"Stimmung, Jux und Mentzel", damit war es zuletzt - und dieses zuletzt umfasst lange Jahre - nicht weit her am "Musikantenschuppen", der den Endpunkt in der Nutzungsgeschichte des einstigen Haus der Gewerkschaften markierte. Das erschreckend dilettantisch an die Wand gemalte Konterfei von Oliver Kalkofes Lieblings-Ostdeutschen ist denn auch das Bemerkenswerteste, was die zur Ruine aufgegebene Liegenschaft verspricht. Haben mag sie keiner mehr, geschenkt wäre noch zu teuer. Nun wird sie Bestandteil der diesjährigen Stadtbereinigung und abgerissen, wie die Märkische Oderzeitung heute unter Vermeidung des Wortes "Schandfleck" meldet: Der "Schuppen" wird abgerissen. Auf die Musikkultur wird laut Kreisplanung Körperkultur folgen, denn der freie Platz wird wohl als Turnhallenstandort des naheliegenden Oberstufenzentrums genutzt. Dort freut man sich denn auch bereits zeitlich diesseits der neuen Sporthalle:
Doch schon die Nachricht vom Abriss hört man im OSZ gern. "Der Schuppen war wirklich eine Zumutung. Und für unseren Standort als moderne Bildungseinrichtung kein Aushängeschild. Gut, dass er wegkommt", sagte die stellvertretende Schulleiterin Ute Tupy in einer ersten Reaktion.
Aber er war immerhin mahnendes Signum ostbrandburgischer Realitäten mit all der typsichen Glücksritterei, die davon ausgeht, dass man mit so gut wie keinem Geld und einer Schnapsidee in einer über weite Strecken kaufkraftbefreiten Zone über die Runden kommt. Dem Durchschnittseisenhüttenstädter, so ein nicht immer verkehrtes Klischee, langt nun einmal das gratis Vergnügen, das ihm das jährliche Stadtfest bietet. Ansonsten mag er es eher ruhiger und verzichtet beim klassischen Dreischritt "Wein, Weib und Gesang" auf das erstere nicht unbedingt, auf das zweitere oft zwangsläufig (Stichwort: Überproportionale Abwanderung der hochgebildeten jungen Frauen) und auf das letztere ohnehin. Was will er also mit "jedem Samstag Live-Musik", wie es nach wie vor am Schuppentore steht?
Es gibt wohl keinen Kulturunternehmer, der über kurz oder lang mit seinem Unterfangen in Eisenhüttenstadt nicht baden ging. (Ausgenommen natürlich die Stadtfestprofis von artecom, aber die werden auch nicht von Bürgern direkt sondern vom Bürgermeister in Vertretung bezahlt.) Wofür der Musikantenschuppen also neben vielen anderen Beispielen auch steht, ist die Tatsache, dass es in dieser Ecke Ostbrandenburgs einen differenzierten Markt, wie ihn die Marktwirtschaft erfordert, nicht gibt und vermutlich nie geben wird. Da es allerdings keine Alternativform gibt, bleibt diese postsozialistische Welt eine Pseudomarktwirtschaft, in der Marktbedingungen auf geringem Niveau simuliert werden, aber eben ein selbst nicht tragfähiges Kunstprodukt bleiben. Eine Stadt wie diese kann nur über permanente Förderung von außen leben. Das zeigt in gewisser erfreulicher Weise, dass das Raubtier Kapitalismus noch immer nicht derart scharfkrallig ist, die Region einfach nur auszuweiden und dann abzuschließen. Aber für das, was die Väter der Marktwirtschaft sich irgendwann einmal ausgedacht haben, ist eine sozialistische Planstadt wie Eisenhüttenstadt schlicht nicht gedacht und strukturell nicht geeignet.
ist in jedem Fall ‘ne ganze Menge wert)
Einschlaggebend und für die Unvermittelbarkeit ausschlaggebend war sicher auch die Tatsache, dass egal um welches Objekt es sich handelt, der Zerstörungssinn gewisser Menschen immer nur einen Steinwurf entfernt liegt.
Die beste nachwendliche Nutzungsperiode des Kulturhauses nahe den Sportanlagen der Hüttenwerker fällt wohl in die mittleren 1990er Jahre, als sich im Technotempel "Spektrum" nicht nur ein bemerkenswertes Spektrum progressiv tanzender junger Menschen aus der ganzen Region zusammenfand, sondern diesen dort auch das gesamte Spektrum chemischer Drogen zum Sofortkauf verfügbar war. Solch eine subkulturelle Schwalbe hält selbstverständlich selten mehr als einen Sommer durch.
Insgesamt lässt sich am Beispiel dieses Kulturhauses ablesen, dass eine Handvoll Eigentümerwechsel genügen, um jedes Gebäude abrissreif zu bekommen.
Weitere Geschichten, die das Stadtgespräch diese Woche bestimmen sollten, sind die neue Aufstellung im Schulentausch sowie und besonders hervorzuheben, der Artikel von Janet Neiser über das nicht nur weitgehend vergessene/verdrängte, sondern auch noch mit Müll drappierte Waldstück, in dem sich einst das Kriegsgefangenenlagers Stalag III B befand:
"Das macht einen wirklich schlechten Eindruck", ärgert sich Museumsleiter Hartmut Preuß. Denn hin und wieder gibt es tatsächlich Anfragen von Angehörigen ehemaliger Gefangener - beispielsweise aus Frankreich oder Holland -, die sich das Areal anschauen möchten.
Bei einem weniger geschichtsvergessenen Völkchen wäre der Eindruck auch ohne die zusätzlich Begründung schlecht, dass womöglich ein Franzose oder Holländer schlecht über den Umgang der Stadt mit dem Areal redete. Und zwar sich selbst und dem, was man Anstand oder auch Selbstachtung nennt, gegenüber. Aber hier benötigt man anscheinend die Rechtfertigung eine beeinträchtigten Außenwahrnehmung um aktiv zu werden. Diese Selbstdefinition über ein Außen bleibt also nach wie vor und scheinbar unumstößlich das zentrale Leitmotiv der (nicht funktionierenden) Identitätsbildung in Eisenhüttenstadt. Daher - nämlich im Vorgriff auf die Wünsche imaginärer Investoren - hatte man vor einigen Jahren wenig Skrupel, in ein paar bis heute völlig nutzlose Asphaltdecken über dem Vorhof zum Lager zu investieren, anstatt - oder wenigstens zusätzlich - eine Hinweistafel zu finanzieren. Das soll sich nun ändern. Doch auch hier erfolgt das Handeln der Stadt durch den Vergleich mit anderen motiviert:
Nach Angaben von Wolfgang Perske, Bereichsleiter Stadtmanagement, müsse man das Areal nicht nur aufräumen, sondern wolle auch eine Informationstafel mit Lagerplan aufstellen. "Das soll noch in diesem Jahr geschehen", so Perske. In anderen Städten, in denen es solche Kriegsgefangenenlager oder Kriegsgräber gab, ist dies längst geschehen - beispielsweise in Luckenwalde oder im polnischen Gebice (damals Amtitz).
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