Jede Stadt hat sie, kaum eine Stadt zeigt sie (gern): ihre öden Orte. Durchgangsräume, verlassene Ecken, aufgegebene Objekte - gerade in einer schrumpfenden Stadt wie Eisenhüttenstadt, findet sich eine erquickende Vielfalt von stadträumlichen Ensembles, die hauptsächlich eines sind: desolat. Grob gefiltert lassen sich drei Kategorien feststellen:
Als erste gelten solche Orte, die einstmals anders geplant als Hort der Stadtlebendigkeit errichtet wurden, also in der Zielstellung ihrer Planung und Umsetzung Ausdruck eines Willens zur Stadtgestaltung aufweisen. Durch den - manchmal nicht ganz freiwilligen - Rückzug des Menschen, wie ihn der hiesige Stadtumbau nun einmal mit sich bringt und fehlender Nachgestaltung stürzt dieses Gefüge erstaunlich schnell und unter Mitwirkung der üblichen Indifferenz mittelalter Müllablagerer, Altmetalldiebe und jugendlicher bzw. Kind gebliener Steinewerfer aller Altersgruppen in sich zusammen. Hier bietet Eisenhüttenstadt vielfältige Beispiele und als besonders prominent erweist sich wiederum der verschwindende VII. Wohnkomplex.
Als zweite Kategorie gelten Raumgestaltungen, die relativ frisch erbaut einen bestimmten Zweck erfüllen sollen, aber stadträumlich derart unglücklich wirken, dass eine Raumnutzung zwar notgedrungen erfolgt, aber sich kein städtisches Leben erzeugen lässt.
Die Spannbreite dieser öden Orte reicht von den Supermarktparkplätzen bis hin zu den ohne einen Funken öffentlichen Raum geplanten Eigenheim-Suburbias. Auch wenn hier die Fassaden frisch gestrichen sind, weisen gerade die dichten Hecken und die spitzen, schmiedeeisernen Zäune an den Privatstraßen darauf hin, dass hier Exlusivräume gepflegt werden, die das Fremde, die ungewohnte Begegnung, wie sie öffentlicher bzw. Stadtraum als Kernmerkmal beinhaltet, möglichst absolut auszuschließen versuchen. Temporär mag sich hier selbstverständlich Leben einstellen, aber es ist funktional und vor allem auf Privatheit orientiert. Niemand - abgesehen vielleicht von drei Anwohnerenkeln - wird die Heinrich-Collina-Straße als Begegnungs- und Aufenthaltsort nutzen.
Ebenso sind die leeren - nicht immer leergefegten - ausufernden Parkplatzanlagen der Einkaufsorte dieser Stadt sind außerhalb der Geschäftszeiten weitgehend toter Raum, was von den Geschäftsleitungen auch so gewünscht ist, sind solche Flächen doch ihrer Zweckbestimmung sehr eindimensional: Eine Funktion über die Parkfläche hinaus erfüllen diese Hektar Stadtraum nicht. Wenn man Glück hat, sind sie rollschuhfreundlich gepflastert und der Wachdienst schaut auf entsprechende Nutzungsimprovisation nicht allzu streng. Manchmal gibt sich das Einkaufszentrum auch generös und stellt die Fläche für eine Monster-Truck-Vorführung oder ein Straßenbasketballturnier zur Verfügung. Aber selbst dann handelt es sich um Exklusivräume, die im Gegensatz zum öffentlichen Raum jederzeit und absolut vom Eigentümer in Hinblick auf gewünschte Nutzungs- und Begegnungsformen grundsätzlich reguliert werden können.
