Es ist mal wieder soweit. Die MOZ beschert uns in ihrer Online-Ausgabe einen Bericht zu den Einwohnerzahlen des Statistischen Landesamtes.
Vor zwei Jahren kommentierte ich hier: Blogpost den damaligen MOZ Artikel und gern setze ich diese Tradition fort.
Im aktuellen Beitrag ist die Rede von 742 Eisenhüttenstädtern (die Aussagen des Landesamtes decken sich erstaunlicherweise nicht mit denen der Stadt), die der Mosaikstadt an der Oder im letzten Jahr 2011 absolut betrachtet durch den Mix aller Arten des Verlassens verloren gegangen sind. Dies wird mit einer Auswahl von kleinen Dörfern im Umland anschaulich bebeispielt (dieses Wort gibt es so nicht vermute ich). Ich persönlich glaube, die Abrissbilder und das damit einhergehende Verschwinden von Wohnkomplexen veranschaulichen mindestens genauso bildhaft den Bevölkerungsrückgang, wie die Vorstellung eines Geisterdorfes "Vogelsang".
Leider vermisse ich im Artikel, wie vor 2 Jahren, einen relativen Vergleich. Gern auch mit anderen Gemeinden Brandenburgs (oder darüber hinaus), um die Höhe des Ordens des "Spitzenreiters", auf der man ihn sich an die Brust steckt, doch konkreter zu bestimmen. Erkenntnisreicher und erschreckender finde ich die Aussage, dass dies in Relation betrachtet einem Bevölkerungsrückgang von etwa 2,38% entspricht. Vor zwei Jahren war den genannten Zahlen (Details im oben verlinkten Artikel des EH-Blogs) zu entnehmen, dass es einen Rückgang von etwa 1,14% gab. Zwei Jahre später beträgt dieser also mehr als das Doppelte! Das ist doch mal eine Aus- und Ansage!
Die damalige Prognose ergab rechnerisch, dass bis 2030 der Bevölkerungsrückgang pro Jahr etwa 1% - 1,4% betrage. Wenn das letzte Jahr kein statistischer Ausreißer ist, erreicht man die prognostizierten absoluten Einwohnerzahlen bereits kurz nach 2020.
Und nun muss man doch mal genau schauen: Gab es vor 2 Jahren weniger ausgelaufene Azubi-Jahrgänge (also Temporäreisenhüttenstädter), sind vor 2 Jahren in Relation zur Einwohnerzahl mehr Einwohner gestorben, gab es mehr als doppelt so viele Zuzüge im Verhältnis zu den Stadtauswanderungen...es existieren einige Faktoren, die eine Rolle spielen und die man einmal beleuchten könnte. Ich wünsche mir im Stadtjournalismus eine stärkere Betrachtung der Dinge hinter dem Offensichtlichen. Das macht für mich den Mehrwert an so einem Artikel aus.
Der Vulkanausbruch aller Kausalität schlummert jedoch darin, dass die Aussage eines Herrn Rump: "Mit Frankfurt (Oder) liege die Stahlstadt als regionaler Wachstumskern sehr gut im Rennen." Wie folgt von der MOZ kommentiert wird: "Tatsächlich unterstreicht die Statistik die Aussagen von Rump. So ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 2010 zu 2011 nahezu gleich geblieben, es hat also keinen Abbau gegeben."
Einmal ganz isoliert betrachtet: Wieso heißt "kein Abbau", dass man als "Wachstumskern gut im Rennen" ist? Wo steckt man denn hier die Ziele? Die rückläufigen Geburten und die zunehmende Zahl von sterbenden alten Menschen einfach nur, weil es immer mehr alte Menschen und immer weniger junge Erwachsene im Verhältnis gibt, haben kurzfristig eine sehr geringe Auswirkung auf die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter. Der Artikel schließt damit, dass er endet. Ein Fazit...Fehlanzeige. Was passiert eigentlich mit Schulden einer Gemeinde, die es nicht mehr gibt? Ist Stadtauflösung (alle Einwohner ziehen für 3 Monate in einen Campingwagen und melden sich in Bomsdorf an) und eine komplette Neugründung die Lösung aller Probleme? Scherz beiseite. Die interaktivste Form eines Blogeintrags ist es wohl, wenn sich der Inhalt während des Verfassens ändert, weil der besagte Artikel bereits kommentiert wird. Auch dabei stellt man im gleichmäßigen Fluss fest, dass es neben der anonymen Jammer- und Schuldzuweisungsfraktion nur die leider fast ausschließlich ungehörten Aufforderungen zu Eigeninitiative und Mitgestaltung gibt. Aus meiner Perspektive habe ich immer schnell das Gefühl, es fehlt ein dritter Spieler in dieser Runde. Ein Impulsgeber. Aber die Eisenhüttenstadtkultur will keine Impulse. Sie will Ergebnisse, Lösungen, Geschaffenes, vollendete Tatsachen. Die einzig akzeptierte Vision ist die Television. Ist das so? Henry Ford sagte einmal: "Die Kultur frisst die Strategie zum Frühstück." Ich denke dies gilt für Organisationen in gleichem Maße wie für Gemeinden. Letztlich beides Systeme von Menschen mit etwas Umwelt. Mit Kultur ist hier die Mentalität samt ihrer Ausprägungen gemeint. Auch wenn dieser Beitrag hier selbst fern von solider journalistischer Arbeit sehr unstrukturiert erscheinen mag, möchte ich zumindest mein Fazit beisteuern. Die Essenz ist die Überschrift - der Stöpsel ist porös und man strudelt sich innerhalb von 2 Jahren doppelt so schnell aus der bequemen Badewanne. Die gravitative Bindungsenergie zwischen den Einwohnern und der Stadt lässt nach. Oder wird das Beziehungsverhältnis auf die Stadt übertragen? Richtet man sich im Beklagen der Macken des anderen ein, weil das Angehen der eigenen genauso schwer fällt? Ist das Stadtfest der jährliche Sommerurlaub vorm Balkon oder das Grillen in der Gartenlaube, bei dem für den Moment des Erlebens Geld und Sorgen (und Geldsorgen) egal sind? Gilt hier einmal mehr - leider mit negativer Interpretation: "Zeit rennt, Leben trennt. Sein und Gewesenes bleibt."? Wie viel Trennung (vielleicht nur auf Zeit?) ist fruchtbar, wie viel darf bleiben, ohne den Blick vom Horizont abwärts auf die Schuhspitzen zu verlieren?
Gar wie viel Freiheit ertragen Gedanken, wenn sie es sich im Alltagskäfig aus Aluminium und Plaste nett eingerichtet hatten oder haben?
Einmal das Doppelte... zum Mitnehmen bitte.
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Kommentare
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#1
Silvio R.
am
07/24/12 um 07:01
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#2
Anja Grabs
am
08/01/12 um 09:10
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