Von den Gründen
Es gibt diverse kleine Gründe, angefangen bei der geographischen Entfernung, der Okkupation der Aufmerksamkeit durch eine Vielzahl anderer Themen und Dinge oder auch einer Abnutzung des eigenen Erinnerungshorizontes, dessen Oberfläche womöglich weitgehend zureichend abgebildet auf und zwischen all diesen Zeilen, Postings und Beschreibungen liegt und dessen weitere Erforschung zunehmend Details zutage fördert, für die sich andere, diskretere Formen des Schreibens besser anbieten als die nonchalanten Plaudereien oder das assoziative Sinnieren in einem Weblog wie diesem.
Der eigentliche Kern liegt jedoch noch an einer anderen Stelle, die, wie persönliche Rückkopplungen andeuten, durchaus ein interindividuelles Phänomen darstellen und für die Stadtentwicklung Eisenhüttenstadts grundlegend von Bedeutung sind: Eine positiv besetzte Erneuerung signifikanter Beziehungen zwischen Mensch und Stadtraum scheint momentan in Eisenhüttenstadt kaum zu gelingen. Spricht man mit Passanten, so erkennt man als durchgehendes Muster, dass ihre Betrachtungen entweder auf die Vergangenheit oder das Fortgehen gerichtet sind. Die Gegenwart in der Stadt wird weder positiv anregend noch gemeinschaftsstiftend empfunden.
Dieser Eindruck mag verzerrt sein, denn er wurde über zufällige Begegnungen und spontane Kontakte und daher unter gröblicher Missachtung der Richtlinien quantitativer Sozialforschung gewonnen. Er ist aber sicher nicht untypisch, in jedem Fall existent und bestätigt sich besonders auch bei Besuchern mit einem reinen Blick auf einen bis zum Besuch unbekannten Ort, ob sie nun für ein paar Stunden oder zwei Wochen bleiben: Die Stadt wird als sperrig und kaum zugänglich empfunden, als Kuriosum vielleicht, nie jedoch tatsächlich als Lebensraum. Es liegt Abweisung in der Luft, nicht Attraktion. Die Raumerfahrung ist die einer schwer bestimmbaren Imprägnierung gegen Annäherungen. Eine Ursache, und um diese im Speziellen soll es in meiner Betrachtung gehen, findet man eventuell an einer Stelle, an der Nichts ist, also dort, wo sich Eisenhüttenstadt grundsätzlich von all den Orten unterscheidet, die der Durchschnittsbesucher als angenehm, vif und anziehend empfindet: Im Zentrum, das es nicht gibt.
Was ist ein Zentrum?
Das Zentrum ist gemeinhin in allen Städten der Ort der Begegnung zwischen Menschen, also die Keimzelle der Gemeinschaft. Die Dynamik einer Stadtgemeinschaft resultiert weitgehend aus der Vielfalt dieser Begegnungen, die zum Teil bestätigend, zu einem weiteren Teil aber auch irritierend, erweiternd, überraschend sein müssen. Wenn man die Stadt und ihr Konzept gegenüber oberflächlichen Aussagen, die in der Anlage das Präludium einer kryptosibirschen Vorhölle lesen, oft genug verteidigen muss, so muss man doch der Stadtplanung von den Planstadtanfängen bis heute ankreiden, dass es ihr nicht gelungen ist, einen nutzbaren, konzentrierenden, zentralen Stadtraum zu erzeugen. Und – was noch schlimmer ist – es gelingt ihr kaum, zu kommunizieren, dass sie sich mit der Thematik befasst. Weiß jemand, was mit der Lücke Ödland, die zentraler Platz genannt wird, in den nächsten zwei Jahren, fünf Jahren, zehn Jahren geschehen soll? Der zufällig angesprochene Eisenhüttenstädter neigt auf die Frage zu der Antwort:
Hier passiert nichts mehr. Und er meint nicht nur den Zentralen Platz.
Besonders betrifft das Scheitern der Stadtplanung die Transformation nach 1990, die sich von dem vielleicht unschönsten Leitbilder westlicher Alltagskultur irritieren ließ, nach dem das Erlebnis des Stadtzentrums mit dem Aufenthalt in einem Konsumraum gleichzusetzen ist. Das Konzept der Öffentlichkeit scheint dagegen bis heute kaum in das Bewusstsein Eisenhüttenstadts eingedrungen zu sein.
