Wer kennt das nicht: Man kommt nach einem ausgefüllten, aber anstrengenden Arbeitstag in Eisenhüttenstadt in seine Wohnung, wirft sich auf die Chaiselounge und gönnt sich als Genuss zum Abend Slowakiens feinsten Koloratursopran, nämlich Edita Gruberová als Norma in Bellinis gleichnamigen gallisch-römischen Tragödienspiel. Was allerdings zum vollkommenen Operngenuss fehlt, ist eine Flasche Minervois AOC 2004 Château la Reze, den es, wie der Zufall es will, ganz stilsicher in den Discountern mit dem der Oper identischen Namen, just in dieser Woche als Wochenangebot für 2,99 € die Flasche gibt.
Für den gemeinen Eisenhüttenstädter Bellini-Fan ergibt sich nun ein Dilemma, das daraus resultiert, dass der Gott der Marktwirtschaft die Discounter nur sehr ungleich über die ostdeutschen Landschaften verteilt hat: Entweder er greift auf einen anderen Wein oder gar einen womöglich teureren Preis bei einem anderen Discounter oder gar Supermarkt zurück oder er nimmt den beschwerlichen Weg zum Norma-Neubau im netten Brieskow-Finkenheerd auf sich.
Aber eventuell macht diese kleine aufmüpfige Region im fernen Osten Deutschlands ihrer Tradition als emanzipierte und das Schicksal selbst gestaltenden Gemeinde alle Ehre und sorgt dafür, dass man sich die 15 Kilometer demnächst sparen kann. Das fränkische Einzelhandelsunternehmen jedenfalls bietet uns die Chance, unseres eigenen Einkaufsglückes Schmied zu werden und wir müssen sie nur ergreifen. Solch ein Angebot kommt nämlich nicht alle Tage, sondern höchstens alle Monate: Norma möchte wirklich gern einen Neubau in Eisenhüttenstadt errichten, u.a. natürlich auch um von den Kaufkraftüberschüssen der florierenden Odermetropole etwas abschöpfen zu können. Letzteres könnte gelingen, denn der Eisenhüttenstädter Lebensmittelkäufer ist die herrschende Monokultur langsam leid und bei Norma - dem Discounter - gibt es obendrein laut eigener Aussage "Mehr fürs Geld". Kaum zu glauben, aber so steht es hier weiß auf rot.
Da kann Konkurrent Lidl noch so sehr die billigen Preise machen, die dann aber der Netto hat und Mitwettbewerber Plus leider preislich (und auch sonst) eher aufs Kleine setzt. Beim für das Oderland zuständigen Aldi Nord ist die Qualität - ausgenommen die Einkaufsqualität - ganz oben, die Preise sind dagegen ganz unten. Der sympathische Langzeitöffner Kaufland verzichtet dagegen mit seiner Webpräsenz auf einen Slogan. Klickt man jedoch die Fanpostseite(!) auf, kann man nachlesen, wie Frau Ulla L. aus Bad Saarow an dieser Stelle eine Lösung bieten möchte:
Auch die Konkurrenz von real;- lässt sich nicht auf eine Tagline reduzieren. Dagegen brezelt uns der grüne Verbrauchermarkt Marktkauf ein militärisches märkisch markiges "Preise runter!" entgegen. Jawoll, aber zack zack.Ein anderes Unternehmen wirbt mit dem Slogan "Wir lieben Lebensmittel". Sie können mit dem Slogan "Wir lieben unsere Kunden" werben.
