Was Eisenhüttenstadt der Stahl ist, war Butte in Montana lange Zeit Kupfer. Um 1900 stand die Bergbausiedlung an der Grenze zum Großstadtdasein und trug den Beinamen "The Richest Hill on Earth" (klingt doch fast wie "Erste Sozialistische Stadt auf deutschem Boden"...) Heute zählt die Geburtsstadt des Spring-ins-Unendliche Motorradikalen Evel Knievel noch etwa ein Drittel, denn viel geben die Berge nicht mehr her. Und daher ergibt sich folgendes auch uns bekanntes Problem:
The dwindling population has left many historic buildings in the heart of uptown empty or greatly underused.
So berichtete es gestern Tim Robbins von der New York Times in der
International Herald Tribune. Was tun, sprach Butte, die Häuser sind verlassen? Man versucht es mit Kunst. Man senkt die Mietpreise in innerstädtischen Bereich und bietet die Liegenschaften ganz gezielt Künstlern als Wohn-, Arbeits- und Ausstellungsräume an. Das bringt zwar kurzfristig nicht viel Geld aber dafür etwas viel Wertvolleres: Hoffnung (bzw. eine positivere Wahrnehmung der Situation).
"Art brings hope (...)"Everybody went to work for the company, and followed the company's rules, and when they left people lost their jobs and were knocked over."
Knocked over, zum Glück nicht
knocked out. Und selbst wenn Wim Wenders seinen zu großen Teilen in Butte gedrehten Film "Don't come knocking" nannte und wenig später auch noch in Cannes beim Filmfestival zu Protokoll gab "Butte's a Beaut", bringt ein Wenders-Film allein noch keinen Stimmungsumschwung (gilt leider auch für
Ickert-Filme). Aber längerfristiges künstlerisches Engagement könnte vielleicht ein Zeichen zur Aktivierung sein, wie ich es auch
gestern im Zusammenhang mit dem Stadtumbau der IBA 2010 ausführte.
Shrinking Cities sind ein die gesamte "alte Welt" ergreifendes Phänomen, gerade dort wo deindustrialisiert wird, oder - wie beim Ex-EKO AEH in Eisenhüttenstadt - über Modernisierung die Zahl der Arbeitsplätze drastisch zurückgeht. Die manchmal etwas sehr strapazierte "Kunstkarte" ist sicherlich nicht überall der Joker. Aber sie ist eine Option und welche Strahlkraft diese brotlosen Tätigkeiten ausüben, kann man prima am ebenfalls nahezu vollständig deindustrialisierten Ost-Berlin beobachten: Wer durch die Auguststraße oder die Kastanienallee streunert, findet vielleicht nicht die wohlhabend bürgerliche Aufgeräumtheit des Savignyplatzes oder eine Grunewald'sche Vorstadtidylle, aber er spürt Dynamik und Lebendigkeit und auch wenn die Lebensdauer der dortigen Galerien tatsächlich nur sehr gering ist, so wirken sie doch zeichenhaft auf ihr Umfeld und streuen ein Image in die ganze Welt hinaus, in dem Berlin in gewisser Hinsicht
die Stadt ist. Dadurch, dass hier nach 1990 Freiräume entstanden, Wohn- und Atelierraum so billig war, wie in keiner Metropole sonst und die freie Entfaltung auch sonst nicht durch klein- und großbürgerliche Zwänge schon im Frühstadium ausgebremst wurde, gelang die Imageumwertung sogar mit eher geringen Eingriffen der stadtverwaltenden Bürokratie.
Ob der Prozess in der Form, wie ihn Butte mit der
Butte Silver Bow Arts Foundation anzuregen versucht, ähnlich Früchte tragen wird, ist schwer zu beurteilen - denn das wilde Umfeld der deutschen Hauptstadt kann und will die kleine Ex-Minenstadt sicher schwer imitieren. Aber selbst wenn dieses Großstadt-
Benchmark denkbar ungeeignet ist, birgt die Vielfältigkeit des künstlerischen Ausdrucks durchaus andere Entfaltungschancen und lässt auch hier diverse realisitische Erfolgsvarianten zu. So wie das noch viel kleinere
Marfa irgendwo im Nirgendwo der texanischen Wüste dank
Donald Judd zum Mekka der
Minimal Art avancierte, so können auch in Butte die Künstler aktiv zu einem Kernelement des "City Branding" werden. Dies umso mehr, als durch Einbeziehung von innerstädtischen Gebäuden, die als Repräsentanten eines vergangenen Glanzes dem Ort eine besondere Note geben, hier auch tatsächlich zum Beispiel im Rahmen eines "Phantom Art Walks", bei dem Künstler Leerräume im gesamten Stadtgebiet zu einer großen Ausstellungsfläche vernetzen, eine enge Verzahnung von Stadtbild und Kunst erreicht wird.