Diesem Grundmissverständnis verdankt die Stadt ein beispielhaft charakterloses Einkaufszentrum, das konzeptionell viel schlimmer ist als ein Zentrum Warenhaus, denn im Gegensatz zum Warenhaus, das klar seine Botschaft als geschlossene und funktional eindeutig definierte Verkaufszone offenbart, verwischt die Shopping Mall diesen Eindruck und gibt vor, tatsächlich Aufenthaltsraum sein zu können.
Dieser wird in der Tat gut besucht ist, bietet als Identifikationspunkt aber nichts Stadtspezifisches an, sondern ermöglicht den dortigen Flaneuren nur das Anknüpfen an überregionale Einzelhandelsmarken. Manche kulturpessimistischen Betrachter behaupten, die sozialistische Leitkultur wurde reibungsfrei in eine konsumistische umgewandelt, wobei sich die Diktatur des Proletariats unter strikter Umgehung demokratischer Kulturelemente in eine Diktatur der Berieselung und Zerstreuung verwandelte, in der Nagelstudios beliebter als Bibliotheken sind.
Man mag diese Meinung schon aus Prinzip nicht stützen, stellt aber nach einer halben Stunde im überheblich so genannten „City Center“ fest, wie schnell die Einwürfe dagegen wegschmelzen können…
Wenn sich ein Zentrum jedoch in gefranchisten Raumsimulationen erschöpft, dann wird der Ort austauschbar. Dort, wo man in Eisenhüttenstadt die meisten Menschen trifft, kann kein Zentrum sein, denn dort lässt sich die Stadt nicht erfahren. Nicht einmal konsumieren. Nur vergessen.
Was war das Zentrum?
Die Nordpassagen – deren Bezeichnung völlig fehlgeht, da sie nicht etwa einen passagentypischen Übergang im Stadtraum, sondern als Endpunkt des Stadtraums bestehen, der obendrein durch den monströsen, nur zu Geschäftszeiten zu nutzenden Parkplatz zusätzlich auf Distanz gehalten wird – markieren den Punkt, auf den die Hälfte des ursprünglich geplanten Stadtzentrums, die Magistrale zuläuft.
Die andere Hälfte, die als Kontrapunkt zur Geschäfts- und Demonstrationsstraße mit ihrem Kulturhaus ein platzartiger Aufenthalts- und damit Begegnungsort hätte werden können, ist heute ein schlammiges Feld, auf dem die Eisenhüttenstädter kostengünstig ihr Auto abstellen können, wenn sie etwas im Rathaus zu tun haben. Das Rumpfzentrum der Planstadt erstreckt sich also zwischen dem Nichts eines Parkplatzes und dem Nichts eines Parkplatzes und ist entsprechend für Flaneure und Passanten nahezu buchstäblich ziellos. Das Ideal des Automobilismus wirkt andererseits Begegnung grundsätzlich entgegen, weshalb eine Stadt zum Ausgleich autofreie Bereiche benötigt. Im Hofkonzept der frühen Wohnkomplexe lag zweifellos der richtige Ansatz, der jedoch mit der Ausweitung der Stadt östlich des Oder-Spree-Kanals zwangsläufig aufgesprengt werden musste.
Die Magistrale selbst bietet trotz aller (mitunter fragwürdigen) Aufwertungsmaßnahmen nur bedingt Aufenthalts- und Begegnungsqualität. Der Grund dafür liegt einerseits sicher konkret in der eher reizarmen und eindimensionalen Einzelhandelsstruktur (und dem toten Pfosten „Lunik“) und andererseits eher allgemein in der mangelnden Dynamik dieser Zone, die, so sie denn auftritt, zusätzlich von der Weitläufigkeit geschluckt wird. Informelle Gründe zur Nutzung des Stadtraums über das Durchqueren hinaus finden sich kaum und die wenige vorhandene Gastronomie wirkt kaum in den Raum hinein. Das Friedrich-Wolf-Theater kann und wird nach der umfänglichen Renovierung mit Veranstaltungen sicher eine Rolle als belebender Attraktor spielen. Nur fehlt ihm ein Kontra- oder Komplementärpunkt, denn die Veranstaltungen fokussieren natürlich immer ein bestimmtes Publikum, welches die Lindenallee als Transferraum bei der Anreise zum und Abreise vom Ereignis nutzt. Das ist mehr, als bisher möglich ist, jedoch weniger, als für Begegnungen erstrebenswert erscheint.
Aktuell befasst sich eine Bürgerwerkstatt „Das Zentrum im Rampenlicht“ (vgl. auch
Märkische Oderzeitung vom 29.03.2010) unter der Leitung eines Berliner Planungsbüros mit der Frage nach der Belebung und Belebbarkeit der Magistrale, was man sicher begrüßen muss. Ob dieser vom Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ geförderte Ansatz wirklich fruchtet, hängt von einem ganz anderen Faktor ab: Der Stadtbevölkerung selbst.