Gerade an dieser Abgrenzungsmentalität erzeugt sich der Widerspruch und eine seit 1990 entstehende interessante Ambivalenz im Eisenhüttenstädter Stadtraum. War die Stadtanlage - selbst im WK VI und WK VII grundsätzlich offen auf einander nach den jeweiligen Bedingungen abgestimmt umgesetzt und erschien deshalb als manchmal etwas disharmonisches aber immer folgerichtiges Gesamtwerk, in der mit der Werksiedlung sogar die kleinparzellige Eigenheimkultur eine Nische zugewiesen bekam, die von der Anlage auf die Stadtstruktur angepasst war, so zerfasern und irritieren die neuen Privaträume - z.B. das City Center und die m.E. völlig misslungene Ladenzeile im Norden der Lindenallee - und auch teilweise die Abrisse das Gefüge, da ihre Anpassung den angrenzenden Stadtraum nur nach Minimalansprüchen erfolgt. Ansonsten ist fast alles, was nach 1990 in der Stadt entstand nicht nur architektonisch ausgesprochen anspruchsarm. Die schlichten Zweckbauten der Autohäuser und Supermärkte sowie der Fertighäuser stehen dabei also beinahe in der Tradition der Massenbaukultur der späten DDR: Man findet wenig anderes Typenbauweise - der Unterschied liegt in der Art und Weise der Konzeption (nicht unbedingt in der Güte) und in der Finanzierung. Bis auf wenige Ausnahmen erweist sich der Stadtraum Eisenhüttenstadt allerdings erstaunlich kompakt und - wie das Beispiel der gescheiterten Nachnutzung der Schule im WK V als D+S europe Call Center zeigt - im Bestand schwer für Privatnutzung vermittelbar. Der Abriss bleibt dank des Denkmalschutzes kaum eine Option, obschon die - in privater Hand befindliche - ehemalige Kaufhalle im WK V aufgrund der üblichen Mitarbeit der Stadtvandalen ein heißer Kandidat sein dürfte. Privatwirtschaftlich nutzbar ist sie anscheinend nicht und für die Discounter-Könige ist Neubau allemal attraktiver und billiger als der Umbau in dieser ohnhin parkraumarmen Gegend der Stadt.
Die dritte Kategorie der öden Orte harmoniert mit dem Vorangegangen ein wenig. Sie bezieht sich auf Orte die von vornherein anspruchslos und zweckorientiert umgesetzt wurden und für die auch keine sonderlichen Nachgestaltungs- bzw. Erhaltungskonzepte existieren. Ein Beispiel sind die nach wie vor üppigen Garagenkomplexe, die neben den Kleingärten die eigentliche Form des Vorstadtlebens in Eisenhüttenstadt darstellen. Mehr oder weniger als Notlösung für den DDR-Bürger geschaffen, der weitaus weniger vom Privateigentum lassen wollte, als das sozialistische Gesellschaftskonzept vorsah, wurden diese tausenden PKW-Stellräume an zumeist möglichst peripheren Lagen zu Tausenden errichtet. Allen diesen Anlagen ist - u.a. auch mit den meisten Parkplätzen, wie man sie heute baut, dass sie keinerlei gestalterischen Anspruch über die Funktion hinaus besitzen. Stadträumlich sind sie fast ausnahmslos banal und mittlerweile häufig - vergleiche Kategorie eins - auch in der Nutzung verlassen, so dass das Kollektiverlebnis des Autowaschens am Samstag auch aus kulturellen Handlungsspektrum der Eisenhüttenstadt-Bewohner verschwunden sein dürfte. Manchmal kurvt tatsächlich noch einmal jemand zwischen den Reihen der Garagentore herum - nicht selten jedoch nur, um etwas Sperrmüll loszuwerden. Zur lokalen Massenkultur gehört der Traum von der Garage am Stadtrand aber sicher nicht mehr. Das daraus folgende Problem, wo die automobile Stadtgesellschaft in den parkflächenarmen frühen Wohnkomplexen, die nun nach der Sanierung wieder Einwohnerzuwachs verzeichnen, ihre Fahrzeuge wohnraumnah abstellen kann, wird womöglich eines der Kernprobleme für die Stadtentwicklung. Man hofft inständig auf eine gewisse Sensibilität, die der lokalen Bürgerschaft das Zugeständnis eines etwas weiteren Weges zum Fahrzeug abnötigt und stattdessen die Grünachsen weitgehend grün belässt. Bislang ist glücklicherweise in dieser Hinsicht wenig zerstört.
Die heutige Illustration zum Thema greift nun eine Ecke dieser schmucken Garagenkomplexe aus der Masse des im Alltag Übersehenen heraus und demonstriert deutlich, dass selbst - oder gerade - die ödesten Nischen der Stadtstruktur, dank dessen, was man "Eigensinn des Raumes" nennen kann, ästhetisch durchaus interessante Konstellationen hervorbringt.
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