Für den Spätsommer 2007 ist in Eisenhüttenstadt etwas Ähnliches geplant, auch wenn es sich zunächst nur auf ein leerstehendes Objekt orientiert (den Aktivisten) beschränken soll: Ein Reihe von Künstlern wird unter Koordination von Thomas Neumann (mehr
hier) eine "futuristische Ausstellung" durchführen.
Was ich mir für Eisenhüttenstadt noch mehr als dieses eine Futurologen-Unternehmen wünsche, ist eine stärkere (ständige und ständig wechselnde) Ballung von Vorhaben, die abseits einer musealen Bilderschau Kunst in Beziehung zu den Leer- und Freiräumen der Stadt positionieren, um einen Dialog in, über, zwischen und für Eisenhüttenstadt (der ortgewordenen und in sich zusammengestürzten "Utopie" der sozialistischen Vorstellungen, was man an der städtebaulichen Abbildung der Entwicklung der Vorstellungen und Leitbildung vor Ort exquisit nachvollziehen kann, auch wenn mit dem WK VII die so bittere wie den Ausgangsidealismus karikierende Pointe schwindet) zu forcieren.
In der Gesamtschau, und das nehmen leider die Wenigsten der von außen kurzzeitig eindringenden Architekturtouristen, DDR-Interessierten und Künstler wahr, birgt die Stadt, anders als andere industriell oder Bergau-orientierte Reißbrettsiedlungen, einen zutiefst ironischen Kern.
Diesen Riss hin zur Groteske, der die Stadt im Grundsatz durchzieht, hat bislang eigentlich nur Johanna Ickert in ihrem Film - und das vermutlich eher zufällig - wirklich eingefangen (und zum Teil zur Endversion wieder herausgeschnitten..). Insofern bleibt auf dem künstlerischen Gebiet - anders als bei der Nahe an der Sättigung liegenden wissenschaftlichen Bearbeitung des Sujets - noch viel Handlungsmöglichkeit für ein kreative "Perforation" der zahllosen Perforationen der Stadt, ihrer Entwicklung und ihrer Einwohner.
Such-Ergebnisse in Kommentaren
Es ist 2010 und verdammt lang her, wo die Zeit nur geblieben ist, beantworten die Zeilen in diesem wunderschönen Blog. Zugegeben auch ich habe mich sehr rar gemacht und Bens glühende Feder schafft ...
Hallo Alex, danke für den Kommentar. Ich habe hier eine Antwort formuliert.Kommentare ()
Es schaut so aus. Mehr dazu in diesem Beitrag.Kommentare ()
Vielen Dank für die Gratulation und auch für den Hinweis auf die verkehrte Jahreszahl. Den ersten der bislang immerhin 704 größeren und kleineren Postings im Weblog gab es natürlich am 27.März ...
Ach.. und den gesuchten Reiseschriftsteller musst du auch noch erraten..Kommentare ()
Hallo Igor, irgendwie war Dein Kommentar in der Moderationsschleife hängen geblieben. In der Tat habe ich eine kleine Sammlung von Eisenhüttenstadt-Ansichtskarten, wobei sich alt auf die ...
Sollte die Prowell-Papierfabrik tatsächlich entstehen, wäre dies übrigens das zweite Mal binnen relativ kurzer Zeit, dass sich Eisenhüttenstadt gegen das sachsen-anhaltinische Burg ...
Und Andi Leser hat mit seinem Kommentar den 1000sten in der Geschichte des Eisenhüttenstadt-Blogs hinterlassen und sich so taktisch geschickt seinen Platz im Erinnerungsbuch gesichert.Kommentare ()
Ich weiß, dass es Unsinn ist, aber für alle, die es interessiert gibt es hier meine persönliche Live Playlist. Und wer mich beim The Smiths hören ertappt und dies hier kundtut, bekommt garantiert ...
In der Tat! Der Zauber der HDR-Meisterin Ines ist derart gewaltig, dass unser Blog-Kollege Andi Leser nicht umhinkam, sie zur Königin Saarlouisa auszurufen. Nicht zu unrecht, wie ich finde. Was ...
Das ist beinahe richtig, nur würde ich sicher nicht zweimal nach dem selben Titel fragen. Diesmal ist es entscheidend schwieriger, auch wenn "Brigitte Reimann" für das erste Zitat auch die ...
Was mit dem wiki.huettenstadt los ist?...nun, das wüssten wir auch gern. Im Ernst: Huettenstadt ist umgezogen und zwar auf einen neuen Server und dabei ist der virtuelle Möbelwagen mit dem Wiki ...
Das Bild des Monats steht fest: es versteckt sich hinter dem angegebenen Link. Ein ausführlicher Bildbericht für unser Projket "Eisenhüttenstadt Photograph" (http://photograph.huettenstadt.de/) ...
Künstlerisch geformte Hühnervögel im öffentlichen Raum gibt es übrigens auch anderswo in den Stadträumen Ostdeutschlands. Das vielleicht markanteste Exemplar ist dieses: Ein Ratespiel mache ich ...
1. Einloggen kann man sich, wenn man einen Autorenaccount hat. Diesen gibt es nach einem persönlichen Kennenlernen mit der Blogredaktion bei gegenseitiger Sympathie. Kontaktaufnahme: webmaster at ...