Die Menschen als Zentrum
Auswärtigen Besuchern, die mehr als einen Nachmittag in Eisenhüttenstadt verbringen und die Kontakt zu den Einwohnern suchen, fällt die außerordentliche Orientierung der Bewohner der Stadt auf das Häusliche, das Private, das Zurückgezogene auf. Die Außenwelt wird weitgehend exkludiert und die Bedingungen vor Ort unterstützen diesen Prozess auf ganzer Linie. Obwohl man sich in einem sehr übersichtlichen Rahmen bewegt, scheint es schwerer, jemanden in der Lindenallee kennenzulernen, als auf dem Berliner Alexanderplatz.
Dabei ist die Stadtgesellschaft nicht einmal eine geschlossene, nur einer verschlossene, die sich auch in sich abgrenzt. Es scheint, als lebte man hier für sich und nebeneinander. Zwei Konstellationen dominieren im Stadtbild: Gruppen von Jugendlichen, vorzugsweise jungen Männern, und Pärchen jenseits vielleicht der 50 oder bis Mitte 20, dann meist mit Kleinkind. Ab und an sieht man noch einzelne Menschen, oft mit Hunden. Allen gemeinsam ist der Ausdruck einer gewissen Scheu, die sich bei der erstgenannten Gruppe in der alterstypischen Mischung aus Albernheit und Aggressivität verkörpert, bei den anderen mehr im Vermeiden von Blickkontakten oder dem Abwehren jedes Lächelns ihren Ausdruck findet.
Weiterhin wirkt eine gewisse Distanz untereinander kennzeichnend: Es ist jenseits der Geschäftszeiten sehr selten, dass man in der Lindenallee steht und Menschen überhaupt bei der Interaktion beobachten kann. Meistens wirken sie – auch als Paare – vereinzelt und in jedem Fall unberührt von möglichen anderen Flaneuren. Ihre Beziehung zum gebauten Zentrum ist schwer einzuschätzen. Es scheint jedoch häufig, als liefen sie Sonntagmittag die Magistrale nicht auf und ab – und zwar meist nicht öfter als dieses eine Mal – weil sie das Zentrum erleben wollen, sondern weil ihnen eine Alternative fehlt. Die Mehrzahl der vielleicht 30.000 Einwohner der Stadt trifft man hier ohnehin nicht als Fußgänger an.
Aber wo sind sie? Die Stadtethnologie hat an dieser Stelle noch ein weites Betätigungsfeld, denn eine jüngst vorgenommene Stichprobe „Kleingartenanlage“ führte auch mehr ins Reich des ungestörten Vogelgesangs, denn in eine Ballung an geschäftiger Gartenkultur…
Es gibt die sicherlich viel zu grobsiebige These, dass sich die Einwohnerschaft Eisenhüttenstadts vorwiegend aus sehr kleinbürgerlich ausgerichteten Arbeitern und
Post-Arbeitern (nicht im Sinne der Postzustellung, sondern von Postskriptum) zusammensetzt, die mit teutonischem Ernst und dem damit verbundenen Geltungsansprüchen vor allem auf Korrektheit im unmittelbaren Lebenszusammenhang ausgerichtet sind, also generell das Überschaubare lieben und Avantgarde eher nicht.
So zweifelhaft diese Bewertung sein mag, so unzweifelhaft ist doch die über weite Strecken homogene Schichtung der Stadtbevölkerung, die traditionell bestimmte soziale und Bildungshintergründe mit spezifischen Werten und Vorstellungen bevorzugt aufweist. Das ist völlig wertneutral gemeint und notwendig zum Verständnis, warum die kulturelle Selbstorganisation so gut wie nicht stattfindet und geförderte Programme selten als relevant für das eigene Stadterleben angenommen werden. Interessant ist, dass sich mit dem Schrumpfen der Stadt, also der Abwanderung, diese Homogenisierung nach dem Ende der eigentlichen Vorzeigearbeiterstadt noch verstärkt zu haben scheint. Hier fehlt eindeutig Zuwanderung und so wie es aussieht, wird auch keine kommen.
