Welche Rolle soll der Alltag in der Erinnerung an den zweiten deutschen Staat spielen? Steht ein Akzentwechsel an, weg vom Ministerium für Staatssicherheit und der Mauer, statt dessen hin zum "normalen Leben"? Dafür setzen sich prominente frühere DDR-Dissidenten wie Joachim Gauck, Ulrike Poppe oder Richard Schröder ein. Oder wäre genau das eine Verharmlosung der SED-Diktatur? Würde dann eine Art "DDR light" die Erinnerungskultur prägen? Das befürchten zum Beispiel Hubertus Knabe von der Gedenkstätte Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen und die vom Politbüro 1988 ausgebürgerte Schriftstellerin Freya Klier. Beide lehnen einen Paradigmenwechsel ab, weil das Typische der DDR eben der Repressionsapparat war. (WELT Online, 17. Juli 2006)Wie sich die Meldungen ähneln! Vor etwas mehr einem Jahr wogten die Wellen des Protestes angesichts der Eröffnung des DDR Museums schräg gegenüber der Republikpalastruine mächtig hoch. Und nun stürmt es wieder angesichts des Ostels am Berliner Ostbahnhof, ein paar 100 Meter von der ehemaligen Stalinallee entfernt, also dort wo Ostberlin ganz Osten ist. Und wieder wird das Protestspiel in nahezu gleicher Besetzung aufgeführt:
Böse Zungen behaupten, dass es sich bei den Protestnoten gegen eine kommerzielle Aufmischung historischer Angelegenheiten irgendwie vor allem um Kämpfe um die Deutungshoheit der DDR-Geschichte gehe. Wir halten uns da mal ganz neutral konstruktivistisch-postmodern und sagen, dass es genau soviele Wahrheiten wie Beteiligte gibt. Dass sich mit DDR-Simulacren prächtig Geld machen lässt, ist mittlerweile offensichtlich und nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass es einen beträchtlichen Anteil von Menschen in der DDR gab, die, aus welchen Gründen auch immer, weniger gelitten und mehr einen Alltagslebenslauf - inklusive Spaß - durchlebt haben. Die dinglich greifbaren Elemente dieses Alltags sind mittlerweile Symbole einer persönlichen Erinnerungskultur und auch das Dokumentationszentrum in Eisenhüttenstadt zehrt zu großen Teilen von genau dieser Tatsache. Unabhängig davon, ob dies moralisch gut oder schlecht ist, bleibt dies legitim. Das schließt die Legitimität ein, daraus auch einen Markt zu stricken. Dessen Zielgruppen sind für Nostalgie entsprechend empfänglich. Obendrein wird die DDR-Ästhetik tatsächlich nicht selten ausschließlich aus einer ästhetischen Perspektive wahrgenommen, beispielsweise von den jungen süddeutschen Designern, die am Rosenthaler Platz Kopfkissenbezüge, auf denen die Ikonen der Ostberliner-Architektur aufgedruckt sind, feilbieten. Auch so etwas ist - ob sittlich statthaft oder nicht - legitim.
Auch der Leiter der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, zeigt kein Verständnis. "Die DDR war keine Spaßveranstaltung", sagte er der Zeitung. Insignien der Diktatur wie die Porträts von Honecker könne man nur zeigen, wenn man sie auch kritisch kommentiere. (Tagesspiegel, 10.08.2007)
Und am Ende waren Sindermann, Honecker und auch Ulbricht dann doch nicht Videla, Agosti und Massera. Daher konnte Florian Henckel von Donnersmarck auch seine unverfängliche und massentaugliche Story in einen Stasi-Blockbuster verwandeln und musste nicht mit Garage Olimpo in die Programmkinos.
Den mahnenden Finger erheben, wenn versucht wird, mit dem Leiden anderer Geld zu machen, ist für die allgemeine Sensiblisierung wichtig und unterstützenswert. Aber regelmäßig Alarmismus zu zelebrieren, wenn die DDR-Ästhetik von mehr oder weniger geschichtsnaiven Hoteliers und Privatmuseen zum Geschäftsmodell erhoben, schießt vielleicht auch wieder über das Ziel hinaus.
Ob allerdings Andreas Ludwig, Leiter des Eisenhüttenstädter Dokumentationszentrums, richtig liegt, wenn er meint, dass die Adaption der DDR-Alltagskultur eine Provokation und "gerade bei Jüngeren eine Art Anti-Ästhetik" darstellt, lässt sich durchaus diskutieren. Die DDR-Ästhetik verkörpert gerade bei (jüngeren) an Architektur und Design Interessierten eine höchst untersuchens- und beachtenswerte Sonderform von originellen Gestaltungsparadigmata. Eine Provokation ist das Erscheinen mit dem Einkaufsnetz und im Blauhemd, wenigstens im Ostberliner Straßenbild, heute dagegen höchstens noch dann, wenn man gerade Hubertus Knabe über den Weg läuft. Im Regelfall wird sie Bestandteil des üblichen Modepastiches, dass alles miteinander kombiniert, was sich so greifen lässt.
Eine andere historische Linie wird heute überraschend in der Märkischen Oderzeitung aufgezeigt. Denn völlig unerwartet entdeckt die Stadt das Stalag III B (mehr dazu als PDF) als schützenswertes Areal, nachdem sie vor ein paar Jahren noch große Teile der Überreste für ein nicht verwirkliches Gewerbegebiet planieren lassen hat:
Wolfgang Perske vom Stadtmanagement überzeugte sich selbst von dem grauenvollen Zustand und bat die Stadtwirtschaft sowie die Gemeinnützige Gesellschaft für Qualifizierung und produktive Berufs- und Arbeitsförderung (GEM) um Hilfe. Ohne viel Tamtam und ohne extra Verträge wurde mit der Entmüllung und Aufarbeitung des Stalag-Areals begonnen. Das viele tote Geäst ist bereits entfernt. Und ganz wichtig - die Umrisse einer Fundamentplatte wurden schon wieder freigeschaufelt. Außerdem haben sich Arbeitskräfte der GEM an der Lagerstraße zu schaffen< gemacht. Die war nämlich durch Graswuchs und Wald auf die Hälfte zusammengeschrumpft.Besser spät als nie, werden sich die Historiker denken, die 2001 bei den zuständigen Stellen auf nicht ganz so offene Ohren stießen, wie jetzt Hartmut Preuß, Leiter des Städtischen Museums. Andererseits muss man sich sehr ernsthaft fragen, warum der Stadt Eisenhüttenstadt die Angelegenheit sieben Jahre lang anscheinend reichlich schnuppe war.
Alte, neue Welt. Die Schule V und der Club am Anger.
Wer offenen Auges in der DDR Oberschüler war, kam nicht umhin, die massiven Selbstwidersprüche des Systems wahrzunehmen. Für die meisten hieß die Lösung "Ja und Amen", jeder war sich halbwegs selbst der Nächste und versuchte, sein richtiges Leben in irgendeinem anderen einzurichten. Ein historisch einzigartiges Verhaltensmuster ist dies allerdings nicht.
Wer offenen Auges in der DDR Oberschüler war, kam nicht umhin, die massiven Selbstwidersprüche des Systems wahrzunehmen. Für die meisten hieß die Lösung "Ja und Amen", jeder war sich halbwegs selbst der Nächste und versuchte, sein richtiges Leben in irgendeinem anderen einzurichten. Ein historisch einzigartiges Verhaltensmuster ist dies allerdings nicht.