Mehr Einkaufsvielfalt fällt mir momentan an Lebensmittelketten in Eisenhüttenstadt nicht ein und tatsächlich lassen sich eigentlich alle hochpreisigeren Märkte vom seit 100 Jahren lebensmittelliebenden Edeka und dem hier&herzlichen Kaiser's vermissen - über den jeden Tag ein bisschen besser werdenden Rewe bis hin zu plaza ("So viel, so gut, so günstig") und MiniMal ("Der Preis ist billig, aber der Geist ist wach." oder so ähnlich). Die gehören natürlich alle irgendwie irgendwo zueinander und wer bei Edeka kauft, kauft auch gleich bei Spar, aber im Stadtbild wirkt es doch anders. Irgendwie bunter. Und daher sind alle Klagen über zu viele Lebensmittelmärkte in Eisenhüttenstadt vorschnell. Denn neben den genannten schmuckeren Geschäften fehlen selbstverständlich auch noch Penny-Märkte ("Frisch trifft billig") und das "Mehr extra zum Leben". Es bleibt zurecht die billige Frage: Warum dann ausgerechnet Norma - die Liebe der Eisenhüttenstädter Opernfreunde zur Gruberová allein wird doch vermutlich nicht das einzige Kriterium der Nürnberger bzw. Fürther sein, die in diesem Frühjahr bundesweit gerade mal zwölf ihrer unverwechselbaren Geschäfte neu eröffneten? Insgesamt sind es laut eigener Auskunft um die 1300, wobei man, wenn man weiß, dass es in Deutschland um die 1800 Städte und größere Gemeinden gibt, sich ausrechnen kann, wie viel Expansionsraum da noch bleibt. Die Antwort ist beim Betriebswirtschaftler von nebenan zu bekommen...
Wenn denn tatsächlich endlich Norma auch in Eisenhüttenstadt zu finden sein sollte, dann findet man hier womöglich die kleine Einsamkeit, die man als sensible Seele im Gewühl der von der Sparwut gepackten Einkaufsmassen in City Center oder Kaufland so schmerzlich vermisst.
Nun ist es an den Stadtverordneten, zu entscheiden, ob diese offensichtliche Discounter-Lücke geschlossen werden soll und damit auch die Baulücke südlich des Roller-Möbelmarktes. Mit sparsamen 810 Quadratmetern Verkaufsfläche bewegt man sich mit den Norma-Planungen etwa im oberen Drittel des für Durchschnitts-Supermärkte Üblichen. Rein rechnerisch bedeutet dies pro Eisenhüttenstädter Kopf einen Zuwachs von vielleicht 0,025 Quadratmetern Einzelhandelsfläche, fällt also angesichts der bestehenden Werte kaum ins Gewicht. Aber - man kann nicht genug darauf hinweisen - für diesen gerademal Drittel bayerischen Quadratfuß bekommt jeder Eisenhüttenstädter mal richtig "mehr fürs Geld" z.B. auch rosarote Skater-/Caprihosen für 5,99 € oder Herren-Sommer-Jeans für 9,99 € (nur diese Woche), wobei man sich als bewusster Kunde natürlich niemals fragen würde, zu welchen Bedingungen solche Textilien gefertigt und solche Preise gehalten werden können.
Wie die Märkische Oderzeitung berichtet, tut sich die Stadtverwaltung selbst ein bisschen schwer bei der Entscheidung, wobei das hauptsächliche Gegenargument dahin zielt, dass man eigentlich etwas Zweigeschossiges wollte:
Nach Ansicht von Jörg Ihlow haben es nun die Stadtverordneten in der Hand, einen weiteren Billigdiscounter in Zentrumslage zuzulassen, wenn sie vom damals gefassten Bebauungsplan abweichen und einer eingeschossigen Bauweise zustimmen. Im Bau- und Umweltausschuss wollte am Dienstag dafür niemand die Verantwortung übernehmen, so dass dieStadtmanager Wolfgang Perske - nur zur Erinnerung - äußerte sich erst letzte Woche etwas präziser:
Problematik zunächst in den einzelnen Fraktionen besprochen wird. Erst danach soll es zu einer Entscheidung zum geplanten Markt kommen.
"Wir wollen keine weiteren Discounter in der Stadt."Wir übrigens auch nicht.