Mehr zur Erhebung hatten wir auch im AugustKommentare ()
Selbstverständlich gibt es in der ehemaligen Pionierrepublik am wunderschönen Werbellinsee Objekte, von denen man meint, dass sie auch mitten in Eisenhüttenstadt lägen. So z.B. dieses Objekt, ...
In einem Satz: Hier ist schon mal mein Bahnhofsfoto.Kommentare ()
Und um die Schmach des Herrn Knabe noch zu mehren, hat SPIEGEL online den historischen Mißgriff gleich noch ins englische übersetzt. Screenshot " Eisenhüttenstadt was changed to Stalin Stadt. ...
Schön, dass Du wieder aktiviert bist! Aber Du könntest ruhig auch das Vollbild vom Honignapf verlinken, sonst weiß doch keiner, dass die Lindenauslese aus der Imkerei von Manfred Dittmann ...
Hallo Johanna, die allgemeinen Kontaktendaten findet man bei Webseiten meistens im Impressum. Wir sind sehr gespannt, was sich hinter Dir und Deiner Leidenschaft verbirgt. Schreib schnell! ...
Da ließ der HERR Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra (1. Mose Kapitel 19 Vers 24) Damit uns das nicht passiert lohnt sich vielleicht ein Besuch der Kirchen in ...
Nun kann ich endlich den Entwurf zur 24 Pfennig-Ullbricht Marke nachliefern. Veröffentlicht wurde er auf dem Titelblatt der zu diesem Zeitpunkt wirklich ideologisch bis zum Grade der ...
Vielen Dank für diese gloriose Laudatio, der ich mich mit Rührung beuge. Das possierliche Büchlein von Reinhard Bernhof, welches der Berliner Künstler und Grafiker Olaf Nehmzow nicht unbedingt ...
Das Ziel dieser Zusammenstellung wird es sein, eine Art subjektiven Bildband zu Eisenhüttenstadt zusammenzustellen. Während wir hier also unser Alltagsgeschäft betreiben und alles, was anfällt ...
"Ein Mensch jedoch, dessen Selbst durch Gehorsam gegenüber einer Autorität, die ihm sein Eigenes verboten hat, abhanden kommt, wird sich immer nach einer äusseren Autorität, einer Religion und ...
"What is wrong with groovin' ?" sang so schön wie niemand sonst Sowetos goldenes Kehlchen Letta Mbulu. Natürlich gar nichts ist die einzig korrekte Antwort, vorausgesetzt man hat den passenden ...
Heute in der eisen.huettenstadt.de Marketingetage: "..Mousepad schön und gut...die Leute wollen aber (1.) das was passiert,klaro, und (2.) Trikotagen, Beutel, Wimpel. Kann man da nicht etwas ...
Auf die Idee bin ich auch schon gekommen. Nur bei diesem Theme lässt sich das nicht so gut machen. Ich hab in diesem Theme ja ein Foto welches aus 3 Bildern besteht. Problematisch ist außerdem die ...
Dann musst Du aber auch Links auf die Artikel, die das Stadtfest in Eisenhüttenstadt feiern, setzen: Comedy kills Kultur der Stadt, Stadtfest, gegen die Kultur ...
Die Kinder der dereinst vertriebenen Paradieswohnkomplexbewohner nahmen übrigens üble Rache an den Errichtern der Stadt: Maurer in Trümmern...Kommentare ()
Nun gut, meine Kritik fiel etwas forsch aus, aber wahrscheinlich geschah dies aufgrund des Zitats "Das ist der Mann, der Eisenhüttenstadt durch den Code seiner Fotografien verändert". Ich ...
Wir danken herzlich für das Lob lieber Björn, aber noch mehr würden wir uns freuen, Dich hier öfter als Autoren begrüßen zu können. Wie wär's?Kommentare ()
Mir war es gestern Nacht vergönnt, mal einen Blick auf die Aufsteller zu werfen und entsprechend kann ich heute die von Wieland beschriebene Bilderlücke zum Projekt endlich schließen.Kommentare ()
Kommentare ()
Nach einer ersten Kurzvisite kann ich fast schon wieder Entwarnung geben. Die Ausstellung ist dann doch mehr als Event konzipiert und auf die allgemeine Lauftouristik zugeschnitten als ...
Hey Wieland, ich bin ein großer Lump. Deine Mails beantworte ich spät bis nie und Deinen Kommentar zur stadtbezogenen Musique concrète lösche ich auch noch unglücklicherweise beim Großeinsatz ...
Leute, schaut mal bei WIKIhüttenstadt nach! Dort sind wieder einige Neuigkeiten hinzugekommen, die nach weiteren Ergänzungen verlangen.Kommentare ()
Vielleicht ergibt sich ja demnächst die Gelegenheit für ein bisschen gemeinsame fotografische Dokumentationsaktivität - nachdem ich letzten Samstag das große Vergnügen hatte, einen Abend mit ...