Die Geschichte als (unmögliche) Zentrierung
Zu der geringen Durchmischung und Auffrischung der Bevölkerung addiert sich die Besonderheit der Planstadt, dass für sie die Transformation nach 1990 vor allem das Infragestellen eines tief verwurzelten Status als herausgehobene Kommune bedeutete. Die Nachwendezeit wurde hier weniger als Anderswo als Aufbruch empfunden (abgesehen von der Stillung unmittelbarer Konsumbedürfnisse). Die neue Stadt erforderte wenig Eigensinn, denn ihre Vergangenheit und ihre Entwicklungsrichtung schienen bis 1990 noch eindeutiger festgelegt als in anderen Städten der DDR. Man hatte bis zum Ende ein Ziel vor den Augen, auch wenn es zum Finale hin selbst in Eisenhüttenstadt zu verschwimmen begann. Doch sogar in den 1980er Jahren blieb der Aufbruchsgeist Richtung Zukunft mit der Errichtung des Konverterstahlwerks lebendig, wohingegen nach 1990 zunächst einmal die Pistole des drohenden Aus der Stahlproduktion in Ostbrandenburg auf die überraschte Brust der Stahlstadtgesellschaft zielte. Es zeigte sich hier noch einmal und letztmalig die Festigkeit des Stahlarbeiterwillens und auch der Stadtgemeinschaft und zwar wiederum gerade in Opposition gegen den Kapitalismus. „Dieser Stahl wird hier gekocht…“
Zu einer für die Herausbildung eines kritischen Selbstbildes notwendigen sachlichen Dekonstruktion (oder auch Aufarbeitung) der eigenen Vergangenheit im Spiegel der neuen Vorzeichen kam es jedoch nie. Das ist in gewisser Weise verständlich, da Eisenhüttenstadts Stadtgeschichte keine Referenzpunkte jenseits der Stadtgeschichte besaß – die Bemühungen um eine Historisierung der Stadtteile Fürstenberg und Schönfließ erfolgten weitgehend als Gegensatz zur Planstadt. Die sozialistische Vergangenheit zu attackieren und in Frage zu stellen hätte bedeutet, die Existenzberechtigung der Stadt und damit häufig den eigenen Lebensverlauf grundsätzlich in Frage zu stellen. Von wem möchte man das verlangen? Vielleicht könnte es heute gelingen: Immerhin umfasst die Stadtgeschichte mittlerweile zu einem Drittel eine Phase des Postsozialismus. In den frühen 1990ern war der Ansatz jedoch undurchführbar.
Die Schrift und die Differenz?
Worauf kann eine Stadtidentität also Bezug nehmen? Die Vergangenheit als erste sozialistische Stadt, die aufgrund der Planstruktur und Architektur allgegenwärtig ist, im Kernstadtbereich als Denkmal konserviert und östlich des Kanals im Rahmen des Stadtumbau-Programms flächig destruiert wird, bleibt als das, was der Semiologe Roland Barthes als „Schreiben durch den Stein“ bezeichnete.
Eisenhüttenstadt ist in allen Bereichen, die sinnvoll Zentrum sein könnten, mit einer Erzählung vertextet, die hochproblematisch und bislang kaum reflektiert ist. Dieser Fülle an belasteter Vergangenheit hat man überwiegend komplett aussagefreie Funktionsarchitektur entgegengestellt, die sich zwar der Öffentlichkeit (=Stadtbevölkerung) bedient, selbst aber wenig zurückgibt. Die übrige Differenz in der Stadtentwicklung beschränkt sich weitgehend auf das Verschwundene. Die Grundfläche der verschwundenen Eisenhüttenstadt hat mittlerweile ein erstaunliches Ausmaß erreicht und da sie weitgehend verödet (wozu Discounterneubauten eindeutig zählen) multipliziert sich die Grundstimmung einer vergehenden Stadt.
Der Stadtumbau ist nach wie vor eine Kommunikationskatastrophe ersten Ranges und die eher schlechte Atmosphäre in der Stadtgesellschaft scheint nicht in geringem Maße dem scheuklapprig sturen Abarbeiten der Abrisslisten geschuldet zu sein, in deren Konzeption ein
Danach offensichtlich weder berücksichtigt noch als berücksichtigenswert erachtet wurde. Dazu gesellt sich besonders bei den betroffenen Mietern die nicht immer völlig unbegründete Ansicht, dass hier vor allem ein öffentlich finanziertes Geschäftsmodell für Wohnungsverwaltungsgesellschaften rücksichtslos durchgepeitscht wird, von dem einige herausgehobene Akteure nicht mal sehr gut profitieren, durch das die Stadt selbst aber nachhaltig geschädigt wird. Bemerkenswert fantasielos ist die Umsetzung der schrumpfungsbegleitenden Stadtumgestaltung in jedem Fall.
