Wo der westdeutschen Bravo-Jugend in den heiklen Phasen der heiklen Phase sexual-moralischen und -praktischen Selbstfindung das Dr. Sommer-Team mit Rat und Tat zu Seite stand (und steht) gab es in der Jugendpresse der Deutschen Demokratischen Republik einen gewissen Professor Bormann. Publikationsorgan seiner Aufklärungs- und Beziehungshilfe war die Zeitschrift "neues leben", deren Abkürzung "nl" den Pressekunden an den Zeitungsläden der DDR so flüssig über die Lippen kam, wie wir heute taz, "FAZ", MAZ oder MOZ oder " 'n Kurier" am Kiosk herausnuscheln. Im Unterschied zu den letzten genannten Zeitungen war vom nl am Abend des Erscheinungstages allerdings zumeist kein Exemplar mehr im freien Verkauf zu bekommen. Blättert man die Hefte aus der heutigen Sicht durch, fragt man sich, wieso eigentlich. Aber wir als Kinder des Internets können wohl schlicht nicht nachvollziehen, wie es ist, Monate der Ausgabe mit dem Foto und Steckbrief von Shakin' Stevens entgegen zu harren, der dann endlich an die Jugendzimmerwand gepinnt, gleichsam zum Symbol für den Rock'n'Roll der weiten Welt, als Miniposter darauf verweist, dass da draußen vielleicht noch etwas anderes sein kann, als der mittwöchentliche Pioniernachmittag in blütenweißen Bluse mit erbeerrotem Tuch.
Dabei ging es gar nicht um Opposition zu den bestehenden Kulturhegemonien, sondern um die Öffnung von kleinen Nischen in diesen, in denen sich etwas ausleben kann, was man heute unter "cool" kategorisieren würde. Die wirklich abgebrühten Rowdytum-Anfälligen vom Kollwitz-Platz dürften sich mit dem nl natürlich nicht abgegeben haben, aber für die brave Eisenhüttenstädter Jugend war das neue leben schon ein prima Lektüre, wenn es ins Pionierlager, mit den Eltern in den Urlaub oder zur Volksarmee ging. Und die FDJ konnte damit zeigen, dass auch sie sich westlichen Einflüssen nicht zur Gänze verschließt, sondern nur, wo es wirklich darauf ankommt.
Darüber, wie genau die Zeitschrift in Eisenhüttenstadt rezipiert wurde, kann man bislang nur mutmaßen. Dass sie gelesen wurde steht aber spätestens nach dem Blick auf die Leserbriefseite der Dezember-Ausgabe 1982 ziemlich fest. Dort schildet nämlich ein Jens aus Eisenhüttenstadt eine Sommerurlaubsferienflirt-Erfahrung aus dem Thüringer Wald:
Nein, das ist wirklich nicht ungewöhnlich, mögen wir wohl denken und dass es hoffentlich auf der nächsten Seite gleich weitergeht, mit dem zweiten Teil der Geschichte, die hier so sympathisch schludrig und verwackelt im Stile der abfotografierten Bravo-Songbooks, die es auf Flohmärkten in Eisenhüttenstadt zu erwerben gab, digital reproduziert wurden. Beim Lesen des Leserbriefes musste ich automatisch an Harald Rathmann als "Robbie" in Herrmann Zschoches "Sieben Sommersprossen" denken, aber bald wurde deutlich, dass Jens kein Robbie (geschweige denn ein Harald Rathmann, für den diese Rolle übrigens die einzige blieb) war und entsprechend die Sache, die sich da mit einer "Karoline" bzw. "Marlene" andeutete, aus dem Wasser in die Binsen stolpern ließ:
"Oh nein!", möchte man dem Jens zurufen und dann als Tröstung "Es geht vorbei, wie Du vorbei gingst." Irgendwann, so ist anzunehmen, hat auch Jens sich getraut, nur eben nicht bei dem "blonden, mittelgroßen Mädchen" vom Waldbad. Aber vielleicht bei der (brü)netten Eisenhüttenstädterin aus der Parallelklasse oder so etwas in dieser Art. Übrigens ist auch der zweite Teil der Geschichte, wie die eigene Erfahrung aus den Freibädern und von den Waldseestränden dieser Republik zeigt, so wirklich gar nicht ungewöhnlich. Auch heute noch.
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