über die sich ermitteln lässt, welche Aspekte und welche Perspektive zum Aufnahmezeitpunkt als abbildenswert und - im Falle des Postkartenmotivs - als angemessen für eine Grußbotschaft galten, kann man u.U. aus den abgebildeten Details wunderbar - zugegeben nur ausschnitthafte - Rückschlüsse auf die Atmosphäre des dargestellten Ortes ziehen.
Das hier und heute präsentierte Exemplar stützt diese These mustergültig.
Abgebildet findet sich auf der nicht-datierten Ansichtskarte der Teil der querlaufenden Grünachse, die von der Karl-Marx-Straße bis Fritz-Heckert-Straße die mehr oder weniger heimliche Ost-West-Dominante des II. Wohnkomplexes darstellt. Das Bild zeigt den östlichen Hof, am linken Bildrand findet man 3 der 5 Hausdurchgänge zwischen Allee und Hof. Dem relativ spärlichen Bewuchs der Anlage nach zu urteilen, entstand die Aufnahme recht kurz nach Fertigstellung - also irgendwann in der Mitte der 1950er Jahre. Da die Karte noch beim VEB Volkskunstverlag Reichenbach i.V., der meines Wissens 1958 oder 1959 in VEB Bild und Heimat umbenannt wurde, aufgelegt wurde, lässt sich der Zeitrahmen sogar ein bisschen mehr eingrenzen. Die Kleidung der abgebildeten Personen sowie die Ausleuchtung und der Schattenwurf verweisen zweifelsfrei auf einen Sommer(nachmit)tag, Drei Details des Bildes sind für mich derart markant, dass ich sie hier noch einmal gesondert abbilden möchte.
Zum einen ist dort das Spielpferd im Sandkastenbereich des offenen Hofes. Es weißt eine meiner Meinung nach im Vergleich zum architektonischen Umfeld eher abweichende Formgebung auf und ist damit ein kleiner zufälliger Kontrastpunkt zu der streng strukturierten Raumgestaltung. Eine persönliche Erinnerung an das Objekt habe ich nicht und nehme an, dass es schon lange vor meiner Zeit der kindlichen Stadteroberung, die etwa auf die Mitte der 1980er fällt, abgebaut wurde. Wer mehr zu diesem Spielgerät weiß, bitte als Kommentar posten.
Der zweite Einzelaspekt, der mir ins Auge fiel, ist die Kindergruppe, bei der es sich - so meine Vermutung - um fortgeschrittene Kindergartenkinder oder jüngere Hortkinder handelt. Die - offensichtlich - drei Mädchen und zwei Jungen haben wie es scheint den Fotografen entdeckt und begegnen ihm halb verlegenden, halb freundlichen Blickes. Eine nette Einzelheit stellt auch der Roller, den der Junge links außen mitführt, dar, dem man sich sehr gut in knallrot vorstellen kann.
Einige Meter hinter der Kinderreihe folgt, den Rücken durchgestreckt und die Hände hinter diesem verschränkt, die Betreuungsperson mit hochgestecktem Haar, Bluse und recht kurzem Rock. Ob sie den Fotografen wahrgenommen hat und ignoriert oder ob sie ihn noch nicht entdeckt hat, bleibt offen. Erstaunlicherweise ist ihr Blick nicht auf die Kinder, sondern auf ein Objekt rechts von diesen gerichtet. Dies könnte z.B. der Spielplatz mit dem Holzpferd und der Wippe sein. Möglicherweise fixiert er aber auch etwas jenseits des Aufnahmefeldes und weist damit aus dem Bild hinaus.
Heute ist der Innenbereich des Wohnquartiers ein grüner Ort der Stille, den man, befänden sich nicht alle Höfe rundherum in einem Zustand grüner Durchdringung, als eine Oase mitten in der Steinwüste bezeichnen könnte. Zwei der drei direkt bebauten Seiten stehen dabei leer und warten auf die Generalüberholung, die dritte - unten im Bild - ist dagegen mit noch recht frischer Tünche und neuen Fenstern ein Riegel der Wohnlichkeit im sonst eher menschenarmen Quartier, wobei die Bewohner der dortigen Wohnungen den dichten Baumbestand auch sicherlich sehr gern mögen, da er den gegenüberliegenden Geisterblock nicht ganz so direkt ins Blickfeld zwingt.