Kleine Ausnahmen gibt es schon bei den Neubauten und Neugestaltungen der letzten Jahre. Eine davon im Sinne eines Zugewinns an (mehr oder weniger) durch die Öffentlichkeit nutzbaren Räumen stellt die Inselhalle dar, die allerdings als Symbol eher fade wirkt. Nur punktuell – wie bei der Promenade am Kanal – finden Ansätze, die eine Bereicherung des Stadtraums sein können. Doch zeigt gerade die Promenade, die an der Kanalbrücke ins Nichts läuft, wie oft derartige Unterfangen nach wie vor auf halbem Wege stecken bleiben.
Die einzigen wirklichen Kontrapunkte blieben bisher womöglich die Stahlskulpturen des Metallurgie-Plenair zum 50sten Stadtjubiläum. Danach gab es kaum nennenswerte künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum. Wo sich Eckhard Herrmanns „GERMANIA barbarica“ noch mit beeindruckender Garstigkeit an einem zentralen Punkt der Stadt präsentiert, versinkt das 2006 im VI. Wohnkomplex montierte Mammutgeköpf desselben Künstlers in belangloser Gefälligkeit, wie sie Auftragskunst meist und seit Jahrhunderten auszeichnet. Und auch seine Thalpomene vor dem Friedrich-Wolf-Theater zeigt sich dort eher zaghaft und in der Zeitlosigkeit ausgesprochen brav, wo man mit etwas Geschichtsverständnis sehr gut auf Robert Riehls gescheitertes Projekt der Repräsentationsfiguren für den Theatervorplatz hätte Bezug nehmen können.
Was bleibt, was kommt?
Es bleibt nach wie vor die Frage, wie das Einbringen neuer Symbole, Bezugspunkt, Signifikanten – ob nun Kunst, Ereignisse oder Architektur – in den Stadtraum
1. mit den bestehenden Strukturen interagiert,
2. mit den Einwohnern in Wechselwirkung steht,
3. und sowohl retrospektiv wie auch prospektiv
mit den Erzählungen zusammenwirkt, die Stadtgeschichte und -identität bilden.
Es muss darum gehen, den Stadtraum als einen zugleich manifesten und dynamischen Diskurs zu verstehen, in dem die Teilnehmer – also die Bewohner der Stadt – die Gelegenheit haben, die fragmentierten Identitäts- und Raumerfahrungen Eisenhüttenstadts in einer Form wahrzunehmen, die weniger eine geschlossene Erzählung anstrebt, sondern vielmehr in einer Form wahrnehmbar wird, die mögliche Übergänge betont, als Fläche eines denkbaren Anderen, einer Vielheit der Perspektiven. Als etwas, das den aktuellen Stadtentwicklungsslogan „Zukunft Eisenhüttenstadt – wir sind dabei“ begreifbarer macht, als die sicher gut gemeinten, aber nicht immer gut besuchten Diskussionsangebote aus den Förderprogrammen. „Nachhaltige Stadtentwicklung“.
Die Stadtentwicklung nach dem „Top-Down“-Ansatz gestalten zu wollen, führt oft dazu, dass dieses "nachhaltig" irgendwo im Entwicklungsprozess zerbröselt. Das heißt nicht, dass ein solches Unterfangen nicht notwendig ist. Nur muss es sehr raffiniert angegangen werden und kontingente Entwicklungsrichtungen berücksichtigen. Die Gestaltung von Plakaten oder das Einwickeln von Skulpturen in Packpapier sind bestenfalls Türöffner, aber noch keine Gestaltung des Interiors einer funktionierenden Stadtgesellschaft.
Die Verpackung von Metallskulpturen, die sich unschwer als Abbildung der industriellen Schwerpunkterweiterung/-verschiebung vom Stahl zum Papier lesen lässt, überzeugt dabei bereits durchaus als Aktion. Dennoch gehört zu einer funktionierenden Stadtgesellschaft auch, dass positive Konfrontationen und Irritationen jenseits der Förderprogramme und aus der Stadtbevölkerung selbst heraus entstehen müssen. Jeder Besuch in Eisenhüttenstadt und beinahe jedes Gespräch mit Eisenhüttenstädtern macht deutlich, wie weit und beschwerlich der Weg dahingehend noch ist.
Solange Treffpunkte jenseits der Großbrandstellen - die zwar zu Aufläufen, aber nicht zu Begegnungen führen - fehlen, solange die Stadt eines Zentrums im Sinn als Knoten für soziale Beziehungen, Ort der Brüche und auch der Subversion entbehrt, bleibt die Stadt ein
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